- Mit Giorgia Meloni hat Italien erstmals eine rechte Ministerpräsidentin.
- Seenotretter bekamen schnell zu spüren, dass nun ein noch rauerer Ton herrscht.
- Wie sie ihre Arbeit trotzdem fortsetzen wollen und wie die EU reagiert.
Paukenschlag gleich zu Beginn ihrer Amtszeit: Die neue italienische Regierungschefin
Am Ende musste sich aber Meloni dem Druck beugen und Hunderte Flüchtlinge von der deutschen "Humanity 1" und der norwegischen "Geo Barents" an Land lassen. Zuvor hatte die EU-Kommission Italien an seine moralische und rechtliche Pflicht erinnert. Die Quittung für Meloni kam prompt. Die Schlagzeilen in Italien lauteten "EU zwingt die Regierung in die Knie" oder "Migranten: Meloni gibt auf".
Radikalstrategie der "geschlossenen Häfen" ist nicht neu
Pluspunkte bei ihren euroskeptischen Wählern konnte sie wohl trotzdem sammeln. Das Signal: Lautstark gegen Paris, Berlin und Brüssel. Schon im Wahlkampf hatte Meloni immer wieder gegen Migranten und Seenotretter ausgeteilt. Die Seenotrettungs-NGOs attackierte sie als Schlepper und machte sie für die hohen Flüchtlingszahlen im Land mitverantwortlich.
Die Abschottungsversuche Italiens sind nicht neu: Unter dem Rechtspopulisten Matteo Salvini war das Innenministerium schon in der Vergangenheit eine Radikalstrategie der "geschlossenen Häfen" gefahren. Dabei setzte Salvini Schiffe mit geretteten Migranten an Bord so lange fest, bis andere EU-Länder die Menschen aufnahmen. Heute läuft deshalb gegen ihn ein Prozess wegen Entführung und Unterlassung von Amtshandlungen.
Meloni: An internationalem Recht gescheitert
Was bedeutet also nun eine noch rechtere Regierung unter Meloni? "Der Ton ist im Moment rauer", hat SPD-Politiker und Sprecher für Migration und Integration Lars Castellucci bereits festgestellt. Die Regierung nehme zwar gerade erst ihre Geschäfte auf, es sei aber nicht zu erwarten, dass es einfacher werde. "Wir haben es ohnehin mit einem Politikbereich zu tun, in dem es viel Konfliktpotenzial gibt", sagt er.
Das internationale Recht aber sei eindeutig: "Menschen, die auf den Schiffen sind, haben das Recht, dieses Schiff auch zu verlassen, untergebracht und medizinisch versorgt zu werden", betont Castellucci.
Es sei deshalb rechtlich kein tragfähiger Zustand, wenn Italien den Schiffen keine sicheren Häfen zuweist. "Italien ist an internationales Recht gebunden – auch die neue Regierung", macht Castellucci klar und schiebt hinterher: "Wir akzeptieren keine geschlossenen Häfen". Ob alle geretteten Menschen im Anschluss Asylanträge in Italien stellen würden und Asyl gewährt bekämen, stehe aber auf einem anderen Blatt. Eine Vereinbarung, wo die Menschen alternativ in Europa anlanden oder verteilt werden könnten, gebe es vor diesen Hintergründen aber nicht.
Sea Watch will Arbeit genau so fortsetzen
Auch Sea-Watch-Sprecherin Mattea Weihe betont, dass sich an der Arbeit der NGO trotz Rechtsruck in Italien nichts ändern wird. "Wir werden weiterhin Geflüchtete im Mittelmeer retten", betont Weihe, die bereits als Einsatzleiterin mit an Bord war.
Man sei angehalten, die Menschen in den nächsten sicheren Hafen zu bringen. "Das ist in unserem Fall Malta oder Italien. Seit 2015 operieren wir dort und das wird sich auch in Zukunft nicht ändern", bekräftigt sie.
Sie hält die aktuellen Vorfälle für einen interessanten Wendepunkt. "Italien hat versucht, Menschen wieder wegzuschicken und ist daran gescheitert. Selbst ein Land mit einer so rechten Regierung muss sich an Gesetze halten", erklärt Weihe. Dabei sei die italienische Regierung auf europäischer Ebene bereits jetzt isoliert. "Internationale und europäische Akteure haben sich auf die Seite der Seenotrettung gestellt", so Weihe.
