Donald Trump hat die Wahl in den USA gewonnen. Für die Ukraine ist das keine gute Nachricht, sagt Politikwissenschaftler und Militärexperte Gustav Gressel. Er erklärt im Interview, welche Löcher die USA reißen könnten, wer sie stopfen könnte und wieso "Trump II" weitaus gefährlicher ist als "Trump I".

Ein Interview

Herr Gressel, Trump hat im Wahlkampf immer wieder damit gedroht, die Unterstützung der Ukraine einzudampfen. Ist damit jetzt zu rechnen?

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Gustav Gressel: Von den 62 Milliarden Dollar, die der Kongress genehmigt hat, wurden bis jetzt knapp über zehn Prozent durch das amerikanische Verteidigungsministerium abgerufen und in die Ukraine geschickt. Es gäbe also theoretisch noch einen Rechtsrahmen weiter zu liefern. Ob der ausgeschöpft wird, hängt natürlich von der amerikanischen Regierung ab. Zugegeben: Ich bin da äußerst skeptisch.

Was fehlt, wenn die Amerikaner ihr Engagement zurückfahren?

Zunächst: Die USA haben derzeit die politische Führung. Bundesangsthase Olaf Scholz hat sich immer an Biden geklammert und musste von ihm oft getreten werden, um das Richtige zu tun. Diese Tritte gibt es jetzt nicht mehr und die politische Führung, die Europäer zusammenzuhalten, gibt es auch nicht mehr. Das wird politische Konsequenzen haben.

Wie sieht es bei Munition und Material aus?

Die Amerikaner sind für viele Munitionsarten und Rüstungsgüter mittlerweile die wichtigste und einzige Quelle. Die Fliegerabwehr wird beispielsweise immer wichtiger, weil Nordkorea doch eine erhebliche Anzahl an ballistischen Raketen an Russland liefert. Zum Vergleich: In den USA werden 550 bis 600 Patchwork-Raketen Pack 3 gefertigt, in Deutschland nur solche vom Typ Pack 2, die nicht so gut geeignet sind. Erst 2030 werden hier die ersten Pack 3 vom Band rennen. In Japan werden sie zwar produziert, aber nur 30 pro Jahr.

Europa kann also vor allem keine ausreichenden Mengen aufbieten?

Ja. Das, was die Amerikaner geliefert haben, war zwar auch zu wenig, aber immerhin etwas. Die Europäer würden es auch in puncto Artilleriemunition allein nicht schaffen, die Ukraine am Leben zu erhalten. Dafür muss man im Ausland einkaufen. Südkorea wäre da ein wichtiger Puffer und Lieferant. Auch bei gepanzerten Fahrzeugen sieht es schlecht aus: Die USA sind der wichtigste Lieferant für Mannschaftstransportpanzer und Schützenpanzer.

Hätte man sich darauf vorbereiten können?

Wir hätten dieses Problem nur lösen können, wenn wir in der Rüstungsindustrie auf Kriegsproduktion umgestellt hätten. So hatte es Macron im September 2022 angekündigt, aber nie ausgeführt.

Was heißt "Kriegsproduktion" konkret?

Bei der Friedensproduktion arbeitet man mit festen Bestellungsverträgen. Man kauft eine Anzahl an Panzern, und die Rüstungsindustrie richtet ihre Produktion und die Zulieferung danach aus. Bei der Kriegsproduktion gäbe es eine Abnahmegarantie: Jeder Panzer, der produziert wird, wird abgekauft und man produziert so viel, wie man kann. Entweder würde man die Panzer dann der Bundeswehr oder der Ukraine geben.

Was bedeutet das zahlenmäßig?

Derzeit sind wir bei 36 Panzern in knapp zwei Jahren. Die volle Produktionskapazität von beispielsweise KMW (Rüstungshersteller, Anmerkung der Redaktion) läge aber bei 200 Kampfpanzer pro Jahr. Ein Hochfahren der Produktion geht natürlich nicht von heute auf morgen, sondern dauert etwa zwei Jahre. Zu Beginn des Krieges haben wir das nicht gemacht. Der Kanzler hat sich bewusst verweigert, den deutschen Fahrzeugbau für die Kriegsanstrengungen zu nutzen.

Was glauben Sie, warum?

Weil er persönlichen Ekel hatte, dass deutsche Panzer quasi einen Hauptanteil in Kriegslast tragen. Wenn man sich die Gesamtproduktionskapazitäten europäischer militärischer Fahrzeugbauer anschaut, ist die in Deutschland aber ohnehin am höchsten. Ohne die deutsche Rüstungsindustrie kriegen wir diesen Krieg nicht gebacken.

Könnte Südkorea Löcher stopfen, die die USA reißen?

Südkorea wäre im militärischen Fahrzeugbau eine Alternative. Dann müssten wir aber in der Europäischen Union ein Gesamtfinanzierungspaket schnüren – für südkoreanische Neuproduktion oder um Fahrzeuge in der Europäischen Union freizumachen. Aber auch die südkoreanische Rüstungswirtschaft braucht eine gewisse Vorlaufzeit. All diese Maßnahmen würden nicht sofort greifen.

Was erwarten Sie mit Blick auf die europäische Debatte?

Es wird wahrscheinlich extrem bittere Diskussionen geben, inwieweit wir noch Geräte aus unseren Streitkräften abgeben können. Nachdem Trump in Nato-Fragen äußerst wankelmütig ist, besteht die Gefahr, dass viele europäische Armeen sagen: Wir können uns in so einer unsicheren Lage eine Schwächung unserer eigenen Kapazitäten nicht leisten.

