• In der Bundesregierung hat ein Papier des Robert-Koch-Instituts für Wirbel gesorgt. Die Behörde fordert darin "maximale Kontaktbeschränkungen" gegen die Corona-Pandemie.
  • Das Papier war mit dem Bundesgesundheitsministerium nicht abgestimmt. Minister Karl Lauterbach soll wütend gewesen sein.
  • Am Mittwoch sagte Lauterbach, dass er an RKI-Präsident Lothar Wieler festhalten will. Allerdings setzen die beiden derzeit unterschiedliche Schwerpunkte.
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Ist es reiner Zufall oder ein Bild mit Symbolkraft? Ein kurzer Faustcheck, ein gemeinsamer Blick in die Kameras – und das war es schon mit der Begrüßung zwischen Karl Lauterbach und Lothar Wieler.

Der SPD-Gesundheitsminister und der Präsident des Robert-Koch-Instituts informieren am Mittwochmittag in der Bundespressekonferenz über die aktuelle Corona-Lage. Häufig steigen prominente Gäste hier nebeneinander die Treppe zum Saal hoch: für einen kurzen demonstrativen Plausch im Blitzlichtgewitter. Dieses Mal aber gehen sie hintereinander: Lauterbach vorne, Wieler hinten. Dabei müssten die beiden Pandemie-Bekämpfer wissen, dass die anwesenden Journalistinnen und Journalisten ihr Zusammenspiel derzeit ganz genau beobachten.

Bisher lagen Lauterbach und Wieler meistens auf einer Linie

Lauterbach und Wieler lagen in der Corona-Pandemie bisher meistens auf einer Linie. Beide warben stets für harte Maßnahmen, um die Ausbreitung des Virus zu bremsen. "Er ist einer der Wirkmächtigen, die sachlich-fachlich in großen Teilen Dinge vertreten, die auch wir im RKI vertreten", sagte Wieler über den damaligen Bundestagsabgeordneten Lauterbach im Mai dieses Jahres in einem Podcast der Berliner Morgenpost.

Doch inzwischen ist Lauterbach nicht mehr "nur" ein dauerpräsenter SPD-Experte, sondern sozusagen Wielers Chef. Und das hat einen ersten Konflikt mit sich gebracht.

RKI-Papier sorgt für Wirbel

Das Robert-Koch-Institut ist als Bundesoberbehörde für die Krankheitsüberwachung und -prävention zuständig und direkt dem Bundesgesundheitsministerium unterstellt. Normalerweise vertritt das RKI daher die gesundheitspolitischen Auffassungen des Bundesgesundheitsministers – selbst wenn man diese Auffassungen im Institut nicht teilt, wie es zur Ministerzeit von Jens Spahn (CDU) hin und wieder der Fall war.

Vor diesem Hintergrund passierte am Dienstag etwas Ungewöhnliches: Kurz vor den Beratungen von Bund und Ländern über weitere Pandemie-Maßnahmen veröffentlichte das RKI ein Papier. Wegen der schnellen Ausbreitung der Omikron-Variante des Coronavirus forderte Wielers Behörde darin ab sofort "maximale Kontaktbeschränkungen", unter anderem die Schließung von Restaurants und Sportstätten. Das RKI brachte also Maßnahmen ins Spiel, von denen es wusste, dass sie über das hinausgehen, was Bund und Länder beschließen wollen.

Kritik am uneinheitlichen Auftreten

Der Expertenrat der Bundesregierung, dem auch RKI-Präsident Wieler angehört, hatte sich kurz zuvor noch auf deutlich mildere Maßnahmen verständigt. Auch die Bund-Länder-Runde folgte mehreren Vorschlägen des RKI nicht. Sie beließ es dabei, private Treffen mit mehr als zehn Personen und Publikum bei Groß- und Sportveranstaltungen zu verbieten.

Unter den Politikerinnen und Politikern herrschte Medienberichten zufolge Unverständnis über das Vorpreschen des Instituts. Die Ministerpräsidenten von Bayern und Niedersachsen kritisierten das uneinheitliche Vorgehen von RKI und Gesundheitsministerium. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz soll wütend gewesen sein.

