- Zwei Gesetzentwürfe der Thüringer CDU sorgen für Streit in dem ostdeutschen Bundesland.
- Dabei geht es nicht nur im Inhaltliches, sondern vielmehr um die signalisierte Zustimmung der AfD für die beiden Anträge.
- Es könnte damit kommende Woche tatsächlich den bundesweit ersten Fall geben, bei dem ein Landesgesetz mit Hilfe der rechtspopulistischen und in Teilen rechtsextremen Partei beschlossen würde.
Liebäugelt die Thüringer CDU mit der AfD oder will sie lediglich die rot-rot-grüne Landesregierung unter Druck setzen? Klar ist: In der Thüringer Landespolitik, wegen der komplizierten Mehrheitsverhältnisse sowieso latent instabil, herrscht erneut Unruhe.
Nach der umstrittenen wie überraschenden Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich mit AfD-Stimmen im Frühjahr 2020 zum (Kurzzeit-)Ministerpräsidenten hatten die Regierungsparteien Linke, SPD, Grüne und die oppositionelle CDU in Thüringen einen informellen sogenannten Stabilitätspakt geschlossen. Dessen Ziel: fallweise Mehrheiten im Erfurter Landtag organisieren und das ostdeutsche Bundesland so regierungsfähig halten.
Das klappte lange Zeit vergleichsweise geräuscharm. Die vor allem wegen einiger CDU-Abgeordneter gescheiterte Neuwahl im vergangenen Sommer bedeutete das endgültige Aus für den Mechanismus. Nun geht die CDU-Landtagsfraktion noch einen Schritt weiter.
AfD signalisiert Unterstützung für CDU-Anträge
Die Christdemokraten haben zwei Gesetzentwürfe in den Erfurter Landtag eingebracht, über die in der kommenden Woche abgestimmt werden soll:
- Antrag 1: Die CDU fordert einen gesetzlichen Mindestabstand von Windkraftanlagen zu Wohnhäusern. "1.000 Meter sind das Minimum", betont die Partei auf ihrer Website und will dazu die Thüringer Bauordnung ändern, um so Rechtssicherheit zu schaffen. Die Landesregierung will hingegen an der gegenwärtigen flexiblen Lösung festhalten, bei der unter Umständen auch der Abstand von 1.000 Metern unterschritten werden darf.
- Antrag 2: Die CDU will Auszubildende im Gesundheitsbereich an freien Schulen vom Schulgeld befreien. Weil die Landesregierung ihre Ausgaben reduzieren muss (darauf hatte die CDU bei ihrer jüngsten Zustimmung zum Haushalt gedrängt), hatte Rot-Rot-Grün erst Mitte Mai entschieden, dass die Azubis die Kosten für freie Schulen wieder vollständig selbst übernehmen müssen.
Beide Vorschläge lehnt Rot-Rot-Grün entschieden ab. Die AfD hingegen hat für die CDU-Vorstöße ihre Unterstützung signalisiert, berichtet der MDR. Damit hätte die Union zusammen mit AfD und FDP eine Mehrheit im Parlament und könnte beide Gesetze beschließen. Genau das sorgt für erheblichen Streit mit den Regierungsparteien, die eine Machtprobe hinter dem Vorgehen der Christdemokraten vermuten.
"Keine Skrupel, erneut mit der AfD zu kooperieren"
"Die CDU Thüringen hat offensichtlich keine Skrupel, erneut mit der AfD zu kooperieren", kritisiert Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) auf Twitter.
Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Astrid Rothe-Beinlich sieht das ähnlich. "Es wäre das erste Mal, dass hier ein Gesetz mit der AfD durchgesetzt wird", erklärte sie auf Anfrage unserer Redaktion. "Das wäre ein fortgesetzter Dammbruch, den es so ja nicht mehr geben sollte. Die Frage ist, ob das jetzt eine Normalisierung werden soll."
Auch inhaltlich kritisieren die Grünen den Gesetzentwurf der CDU zur Abstandsregelung für Windräder, da dieser für weitere Planungsunsicherheiten und Einschränkungen für den Ausbau der Windenergie sorge. "Die CDU negiert Fakten und sie hetzt in demselben Duktus wie die AfD gegen den Ausbau der Windkraft", bemerkt die umweltpolitische Sprecherin der Grünen, Laura Wahl. Sie sieht keinen gesetzlichen Regelungsbedarf.