"Die Verluste an Personal treffen die Ukraine am härtesten."

Gustav Gressel

Bricht die Ukraine dann zusammen?

Die bisherige Unterstützung des Westens war nicht ausreichend in Qualität und Quantität, um der Ukraine ein Halten der Front zu erlauben. Die Russen machen Fortschritte und haben die Initiative. Wenn sich jetzt die Rüstungslieferungen weiter verringern, werden die ukrainischen Verluste wieder in die Höhe schnellen. Die Verluste an Personal treffen die Ukraine am härtesten. Panzer kann man immer nachliefern, aber gefallene Soldaten kann man nicht aus dem Grab aufstehen lassen. Vor allem die erfahrenen Soldaten sind nicht ersetzbar.

Die letzten Bemühungen waren also alle umsonst?

In gewissen Bereichen hat Europa Produktionskapazitäten gesteigert, auch die ukrainische Rüstungsproduktion wurde gewaltig hochgefahren. Sollten die Europäer sich nächstes Jahr zumindest entschließen, diese zu finanzieren, ist das Finanzierungsbedarf von etwa 30 Milliarden Euro. Aber es wird wirklich extrem schwer.

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Was passiert, wenn die Ukraine fällt?

Das wäre für Europa ein gigantisches Problem. Wir hätten dann ein Russland, das in der Ukraine einen Völkermord begeht und einen Großteil seines Sicherheitsapparates an diesem Völkermord beteiligt. Wir würden einen Siedler-Kolonialismus sehen. Wir sehen das bereits auf der Krim und in Mariupol. Russland würde Leute in der Ukraine ansiedeln. Diese Siedler verdanken dann ihr Eigentum dem Angriffskrieg und der russischen Politik. Wir haben dann nicht nur eine siegreiche russische Armee, sondern auch ein weit aggressiveres und militaristischeres Russland.

Und Putin würde weiter gen Westen greifen?

Wenn Trump mit der Nato spielt und ihre Garantien in Zweifel zieht, dann würde ich nicht garantieren, dass Putin die Füße stillhält. Dann ist das ein Krieg um die Vorherrschaft in Europa. Vor der Wahl hätte ich gesagt das ist ein Ereignis, das im nächsten Jahrzehnt mit einer durchaus signifikanten Wahrscheinlichkeit behaftet ist. Aber jetzt muss man sagen: In den nächsten Jahren.

Hat sich die Ukraine auf eine Trump-Präsidentschaft vorbereitet?

Es gab auf der ukrainischen Seite natürlich die Bemühungen, zu Trump vorzudringen, zu seinen Beratern und mit Leuten aus der Republikanischen Partei zu reden, um sozusagen die eigenen Interessen zumindest zu erläutern. Das lief nicht aber gut. Das Trump-Selenskyj Treffen lief so halbwegs, aber die Ukrainer hatten jetzt auch nicht den Eindruck, dass Trump sehr konstant bei Meinungen und Erwägungen bleibt. Das Problem ist: Am meisten Gehör findet man bei den alten, etablierten Republikanern – die unter Trump selber keinen oder wenig Einfluss haben.

"In der zweiten Amtszeit Trumps gibt es keine "Adults in the room", also keine Erwachsenen im Raum."

Gustav Gressel

Welchen Unterschied zwischen "Trump I" und "Trump II" erwarten Sie?

In der zweiten Amtszeit Trumps gibt es keine "Adults in the room", also keine Erwachsenen im Raum. Trump war schon während seiner ersten Präsidentschaft extrem erratisch, hat versucht, aus der Nato auszutreten oder Handelsabkommen mit Japan oder Sicherheitsabkommen mit anderen Staaten zu kündigen. Das wurde durch Mitarbeiter quasi vereitelt.

Und jetzt?

Jetzt ist Trump vorbereitet und hat sich mit radikalen Gleichgesinnten umgeben, die seine America-First-Agenda durchaus teilen und ihm zuarbeiten. Das wird die zweite Trump-Präsidentschaft weit gefährlicher machen als die erste. Man kann nur auf Zufallsereignisse hoffen.

Was meinen Sie damit?

Dass Putin zum Beispiel irgendetwas Unüberlegtes tut und Trump erzürnt. Darauf kann man aber nicht hoffen. Man kann keine Strategie oder Politik darauf aufbauen, dass man im Lotto gewinnt.

Putin selbst meinte einmal, er würde Biden bevorzugen, weil dieser berechenbarer sei.

Ja, aber dass Putin Biden bevorzugt, ist nur ein Schachzug, um von der russischen Unterstützung für Trump abzulenken. Es gab massive Propaganda und Trolle, die aus St. Petersburg und Moskau Stimmung gemacht haben.

Gibt es noch einen Hoffnungsschimmer?

Wir kriegen jetzt die Rechnung für die Bedenken des Kanzlers – mit Zinsen und Spesen. Wenn wir Glück haben, dann wird es extrem teuer für Deutschland. Wenn wir Pech haben, zahlen wir alle mit unserem Leben, weil es Krieg gibt. Ich habe wenig Vertrauen, dass der Kanzler Lehren zieht und jetzt richtig in die Gänge kommt. Ich hoffe, dass Deutschland in Neuwahlen zu einer klaren politischen Führung findet. Das bräuchte das Land jetzt. Anders wird es unter diesen schwierigen Bedingungen nicht gehen.

Über den Gesprächspartner

  • Der Politikwissenschaftler Gustav Gressel ist Hauptlehroffizier und Forscher an der Landesverteidigungsakademie in Wien.
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