Karl Lauterbach sagte der Deutschen Presse-Agentur zufolge in der Bund-Länder-Runde, die Veröffentlichung des Papiers sei "nicht abgestimmt" gewesen. Das dürfe nicht passieren. Einem Bericht von "Spiegel Online" (Bezahlinhalt) zufolge kündigte Lauterbach "Konsequenzen" an. Was das bedeuten könnte, blieb aber unklar. Muss Wieler gar um seinen Job fürchten?

Lauterbach: "Abstimmung ist optimierbar"

Ob er an seinem RKI-Chef festhalte, wird Lauterbach dann am Mittwoch in der Bundespressekonferenz gefragt. "Das lässt sich leicht beantworten", sagt er: "Sonst säße er hier nicht." In seinem Haus gebe es keine Zensur des wissenschaftlichen Arbeitens, betont der Minister. Er wolle sich stark auf die Wissenschaft stützen. Das RKI sei dabei "eine ganz zentrale Quelle".

Symptome bei Omikron-Infektion: Darauf müssen Sie sich gefasst machen

Über die Corona-Variante Omikron ist bislang wenig bekannt. Nun sind aber erste Symptome beobachtet worden. die sich von einer Erkrankung bei der Delta-Variante unterscheiden.

Ein klares Lob für Wielers persönliche Arbeit verkneift er sich aber. Geärgert hat Lauterbach offenbar, dass das RKI ihn nicht vorab über das Papier informiert hat. Die Abstimmung sei "optimierbar", sagt der Minister.

Auch Lothar Wieler will der Angelegenheit möglichst keine Aufmerksamkeit widmen. "Es ist die Aufgabe des RKI, Empfehlungen auszusprechen." Das mache man ständig und habe es auch jetzt wieder getan.

Der eine wirbt fürs Boostern, der andere für Kontaktbeschränkungen

In der Pressekonferenz setzen die beiden unterschiedliche Schwerpunkte. Lauterbach spricht vor allem über das Impfen, wirbt für Booster-Impfungen als Mittel gegen die Omikron-Variante. Es gehe jetzt darum, deren Ausbreitung zu entschleunigen. "Diese Entschleunigung ist nur möglich durch eine möglichst schnelle Booster-Kampagne."

Einen Lockdown hat zwar auch Lauterbach nicht ausgeschlossen, aber er spricht derzeit nicht über diese Option – möglicherweise auch, weil er jetzt als Minister in eine Koalition eingebunden ist und die FDP davon bisher nichts wissen will.

Wieler nickt, während Lauterbach spricht, hat später aber noch etwas hinzuzufügen: "Am wichtigsten ist neben dem Impfen: Je weniger Menschen zusammenkommen, je kleiner das Kontaktnetzwerk ist, desto weniger verbreitet sich das Virus. Unser aller Verhalten ist hier wirklich entscheidend."

Das RKI soll unabhängiger werden – eigentlich

Die Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP wollen dem Robert-Koch-Institut eigentlich mehr Autonomie verschaffen. Das RKI solle "in seiner wissenschaftlichen Arbeit weisungsungebunden sein", haben sie in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Zu viel Selbstständigkeit wünscht sich aber auch die neue Bundesregierung offenbar nicht. Anonsten hätte das RKI-Papier nicht so viel Wirbel ausgelöst.

Lauterbach ist am Mittwoch allerdings bemüht, keinen Graben zwischen ihm und dem RKI erkennen zu lassen. "Wir müssen nach vorne blicken", sagt er. Den Rückweg die Treppe hinunter zum Ausgang gehen er und Lothar Wieler dann nebeneinander – und im Gespräch.

Quellen:

  • Bundespressekonferenz: Pressekonferenz zur Corona-Lage
  • Robert-Koch-Institut: ControlCOVID – Strategie-Ergänzung zur Bewältigung der beginnenden pandemischen Welle durch die SARS-CoV-2-Variante Omikron
  • Twitter-Account des Robert-Koch-Instituts
  • Berliner Morgenpost: Mutmach-Podcast Wir – RKI-Chef Wieler: Komplimente für Karl Lauterbach
  • Spiegel.de: Corona-Krisengipfel vor Weihnachten – Kein bisschen Frieden
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