- Die Kritik an der Stiko reißt im Verlauf der Pandemie nicht ab.
- Wo liegen also die Schwächen des Gremiums und überwiegen immer noch ihre Stärken?
- Fachgesellschaften betonen, dass die Stiko trotz ihrer Mängel nicht wegzudenken sei.
Hart wurde die Stiko in den vergangenen Monaten kritisiert, manchmal wurde gar ihre Existenz in Frage gestellt. Vor allem die lange unbeantwortete Frage nach dem "Boostern für Alle" brachte nicht nur Stiko-Chef Thomas Mertens mehrfach in Bedrängnis. Zeit für ein Für und Wider der Stiko.
Wo liegen die Stärken der Ständigen Impfkommission (Stiko)?
"Der Stiko kommt die Rolle zu, auf der Basis von wissenschaftlichen Studien und Datenerhebungen sowie vorliegender Erfahrungen aus anderen Ländern, Impfempfehlungen für Deutschland zu entwickeln", erklärt die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD). Dabei bewertet das Gremium den Nutzen von Impfungen sowohl für den einzelnen Menschen als auch für die gesamte Bevölkerung. An diesen Empfehlungen orientieren sich Ärzte, Wissenschaftler und sogar Juristen. "Die Neutralität und sehr hohe fachliche Expertise der Stiko stehen außer Zweifel", sagt die UPD.
Stiko-Chef Thomas Mertens betont auch immer wieder die Parteilosigkeit seines Gremiums. Die Runde besteht aus zwölf bis 18 Experten, die alle drei Jahre neu bestimmt werden und ehrenamtlich arbeiten. Dabei werden sie von einer Geschäftsstelle im Robert Koch-Institut (RKI) unterstützt.
Doch darin liegt zu Zeiten einer Pandemie auch ein Problem: "Man müsste überlegen, wie die Stiko künftig aufgehängt ist, um ihre Neutralität und Unabhängigkeit zu sichern", sagte die Vorsitzende des Bundesverbands der Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes, Ute Teichert, der "Ärzte Zeitung". Da die Stiko an einer Bundesbehörde, dem RKI, angesiedelt sei, gerate sie "in den Bereich Politik und Politikberatung". Auch brauche die Kommission hauptamtliche Strukturen, die die professionelle Arbeit der ehrenamtlichen Kommissionsmitglieder unterstützen.
Wo liegen die Schwächen der Stiko?
Zu unflexibel, zu starr, zu sehr an Daten orientiert. Viel Kritik haben die Mitglieder der Stiko in den vergangenen Monaten aushalten müssen. Denn das wohl größte Problem ist klar: Die Stiko fällt ihre Entscheidungen viel zu langsam. Nicht nur die Politik moniert das seit Pandemie-Ausbruch gebetsmühlenartig. Immer öfter widersprachen Politiker sogar den aktuellen Empfehlungen der Stiko, nannten sie "veraltet" und "überholt". Andere Länder wären hierbei schon viel weiter. "In der sehr dynamischen Entwicklung in einer Pandemie hängen die Stiko-Empfehlungen leider den Zulassungsschritten und politischen Entwicklungen zeitlich nach", sagt auch die Unabhängige Patientenberatung Deutschland. "Der zeitliche Verzug wird von unseren Ratsuchenden als ein Teilproblem der verwirrenden Informationslage wahrgenommen."
Das Problem ist hausgemacht: Denn die Stiko-Mitglieder entscheiden nicht nach Dringlichkeit, sondern nach vorhandener Datenlage. Sind nicht genügend Studien und Fakten vorhanden oder kommen sie erst später, gibt’s auch keine Empfehlung.
Stiko-Mitglied und Kinderarzt Martin Terhardt sagte dem Deutschlandfunk, dass das Gremium mit allen Aufgaben zur Covid-Impfung "wirklich ausgelastet" und "am Rande der Möglichkeiten" sei, was seine Ressourcen angehe. "Wir würden gerne oft schneller sein." Andere Abteilungen müssten aushelfen, die Mitarbeitenden arbeiteten "an ihrem körperlichen Limit".
Deswegen forderte der Stiko-Chef und emeritierte Ulmer Virologe Thomas Mertens im Interview mit dem ARD-Magazin Panorama auch mehr Personal. "Für die besondere Situation im Augenblick müsste es mehr Personal geben, auch vor allen Dingen aus verschiedenen Bereichen - Epidemiologen, Modellierer, also Fachleute, die mit mathematischen Modellen umgehen können."
