Es klingt fast schon wie ein Hilferuf: "Wir haben uns geirrt." Die Causa Maaßen müsse nochmals aufgerollt werden, sagt SPD-Chefin Nahles - und hofft auf Verständnis bei CSU-Chef Seehofer. Die Kanzlerin will nun eine schnelle Lösung.
Überraschende Wende im Fall
Nahles schrieb in einem Brief an die Vorsitzenden der beiden Unionsparteien, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt: "Ich bin der Auffassung, dass die Spitzen der Koalition noch einmal zusammenkommen sollten, um die gewichtigen, aber sehr unterschiedlichen Anliegen der Koalitionspartner zu beraten."
Sie halte das "für richtig und für notwendig", weil "wir angesichts der vielen außen- und innenpolitischen Herausforderungen eine volle Konzentration auf das Regierungshandeln brauchen, und weil die Menschen in unserem Land ein Anrecht darauf haben, dass wir ihre Sorgen und ihre Probleme lösen".
Nahles: "Wir haben uns alle geirrt"
Auch Seehofer zeigte sich offen für erneute Gespräche. "Ich denke, eine erneute Beratung macht dann Sinn, wenn eine konsensuale Lösung möglich ist. Darüber wird jetzt nachgedacht", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Die drei Parteivorsitzenden hätten auch miteinander am Telefon gesprochen, berichtete er. Allerdings gebe es noch keinen Termin für ein Gespräch. Auch ist wohl nicht mit einer schnellen neuen Entscheidung zu rechnen.
Weiter heißt es in dem Brief von Nahles, über den zunächst "Spiegel Online" berichtet hatte: "Die durchweg negativen Reaktionen aus der Bevölkerung zeigen, dass wir uns geirrt haben. Wir haben Vertrauen verloren, statt es wieder herzustellen." In Würzburg bekräftigte Nahles vor Kameras: "Wir haben uns alle drei geirrt."
Die SPD hatte wegen seiner Äußerungen zu den fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Chemnitz Maaßens Ablösung als Behördenchef gefordert, Seehofer stellte sich hinter ihn. Am Dienstag einigten sich Merkel, Seehofer und Nahles dann darauf, dass er seinen Posten räumen muss, dafür aber als Staatssekretär ins Innenministerium wechselt.
Seehofer will dafür, so der bisherige Stand, Staatssekretär Gunther Adler, einen SPD-Mann und Experten für Wohnen und Bauen, in den einstweiligen Ruhestand versetzen. In der SPD sorgte das für zusätzlichen Unmut.
Merkel hatte schon am Mittwochabend am Rande eines EU-Gipfels in Salzburg angedeutet, dass auch sie mit dem Ergebnis der Absprache zwischen den drei Parteivorsitzenden der Koalition nicht zufrieden ist. Sie kündigte an, dass Adler eine neue Aufgabe bekommen soll.
Sie schätze die Arbeit der SPD-Manns sehr. Alle Seiten hätten sich darauf verständigt, dass dieser "sehr schnell" eine "angemessene Position" bekommen solle. Es ist ungewöhnlich, dass Merkel im Ausland von sich aus zu innenpolitischen Themen Stellung nimmt.
Offenbar wollten Nahles, Merkel und auch Seehofer noch vor einer Sondersitzung der SPD-Bundestagsfraktion an diesem Montag signalisieren, dass sie die Sache neu beraten wollen. Am Montagvormittag kommt auch der 45-köpfige Parteivorstand der SPD im Willy-Brandt-Haus zusammen. Bei diesen Treffen dürfte es auch um die Zukunft der erst im April zur Nachfolgerin von Martin Schulz gewählten Parteichefin Nahles gehen.
GroKo verliert weiter an Zustimmung
Nach dem aktuellen ARD-Deutschlandtrend gingen die Streitereien der vergangenen Wochen über die Migrationspolitik und die Causa Maaßen nicht spurlos an der gesamten großen Koalition vorbei. Sie rutschen in den Umfragewerten immer tiefer. Wäre am Sonntag Bundestagswahl, kämen danach Union und Sozialdemokraten zusammen nur noch auf 45 Prozent der Stimmen. Zwar wäre die Union mit ziemlichen Verlusten immer noch stärkste Kraft, doch die AfD käme bereits auf den zweiten Platz.
Die Union würde nach der aktuellen Sonntagsfrage mit 28 Prozent das schlechteste Ergebnis seit Einführung des Deutschlandtrends 1997 einfahren, ihr Koalitionspartner SPD läge bei 17 Prozent an dritter Stelle.
Für die AfD schlugen 18 Prozent zu Buche, Grüne kämen auf 15, die Linken auf 10 und die Liberalen auf 9 Prozent. Seehofer halten demnach nur noch 28 Prozent für eine gute Besetzung im Innenressort, nach 39 Prozent im April.
Auch innerhalb der Union sinkt Seehofers Popularität - hatten ihn im April noch 45 der CDU/CSU-Parteianhänger für den richtigen Mann an der Spitze des Innenressorts gehalten, waren es aktuell nur noch 31 Prozent.
Der frühere SPD-Chef Martin Schulz hat sich besorgt gezeigt über das Erscheinungsbild der großen Koalition. "Ich bin offen gestanden schockiert, wie Herr Seehofer sein Amt ausübt", sagte Schulz der Deutschen Presse-Agentur mit Blick auf CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer. Ein Jahr nach der Bundestagswahl mahnte er die große Koalition, sich nicht ständig mit sich selbst zu beschäftigen.
FDP-Chef Christian Lindner twitterte: "Das führt zum Koalitionsbruch - oder am Ende hat von Seehofer und Nahles mindestens eine/r das Amt verloren. Warum beschäftigt sich die Koalition nicht einmal wieder mit Sachfragen?" (dpa/br)
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