Matteo Salvini beherrscht die italienische Politik. Auch die Ermittlungen gegen ihn werden den dauerpräsenten Innenminister wohl nicht stoppen. Es scheint fast so, als wolle er den Prozess.
Innenminister Matteo Salvini dominiert die Agenda in Italien wie kein anderer. Dabei ist die Populisten-Regierung aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega kaum 100 Tage im Amt.
Wirtschaftsprobleme, verschreckte Investoren, marode Straßen und Brücken? Darüber wird nur gesprochen, wenn man sich damit gegen die EU positionieren kann. Das einzige Dauerthema der italienischen Regierung ist Migration.
Verantwortlich dafür ist der dauerpräsente Chef der rechten Lega, Matteo Salvini. Zwar ist die Lega eigentlich der Juniorpartner der Fünf-Sterne-Bewegung, Doch die Fünf Sterne, eine als anti-elitäre Protestbewegung geborene Partei, kommt in der Koalition nicht an gegen den Hardliner im Innenministerium, der jedes Thema, ob es ihn etwas angeht oder nicht, wenigstens mit einem Kommentar auf Twitter oder Facebook bedenkt.
Für die Fünf-Sterne-Bewegung geht es um die Existenz
Premierminister Giuseppe Conte wirkt indes, als zögen im Hintergrund andere die Strippen. Und Arbeitsminister Luigi Di Maio muss um die Popularität seiner Fünf-Sterne-Bewegung fürchten.
Die Fünf Sterne stecken immer tiefer in der Zwickmühle: Sie riskieren eine Regierungskrise, wenn sie Salvini Paroli bieten und seinem harten Anti-Migrationskurs etwas entgegensetzen.
Zumindest den Mitgliedern des linken Lagers der Partei stößt zum Beispiel auf, dass Salvini bis Samstag Dutzende Migranten an Bord der "Diciotti" festhielt - und eine Entscheidung über deren Verteilung vonseiten der EU erzwingen wollte. Wegen dieses Vorgehens ermittelt nun die Justiz gegen Salvini.
Ermittlungen könnten Salvini mehr nützen als schaden
Ihm wird unter anderem Freiheitsberaubung vorgeworfen. Doch niemand zweifelt, dass ihm auch das mehr nützen als schaden wird.
Es gibt schon Unterschriftenaktionen, die dem Minister Unterstützung versichern sollen. Am Montag prangte sein Bild auf der Titelseite der rechtspopulistischen Zeitung "Libero", darüber steht: "Dio Salvi Salvini", "Gott, rette Salvini" - vor den Attacken von Staatsanwälten und Linken.
Für Salvini sind die Ermittlungen nicht nur Anlass, einmal mehr zu zeigen, dass er sich für die Sicherheit des Landes starkmachen will. Er kann auch die Justiz in die Ecke des verhassten Establishments rücken.
Salvinis Version lautet: "Ich bin kein Geiselnehmer." Er habe nur seine Arbeit als Minister getan. Das werde er auch vor Gericht erklären, sollte es zum Prozess kommen.
Den scheint er sogar zu wollen: "Ich will wirklich sehen, wie das endet..." Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Prozess in Italien einem Politiker kaum schadet. Paradebeispiel sind Silvio Berlusconis skandalträchtige Amtszeiten.
Luigi Di Maio verteidigt Salvini
Sterne-Chef Di Maio verteidigt seinen Kollegen - auch weil ihm gar nichts anderes übrig bleibt. Sollte die Koalition zerbrechen und Italien bald wieder wählen müssen, würde aktuellen Umfragen zufolge vor allem Salvini davon profitieren: Seit Antritt der Regierung am 1. Juni legte die Lega weiter zu.
Provoziert Salvini also bis zum Äußersten, weil er auf eine rasche Neuwahl spekuliert? Sein Ziel scheint klar: Er will das Land um jeden Preis regieren. Und zwar nicht als Vize-Premier, sondern an der Spitze eines Kabinetts. Er werde sich Italien nehmen, zitieren ihn Medien schon.
Diese Vision ist plausibel: Seine rechten Parolen ziehen besser denn je, er heimst Likes für jede Vorverurteilung von Migranten auf Facebook ein, vom Mittelfinger in Richtung Brüssel ganz zu schweigen.
Di Maio reitet die EU-kritische Welle
Di Maio reitet unterdessen weiter auf der EU-kritischen Welle. "Viele Regierungen attackieren uns, indem sie uns Populisten nennen, ohne sich darüber klar zu werden, dass ihre Zeit abgelaufen ist. Bei den nächsten Europawahlen werden sie eine denkwürdige Klatsche bekommen", sagt der 30-Jährige am Montag der Tageszeitung "La Stampa". Die nächste Direktwahl zum Europäischen Parlament findet voraussichtlich von 23. bis 26. Mai 2019 statt.
Am Samstag legte Rom eine scharf erscheinende Drohung auf den Tisch, als Regierungschef Giuseppe Conte ankündigte, dass die Regierung die Verhandlungen über den EU-Haushaltsentwurf blockieren wolle.
Drohgebärden und wenig Fakten
Immer wieder erklärt die Regierung, in wenigen Monaten mehr erreicht zu haben, als die Sozialdemokraten in mehreren Jahren an der Regierung. Doch Fakten schaffte sie vor allem in der Migrationskrise und mit der offenen Drohpolitik, die im Rest Europas gar nicht gerne gesehen wird.
Die versprochene Steuerreform und die Einführung des Bürgereinkommens sind bis auf weiteres verschoben, auch, weil sie angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage nur schwer umzusetzen sein dürften. Auf wichtige Mega-Infrastrukturprojekte wie die Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Lyon und Turin (TAV) und das Pipelineprojekt TAP können sich die Parteien auch nicht einigen.
Auch die niedrigen Renten, die hohe Arbeitslosigkeit, die Umweltverschmutzung sind offenbar kein Grund zur Aufregung für die Wähler. Und auch die Opposition hält hier nichts dagegen. Statt auszuschlachten, dass die großen Versprechen der Regierung noch auf ihre Umsetzung warten lassen, verharrt sie noch immer in einer Art Schockstarre.
Die Linke ist in ihrer Identitätskrise gefangen und derzeit keine Alternative für die Italiener. Und so folgen viele dem einzigen, der klare Ansagen macht und Durchsetzungskraft zeigt: Matteo Salvini. (ank/dpa)
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