- Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat angekündigt, die berufsbezogene Impfpflicht in seinem Bundesland vorerst nicht umzusetzen.
- Ist so ein Vorgehen rechtlich zulässig? Staatsrechtler haben Bedenken und nennen Söders Vorgehen verfassungswidrig.
- Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema.
Bayerns Ministerpräsident
Worum geht es genau?
Im vergangenen Dezember haben Bundestag und Bundesrat die einrichtungsbezogene Impfpflicht beschlossen: Bis zum 15. März dieses Jahres müssen Personen, die im Gesundheits- und Pflegebereich arbeiten, ihrem Arbeitgeber einen Nachweis über eine Covid-Impfung oder eine Genesung vorlegen. Oder sie müssen belegen, dass sie aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können.
Falls das Gesundheitsamt wegen eines fehlenden Nachweises ein Verbot ausspricht, dürfen Mitarbeitende ihr Krankenhaus oder ihr Pflegeheim dann nicht mehr betreten. So sollen Patientinnen und Patienten besser vor einer Corona-Infektion geschützt werden.
Der Bundestag hat dem Gesetz am 10. Dezember mit sehr großer Mehrheit zugestimmt. Auf "Ja" entfielen 570 der 687 abgegebenen Stimmen. Auch aus der oppositionellen CDU/CSU-Fraktion stimmten 173 von 181 Abgeordneten für die Pflege-Impfpflicht.
Der Bundesrat als Vertretung der Länder stimmte dem Gesetz am 10. Dezember sogar einstimmig zu. Alle Landesregierungen sprachen sich also für die Impfpflicht für Pflegekräfte aus – auch die des Freistaats Bayern.
Warum schert Bayern nun aus?
In der Politik stand zwar zunächst eine große Mehrheit hinter der berufsbezogenen Impfpflicht – im Bundestag kam nur von der AfD Ablehnung, die Linke enthielt sich mehrheitlich. Allerdings war die Maßnahme von Anfang an umstritten.
Kliniken und Pflegedienste befürchten, dass sie Arbeitskräfte verlieren, die sich nicht impfen lassen wollen. Und die sind in dem Bereich ohnehein rar. Der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, forderte eine Verschiebung der Impfpflicht: "Gesundheitsämter, Ordnungsbehörden und Arbeitgeber sehen sich nicht in der Lage, das Mammutwerk bis zum 15. März ohne schwere Verwerfungen durchzusetzen."
Am Montag schwenkte Markus Söder auf diese Linie ein. Bayern werde alle Spielräume nutzen, die Umsetzung "vorläufig" auszusetzen. Der Bund müsse "nachbessern und nachlegen", damit sie auch für die Länder und für die Einrichtungen umsetzbar sei.
Unterstützung bekam Söder vom Rest der Unionsparteien: Die CDU forderte von der Bundesregierung eine bundesweite Aussetzung der Impfpflicht für Personal in medizinischen und pflegerischen Einrichtungen. Das sei die "ganz einhellige Meinung von Präsidium und Bundesvorstand der CDU" sagte Parteichef Friedrich Merz.
Ist die Ankündigung Bayerns rechtlich zulässig?
Joachim Wieland, Professor für Öffentliches Recht an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer, hat darauf eine klare Antwort: "Ein solches Handeln wäre verfassungswidrig", sagte er der Zeitung "Welt" (Bezahlinhalt). "Würden die Länder Bundesgesetze je nach ihrer politischen Einschätzung nicht umsetzen, hätten wir praktisch keinen Rechtsstaat mehr."
Artikel 83 des Grundgesetzes legt fest, dass die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit umsetzen müssen. Schließlich sind sie über den Bundesrat selbst an deren Entstehen beteiligt. Staatsrechtlich gilt zudem der ungeschriebene Grundsatz der Bundestreue: Bund und Länder müssen aufeinander Rücksicht nehmen und so handeln, dass sie die Interessen aller Beteiligten wahren. Wenn ein Land eindeutig gegen die Zielrichtung eines Bundesgesetzes handelt, widerspricht das aus Sicht des Staatsrechtlers Christoph Degenhart dem Grundsatz der Bundestreue.