Das sieht der neue Gesundheitsminister
Wo lag bisher der größte Fehler der Stiko?
Wochenlang wurden die Mitglieder der Ständigen Impfkommission von halb Deutschland aber vor allem von Politikern gedrängt, eine ausdrückliche Empfehlung zur Corona-Impfung älterer Kinder und Jugendlicher auszusprechen. Ähnlich harsche Kritik gab es bei der zu klärenden Frage, ob eine Booster-Impfung nicht erst ab 70 Jahren, sondern schon ab 18 sinnvoll sei. Eine Empfehlung dafür wurde erst spät ausgesprochen, da hatten anderen Länder wie Israel schon längst auf den Booster-Turbo gedrückt.
Dass bestimmte Entscheidungen "aus der heutigen Perspektive" zu spät gefallen seien, räumte der Stiko-Chef Thomas Mertens Anfang Dezember im ARD-Politikmagazin Panorama ein. So wäre es "wahrscheinlich günstiger gewesen, mit dem Boostern früher anzufangen", sagte Mertens. Gleichzeitig gestand er, dass die Umsetzung der Impfkampagne auf die Stiko-Empfehlungen mit eingewirkt habe. Die Beschaffung und Verteilung von Impfstoffen sei zwar nicht Aufgabe der Stiko, aber mit der Booster-Empfehlung für Menschen ab 70 Jahren habe man darauf abgezielt, "auf jeden Fall zunächst die Menschen zu schützen, die auch ein hohes Risiko für schwere Erkrankung haben".
Trotz des Eingeständnisses betonte Mertens, dass man sich auch weiterhin nicht drängen lassen wolle. "Wir nehmen uns weiter die Zeit, die wir brauchen, um alle Daten auszuwerten, wie es unserem Auftrag entspricht."
Sollte die Stiko abgeschafft werden?
Immer wieder tauchen dazu einzelne Stimmen auf, doch eine wirkliche Diskussion über das Ende der Stiko gibt es eigentlich nicht.
Zwar forderte ein Spiegel-Kommentar Mitte November die Abschaffung. Marco Evers schreib darin über die damaligen aktuellen Booster-Probleme und nannte das Gremium eine "Zauder-Stiko" sowie ein "Feierabendgremium", das es gelte, endlich abzuschaffen. Und auch Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) empfahl im August in der "Badischen Zeitung" einen Umbau der Stiko. Doch der Hausärzteverband bezeichnete das sogleich als "Wahlkampfgetöse" und warf ihm eine Missachtung der Stiko vor.
Ebenfalls im August räumte der damalige SPD-Gesundheitsexperte und jetzige Gesundheitsminister Karl Lauterbach ein, dass vieles für die Stiko bis dahin schlecht gelaufen sei. Aber das bedeute nicht das Ende der Kommission: "Ich bin sicher, die Stiko wird wieder zu voller Blüte kommen."
Explizit hinter das Gremium stellten sich 28 medizinische Fachgesellschaften und die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Sie sprachen der Stiko ihr ausdrückliches Vertrauen aus. Laut dem Infektionsschutzgesetz sei es Aufgabe der Stiko, unabhängige Empfehlungen zu Schutzimpfungen herauszugeben. Diese seien wichtig "für die Transparenz, Klarheit, Verlässlichkeit und Akzeptanz staatlichen Handelns im Sinne des öffentlichen Gesundheitsschutzes", schrieben die Fachgesellschaften laut "Forschung & Lehre". Die Empfehlungen der Stiko seien "maßgeblich für die Länder, Gesundheitsämter und impfenden Ärzte".
Verwendete Quellen:
- Interview mit Unabhängige Patientenberatung Deutschland
- Swr.de: Streit um Corona-Impfung für Jugendliche: Lucha fordert Umbau der Stiko
- Rnd.de: Weil die Stiko zu langsam sei: Lauterbach will Personal der Impfkommission aufstocken
- Deutschlandfunk.de: Stiko-Arzt: Wir wären oft gerne schneller, haben aber nicht genügend Ressourcen
- Tagesschau.de: Stiko-Chef Mertens räumt Fehler ein
- Forschung.und-Lehre.de: Mediziner-Verbände stärken Stiko den Rücken
- Tagesschau.de: Ärzteverband für Stiko-Reform
- N-tv.de: Mertens gesteht zu langes Zögern beim Boostern
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