Die Mieten haben sich in vielen deutschen Großstädten in den letzten Jahren drastisch erhöht. Bei Maybrit Illner stritten die Gäste leidenschaftlich über die richtigen Lösungen. Dabei erwischte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) einen gebrauchten Tag.
Immobilienspekulationen, Mieterhöhungen, Verdrängungseffekte: In Berlin formiert sich ein Volksbegehren gegen die chaotische Lage auf dem Wohnungsmarkt und fordert die Enteignung von Unternehmen ab 3.000 Wohneinheiten. Aber auch in vielen anderen Städten ist die Situation angespannt.
Was ist das Thema bei Maybrit Illner?
Die Initiative "Deutsche Wohnen & Co enteignen" lud am Wochenende in Berlin zu einer großen Kundgebung, bei der Zehntausende Demonstranten ein Ende von Immobilienspekulationen sowie bezahlbaren Wohnraum forderten.
In anderen deutschen Städten solidarisierten sich Menschen mit diesen Ideen. Dass das Thema polarisiert und Emotionen frei setzt, war auch bei
So laut ging es im Donnerstags-Talk schon lange nicht mehr zu. Der Titel der Sendung: "Wohnungsnot und Wuchermieten – enteignen aus Notwehr?". So mancher Zuschauer wird aufgeatmet haben, dass ausnahmsweise nicht über den Brexit debattiert wurde.
Wer sind die Gäste?
Rouzbeh Taheri: Der Sprecher der Initiative "Deutsche Wohnen & Co enteignen" fing schon an zu streiten, bevor Illner ihn überhaupt vorstellen konnte. Er wetterte gegen das Gebaren von Immobilienspekulanten: Menschen seien keine Verschiebemasse.
Taheri wies darauf hin, dass in Deutschland ganze Dörfer enteignet werden, "um die Profite der Kohlekonzerne zu erhöhen". Wenn es gegen Immobilienkonzerne gehe, sei das für Politiker wie
Ihre Vorschläge: Enteignungen und mehr sozialer Wohnungsbau. Wissler musste allerdings auch zähneknirschend eingestehen, dass ihre Partei 2005 dem Verkauf von 65.000 städtischen Wohnungen in Berlin zugestimmt hatte.
Peter Altmaier (CDU): Der Bundeswirtschaftsminister lehnte Enteignungen strikt ab und machte sich stattdessen für den verstärkten Bau neuer Wohnungen stark. Enteignungen würden nur Investoren abschrecken und keinen neuen Wohnraum schaffen, so Altmaier, der ein leidenschaftliches Plädoyer für die soziale Marktwirtschaft hielt.
Palmer störte sich an der polemischen "Sozialismus-Kommunismus-Diskussion" in der aktuellen Debatte. Das würde nichts zur Lösung des Problems beitragen
Maren Kern: Die Sprecherin vom Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e.V. wehrte sich gegen den Pauschalverdacht des Spekulantentums.
Enteignungen sind in ihren Augen "verfassungswidrig". Wie Altmaier forderte sie eine Initiative für mehr Wohnungsbau. Palmers Vorschlag zum Baugebot nannte Kern einen "gangbaren Weg".
Was war das Rededuell des Abends?
In dieser Sendung gingen die Emotionen mit Illners Gästen – vor allem bei Rouzbeh Taheri und Janine Wissler – nicht nur einmal durch.
Als Altmaier Wisslers "Kampagne gegen Finanzinvestoren, die Wohnungen bauen" kritisierte, ging Taheri lautstark dazwischen. "Die Wohnungen bauen? Die bauen keine Wohnungen. Die Deutsche Wohnen baut keine einzige Wohnung."
Altmaier korrigierte sich: "Die haben Wohnungen gekauft." Wieder rief Taheri dazwischen. "Gekauft! Und die Preise nach oben getrieben. Sie haben nicht gebaut." Da hatte sich Altmaier in seiner Argumentation verzettelt. Punktsieg für Taheri.
Was war der Moment des Abends?
Der Bundeswirtschaftsminister musste es schließlich über sich ergehen lassen, dass Boris Palmer zwei CDU-Altkanzler als Kronzeugen gegen Altmaiers eigene Argumente benutzte.
"Herr Altmaier, das hat mit sozialer Marktwirtschaft nichts mehr zu tun", kritisierte der Grüne dessen Plädoyer für die freien Marktkräfte. "Das haben sich Adenauer und Erhardt anders vorgestellt. Das ist Raubtierkapitalismus. Da sollte die CDU ihr Gewissen entdecken und das einhegen."
Wie hat sich Maybrit Illner geschlagen?
So eine streitlustige Runde musste die Gastgeberin lange nicht mehr moderieren. Das hätte an der einen oder anderen Stelle ein Eingreifen erfordert, wenn sich drei Stimmen in einem unverständlichen Gezeter überlagerten. Einen bösen Seitenhieb musste sich Altmaier von Illner anhören.
Sie konnte angesichts seines Loblieds auf die Marktwirtschaft nicht nachvollziehen, warum ihn die deutsche Wirtschaft zuletzt so stark kritisiert hatte. Zeit zum Erwidern bekam der CDU-Mann allerdings nicht. Das passte zu seinem unglücklichen Auftritt.
Was ist das Ergebnis?
Angesichts der teils völlig gegensätzlichen Positionen waren inhaltliche Gemeinsamkeiten bei Maybrit lllner so selten wie eine günstige Wohnung im Berliner Zentrum.
"Wenn wir uns darauf einigen, dass wir mehr Sozialwohnungen brauchen, dann haben wir vielleicht einen Minimalkonsens", schlug Boris Palmer vor. Und tatsächlich war das am Ende der einzige Punkt, bei dem es von keiner Seite Widerspruch gab.
Palmer forderte darüber hinaus einen Fünf-Jahres-Stopp von Mieterhöhungen. Taheri setzte noch fünf weitere Jahre drauf. Altmeier versprach zumindest eine Erhöhung des Wohngelds, was bei Janine Wissler für Spott sorgte. Denn damit würden indirekt die Immobilienspekulanten, die die Mieten nach oben treiben, unterstützt.
Schließlich kam Altmaier mit einer hemdsärmlig anmutenden Idee daher, von der man nicht weiß, ob sie vielleicht nur einer Talkshow-Laune entsprang und eben eine Idee bleibt.
Er schlug Boris Palmer ein Abkommen vor, um bürokratische Hürden im Baurecht abzuschaffen. "Wir treffen uns. Dann verständigen wir beide uns auf das, was Sie abschaffen wollen. Und dann bringe ich Ihnen die Stimmen meiner CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Und sie bringen mir die Stimmen der Grünen."
Daraufhin witzelte Illner: "Das riecht schwer nach Schwarz-Grün." Rouzbeh Taheri fand mit Altmaier dagegen nie auf den sprichwörtlichen grünen Zweig. "Ihre Realität ist nicht unsere Realität", warf er dem Minister an den Kopf.
Ein Satz, der die streitlustige Debatte gut auf den Punkt brachte. Im Gegensatz zum einen oder anderen lauwarmen Brexit-Talk der vergangenen Wochen hätte es dieser Sendung nicht geschadet, wenn sie ein paar Minuten länger gelaufen wäre.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.