Allerdings gilt wie so häufig im Recht: Das Thema ist auch eine Frage der Auslegung. Volker Boehme-Neßler, Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht an der Universität Oldenburg, sieht eine Verletzung der Bundestreue differenzierter. Denn der Grundsatz gilt wohlgemerkt für beide Seiten.
Wenn die Umsetzung eines Gesetzes dazu führe, dass sich die Pflegesituation in Bayern deutlich verschlechtere, widerspreche das Gesetz den Interessen des Bundeslandes. "In diesem Fall verletzt der Bund seine Pflicht zur Bundestreue. Der Bund kann nicht pauschal Gesetze durchsetzen, die wichtige Strukturen im Gesundheitswesen der Länder beschädigen", sagte Boehme-Neßler der "Welt".
Was sagt die Bundesregierung?
"Definitiv nicht nachvollziehbar" findet Bundesgesundheitsminister
Es sei schwer zu vermitteln, wenn Gesetze erst beschlossen, dann aber nicht umgesetzt werden, sagte Lauterbach. "Das finde ich persönlich ein sehr gefährliches Signal." Das Argument, der Bund lasse die Länder mit der Umsetzung allein, ließ Lauterbach nicht gelten. Daran arbeite er zusammen mit den Gesundheitsministerien der Länder. "Wir stehen den Ländern jederzeit zur Verfügung weitergehende Hilfen zu entwickeln."
Kann der Bund die Länder zwingen, das Gesetz doch durchzusetzen?
Das sei kaum möglich, sagte Karl Lauterbach am Dienstagabend im Heute-Journal des ZDF. "Wenn ein Bundesland signalisiert: Wir kontrollieren das nicht – dann werden die Einrichtungen gar nicht erst melden, wer nicht geimpft ist. Es gibt dann keinen Vollzug, dann passiert gar nichts."
Das heißt im Klartext: Das Bundesgesetz gilt zwar auch in Bayern. Wenn Söder vom "Aussetzen" der Impfpflicht spricht, ist das irreführend, denn aussetzen kann er das Gesetz gar nicht. Faktisch wirksam ist es aber nur, wenn die Landesverwaltung Verstöße auch ahndet. Und genau das will Söder offenbar nicht machen.
Die Bundesregierung hätte verschiedene Möglichkeiten, gegen Bayern vorzugehen. Die wichtigste wäre eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Allerdings käme der Weg für diesen konkreten Fall kaum in Betracht. Denn diese Verfahren sind langwierig - und eine berufsbezogene Impfpflicht ergibt nur Sinn, wenn sie schnell kommt.
Was sagen die anderen Bundesländer?
Mehrere Politikerinnen und Politiker der CDU unterstützen den Kurs von Söder. Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans, der sich im März einer Landtagswahl stellen muss, ist zum Beispiel dafür, die berufsbezogene Impfpflicht auszusetzen und nachzubessern. Wenn die Länder die Pflicht unterschiedlich umsetzen, dann entstehe ein "unverantwortlicher Verschiebebahnhof", sagte er in den Tagesthemen.
Scharfe Kritik kam von Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). "Bayern ist inzwischen ein komplett unberechenbarer Faktor in der Corona-Diskussion", sagte er dem NDR. "Geltendes Recht ist überall anzuwenden und steht nicht zur Disposition der jeweiligen Landesregierung."
Verwendete Quellen:
- Deutsche Presse-Agentur
- Corona-PK in der Bundespressekonferenz
- Bundestag.de: Stärkung der Impfprävention gegen COVID-19, Gesetzentwurf SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP
- Welt.de: Söders Aussetzung der Pfleger-Impfpflicht? "Verfassungswidrig"
- Tagesschau.de: Tagesthemen vom 8. Februar
- ZDF.de: Lauterbach: "Warne davor, zu früh zu öffnen"
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