Sea Watch geht jedoch davon aus, dass die italienische Regierung erneut versuchen wird, ihre Häfen gegen Flüchtende abzuriegeln – und damit scheitern wird. "Das Handeln der italienischen Regierung ist Strategie", sagt Weihe. Meloni sei klar, in welchem Bereich sich ihre Behörden bewegten. "Sie will es mit den NGOs aufnehmen", meint Weihe. Dass die zivile Seenotrettung durchgehalten habe, sei deshalb ein wichtiges Signal, sich nicht einschüchtern zu lassen.
Europa zeige Tendenz, sich vermehrt abzuschotten
"Meloni hat im Wahlkampf gegen Migranten gehetzt und angekündigt, etwas gegen sie zu tun. Nun ist sie gescheitert", sagt Weihe. Lange Wartezeiten, bis Schiffe in Häfen einlaufen können, wird es aber wohl auch in Zukunft geben. "Dabei ist ein Schiff kein Ort, an dem Menschen lange ausharren sollten", sagt Weihe.
Es gebe bereits jetzt eine Tendenz, dass Europa sich weiter abschotte, Grenzen dichter mache und dafür Menschenrechtsverletzungen in Kauf nehme. "Deutschland muss mehr Menschen aus Italien aufnehmen und seiner Verantwortung gerecht werden", meint sie. Gleichzeitig müssten staatliche Akteure die Seenotrettung übernehmen.
Meloni will die EU zu Zugeständnissen zwingen. Sie fordert von Brüssel beispielsweise Unterstützung für ihre Idee von EU-finanzierten Auffanglagern in Nordafrika. Damit will sie illegale Migration bereits vor Ort stoppen und dort über Asylgesuche entscheiden lassen. Schon 2016 fand der Vorstoß in Brüssel keine Mehrheit. Italien handelte aber mit der libyschen Küstenwache einen Deal aus, die seitdem teilweise auf brutale Art und Weise Überfahrten zu verhindern versucht.
Castellucci: Arbeit am Asylsystem wieder stärken
EU-Politiker Castellucci sagt: "Die EU arbeitet daran, zu gemeinsamen und schnelleren Verfahren zu kommen". Die Arbeit am Asylsystem sei durch den Ukraine-Krieg in den Hintergrund geraten, müsse aber dringend wieder aufgenommen werden. Von Italien fordert er derweil einen Blick auf die Fakten.
Italien sei im Vergleich zu anderen Ländern unterdurchschnittlich belastet mit Flüchtlingen. Die Zahl an Asylanträgen sei unterdurchschnittlich, es befinde sich gemessen an der Bevölkerungszahl nicht in der Liste der Top 10 Aufnahmeländer. "Es ist falsch, wenn Italien meint, es würde alleine gelassen", sagt Castellucci.
"Italien braucht angesichts seiner Geburtenrate Arbeitsmigration. Es hat die niedrigste Geburtenrate in ganz Europa", erinnert Castellucci. Es sei zynisch, Migranten einerseits als Feldarbeitskräfte auszubeuten und gleichzeitig als illegal zu beschimpfen.
"Dafür muss es jedoch vernünftige Einwanderungsregeln geben, damit die Menschen nicht länger gezwungen sind, sich auf diese teilweise tödlichen Wege zu begeben", meint er. Es brauche sichere und legale Fluchtwege. "Sie müssen überall in Europa ausgebaut werden, damit das Sterben im Mittelmeer ein Ende hat", fordert er.
Verhandlungen auf Augenhöhe
Castellucci sieht gute Chancen dafür: "Wenn wir in Deutschland mit einem Sonderbeauftragten für Migration beginnen, der Verhandlungen auf Augenhöhe mit Transitstaaten und Herkunftsländern aufnimmt, dann gibt es die Chance, zu guten Beispielen von Kooperation zu kommen. Das macht dann hoffentlich Schule", sagt er.
Die italienische Regierung aber müsse sich entscheiden, ob es auf einem ordentlichen Weg laufen soll. "Der Solidaritätsmechanismus zugunsten Italiens muss ausgesetzt werden, bis Italien zu einer menschenwürdigen Politik mit Blick auf die Rettungsschiffe findet und aufhört, Geflüchtete einfach nach Norden durchzuleiten", fordert Castellucci.
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