War es ein wahnsinniger Schritt von Emmanuel Macron, Neuwahlen des Parlaments anzusetzen? Nein, sagt CDU-Politiker Armin Laschet. Die Rechnung des Präsidenten sei aufgegangen: "Die große Mehrheit der Franzosen hat gezeigt, dass sie pro-europäisch und pro-demokratisch ist."

Ein Interview

Der Rechtsruck in Frankreich ist deutlich schwächer ausgefallen als gedacht: Nach der zweiten Runde der Parlamentswahl wird das linke Parteienbündnis "Nouveau Front Populaire" die größte Gruppe in der Nationalversammlung in Paris stellen. Das rechtsnationale "Rassemblement National" landet hinter dem Mitte-Bündnis von Emmanuel Macron nur auf Platz drei.

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Der frühere CDU-Vorsitzende und Ex-Kanzlerkandidat Armin Laschet engagiert sich seit langem für die deutsch-französischen Beziehungen. Er war Bevollmächtigter der Bundesrepublik für den kulturellen Austausch und ist aktuell Mitglied im Vorstand der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung. Im Interview mit unserer Redaktion erklärt er, warum er einen französischen Wahlsieger für gefährlich hält – und trotzdem beruhigt ist.

Herr Laschet, statt des rechtsnationalen Rassemblement National hat die Linke die Parlamentswahl in Frankreich gewonnen. Sind Sie erleichtert?

Armin Laschet: Der linksextreme Kandidat Jean-Luc Mélenchon unterscheidet sich nicht stark von den extremen Rechten. Er ist pro-russisch, er ist anti-deutsch, er ist anti-europäisch, er ist Antisemit. Aber ich bin erleichtert, dass das Rassemblement National nur auf Platz drei gelandet ist.

Allerdings hat kein Lager allein eine Mehrheit. Wie könnte es jetzt weitergehen?

Die französische Linke besteht zum Glück nicht nur aus den Linksextremen, sondern aus vielen einzelnen Gruppen: aus Sozialdemokraten, Grünen und weiteren kleineren Gruppen. Zusammen mit dem Bündnis von Macron, das erstaunlicherweise Platz zwei errungen hat, gibt es die Chance, ein Bündnis der Mitte zu bilden. Das ist das Beruhigende.

"Macron wollte es wissen und er hat es geschafft, dass die Rechte auf Platz drei liegt."

Armin Laschet

Frankreich hat keine Erfahrung mit Koalitionen. Der Deutsch-Franzose Daniel Cohn-Bendit hat der "Zeit" gesagt: Kompromisse zu machen, bedeute aus Sicht vieler Franzosen, sich zu kompromittieren. Ist Frankreich durch diese Wahl nicht massiv geschwächt?

Die Parteiensysteme verändern sich überall in Europa. Die Zeit, in der der Präsident immer auch die Mehrheit in der Nationalversammlung hatte, sind auch in Frankreich vorbei. Vielleicht wird man von Deutschland lernen können, wie man Kompromisse macht, wie man Koalitionen schmiedet. Viele haben Präsident Macron kritisiert und für verrückt gehalten, dass er diese Neuwahlen ausgerufen hat. Im Nachhinein hat er Recht behalten.

Hat er das?

Die Rechten haben nach der Europawahl das Gefühl vermittelt: Wir sind hier die Mehrheit im Land, und 2027 werden wir auch die Präsidentschaft gewinnen. Da sind sie heute ausgebremst worden, ihre Legende ist gebrochen. Sie haben ein Drittel der Stimmen, ja das stimmt. Aber zwei Drittel der Menschen sind nicht auf der Seite des Rassemblement National.

Sie gehören also nicht zu denjenigen, die Macrons Schritt für wahnsinnig halten?

Nein. Ich habe von Anfang an gesagt: Er kämpft für Europa, sein Projekt und die Demokratie. Er ist ein anderer Typ als der Bundeskanzler, der eher abwartet. Macron wollte es wissen und er hat es geschafft, dass die Rechte auf Platz drei liegt. Es gab die höchste Wahlbeteiligung seit fast 40 Jahren in Frankreich. Die große Mehrheit der Franzosen hat gezeigt, dass sie pro-europäisch und pro-demokratisch ist. Das war ein Risiko, aber es hat sich gelohnt.

Sie sind Mitglied im Vorstand der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung. Was bedeutet die Wahl für Ihre Arbeit dort?

Hätte die extreme Linke gewonnen, wäre es schwierig geworden. Denn Mélenchon ist ein Anti-Deutscher. Hätte die radikale Rechte gewonnen, wäre es genauso schwierig gewesen. Aber mit diesem vielfältigen Ergebnis in der Mitte besteht die Chance, dass wir in der Parlamentarischen Versammlung weiter an gemeinsamen Lösungen arbeiten. Es gibt viele Felder, auf denen Deutschland und Frankreich neue Anstöße für Europa geben können.

Die konservativen Republikaner haben einige Forderungen und teilweise auch die Rhetorik der radikalen Rechten übernommen. Sie sind bei dieser Wahl abgeschlagen auf dem vierten Platz gelandet. Dabei haben sie Frankreich über Jahrzehnte geprägt. Welche Lehren müssen die Unionsparteien aus dem Schicksal ihrer französischen Kollegen ziehen?

Aus deren Schicksal kann man keine Lehren ziehen. Die Union ist immer noch die stärkste Volkspartei, wir sind nie auf die Abwege gegangen, die die Républicains in Frankreich gegangen sind. Wir müssen Partei der Mitte bleiben. Und wir können in Deutschland auch für die Wahlen in Ostdeutschland etwas aus Frankreich lernen.

Was denn?

Auch in den ostdeutschen Bundesländern führt die AfD die Umfragen an, aber sie macht nur ein Drittel der Stimmen aus. Mindestens zwei Drittel der Menschen denken anders. Sie müssen wir jetzt aktivieren und alles dafür tun, dass die AfD nicht in eine ostdeutsche Regierung kommt. Dazu brauchen auch wir eine hohe Wahlbeteiligung. Frankreich macht uns Mut, dass sich dieser Kampf lohnt.

Über den Gesprächspartner

  • Der Aachener Armin Laschet ist seit mehr als 35 Jahren politisch aktiv. Er war unter anderem Mitglied des Europäischen Parlaments, der erste Integrationsminister in Nordrhein-Westfalen sowie Ministerpräsident des Bundeslandes. Als Bundesvorsitzender und Kanzlerkandidat der CDU führte er die Partei 2021 in den Bundestagswahlkampf, verlor allerdings gegen die SPD. Seitdem ist Laschet Mitglied des Bundestags, dort Mitglied im Auswärtigen Ausschusses sowie Vorsitzender des Unterausschusses für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung.
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