Beim Thema Schulgeldfreiheit sieht Grünen-Fraktionschefin Rothe-Beinlich keine Möglichkeit, "die nötigen 1,85 Millionen Euro an anderer Stelle zu kürzen, ohne dass es an anderer Stelle zu einem vergleichbaren Aufschrei kommt". Sie macht die CDU für das Finanzierungsproblem verantwortlich, weil sie die "globale Mittelkürzung im Landeshaushalt verursacht hat".
CDU weist Vorwürfe von sich
Der Linken-Fraktionsvorsitzende Steffen Dittes warnt vor einem "neuerlichen Tabubruch" und dessen Folgen: "Die CDU übergibt einer in Thüringen besonders extrem rechten Partei unter Björn Höcke Möglichkeiten und Verantwortung zur Gestaltung von Politik und Gesellschaft", kritisiert er auf Anfrage unserer Redaktion. Auch Dittes wirft der CDU vor, sie würde gemeinsam mit AfD und FDP die "mit dem Ukraine-Krieg nochmals notwendigere Energiewende blockieren".
Ein weiterer Vorwurf Dittes: Die CDU hat es nach dem Auslaufen des Stabilitätspaktes "nunmehr aufgegeben, nach Kompromissen zu suchen" – und bei den zwei Gesetzentwürfen mit der AfD "einen Durchsetzungspartner gefunden".
CDU-Fraktionschef
CDU fordert mehr Kompromissbereitschaft von der Thüringer Landesregierung
Er fordert Linkspartei, SPD und Grüne auf, für den CDU-Antrag zu stimmen, "weil er sachlich richtig ist und das ist, was die Bürger im Land wollen". Voigt verweist zudem auf Sachsen und Brandenburg. Dort hatten Sozialdemokraten und die Grünen zusammen mit ihrem Koalitionspartner CDU für einen Mindestabstand von 1.000 Metern zwischen Windkraftanlage und nächstem Wohnhaus votiert. Auch in der Frage der Schulgeldfreiheit erwartet Voigt mehr Kompromissbereitschaft.
Der CDU-Mann warf seinerseits den Thüringer Regierungsparteien vor, mit ihrem Verhalten der AfD in die Hände zu spielen. Rückendeckung bekommt Voigt aus der Berliner CDU-Zentrale. Und das trotz eines Grundsatzbeschlusses des Parteipräsidiums, der in der Sache eindeutig ist: "Es gibt keine Zusammenarbeit mit der AfD – weder in direkter noch in indirekter Form."
Kommt der große Krach erst noch?
Ein Sprecher der Bundes-CDU betonte auf Anfrage unserer Redaktion, dass dieser Beschluss weiter gelte. "Unabhängig davon ist allerdings das Einbringen von eigenen Anträgen elementarer Bestandteil der parlamentarischen Arbeit. Auch die CDU-Fraktion im Thüringer Landtag bringt ihre Anträge in die parlamentarische Arbeit ein und stellt diese zur Abstimmung. Alle Landtagsabgeordneten entscheiden danach eigenständig darüber, wie sie sich dazu verhalten."
CDU-Chef Friedrich Merz möchte sich vorerst nicht zum aktuellen Fall äußern. Kooperationswilligen Christdemokraten hatte er allerdings im Dezember mit dem Parteiausschluss gedroht. "Die Landesverbände, vor allem im Osten, bekommen von uns eine glasklare Ansage: Wenn irgendjemand von uns die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten, dann steht am nächsten Tag ein Parteiausschlussverfahren an."
Es bleibt also abzuwarten, ob der große Krach erst noch kommt – dann allerdings nicht nur in Thüringen, sondern weit über die Landesgrenzen hinaus.
Mitarbeit: Denis Huber
Verwendete Quellen:
- Schriftliche Stellungnahmen von der Bundes-CDU sowie den Landtagsfraktionen der CDU, der Linkspartei und Bündnis 90/Die Grünen
- Twitter-Beitrag von Georg Maier
- MDR: "Nur mit AfD durchzubringen: Streit in Thüringen um Gesetzentwürfe der CDU"
- CDU-Fraktion Thüringen: "1000 Meter Mindestabstand von Windrädern zur Wohnbebauung"
- Meldungen der Deutschen Presse-Agentur
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