Fünf Tatverdächtige hat die russische Justiz präsentiert, einer hat bereits ein Geständnis abgelegt. Steht der Mord an Putin-Kritiker Boris Nemzow damit vor der Aufklärung? Mitnichten. Es fehlen noch viele Puzzlestücke.
Fünf Männer aus dem Kaukasus also. Sie sollen für den spektakulären Mord an Putin-Kritiker Boris Nemzow verantwortlich sein, der am 27. Februar auf offener Straße in Sichtweite des Kreml erschossen wurde. Zumindest einer der Männer soll seine Beteiligung an der Tat bereits gestanden haben.
Die Entwicklung stützt eine These der russischen Ermittler: Sie gingen davon aus, dass Boris Nemzow von Islamisten ermordet wurde. Vertraute des Oppositionellen schenken dieser Version jedoch keinen Glauben. "Die Nonsens-Theorie der Ermittler über islamistische Motive nutzt dem Kreml und nimmt
Was dafür spricht:
Es liegt offenbar ein Geständnis vor. Saur Dadajew, zusammen mit einem weiteren Verdächtigen in Inguschetien festgenommen, habe sich zu der Tat bekannt, teilt die russische Justiz mit. Der Mann soll zehn Jahre lang für das Bataillon "Sewer" des tschetschenischen Innenministeriums gekämpft haben. Die Behörden deuten aber auch an: Nach den Hintermännern werde weiter gesucht.
Das widerspricht in sich schon der Version eines islamistischen Attentats – für eine Tat aus religiösem Hass braucht es keine Hintermänner. Beobachter schildern allerdings eine interessante Begebenheit aus dem Gerichtssaal: "Ich liebe Allah!", soll Dadajew dort gerufen haben. Der Mord als Vergeltungsakt also - weil Nemzow das Attentat auf "Charlie Hebdo" als Teil einer "islamischen Inquisition" bezeichnet hatte?
Was dagegen spricht:
Das Tatmotiv Islamismus hält einem genauen Blick kaum stand: Zwar gab es in Russland und vor allem im Kaukasus in den vergangenen Jahren immer wieder islamistische Terrorangriffe, die gegen die Regierung in Moskau gerichtet waren. Aber nach Terror sieht dieser Mord an einer einzelnen Person, die zudem selbst ein bekannter Kreml-Kritiker war, nicht aus. Eher schon nach einer Auftragstat.
Als Auftraggeber käme Ramsan Kadyrow, Präsident in Tschetschenien, infrage. Das berichtete beispielsweise die "FAZ". Kadyrow lobte Saur Dadajew am Sonntag in Instagram-Botschaften als besonders tapferen Soldaten und "wahrhaften Patrioten Russlands". Befehlshaber des "Sewer"-Bataillons, in dem Dadajew diente, ist ein Duma-Abgeordneter aus Putins Partei "Einiges Russland".
Kadyrows Kämpfer dienen ihrem Präsidenten schon seit Jahren auch dazu, unliebsame Menschen auf offener Straße zu erschießen - und die, die darüber berichten, gleich mit. So geschehen im Fall Anna Politkowskaja. Die Journalistin hatte immer wieder über die schlimme Menschenrechtslage in Tschetschenien geschrieben. 2006 wurde sie in Moskau erschossen, übrigens am 7. Oktober. Das ist der Geburtstag von Wladimir Putin.
In den Dienst des russischen Präsidenten stellt sich Kadyrow immer wieder. Er werde die Befehle des "nationalen Führers an jedem Ort der Welt ausführen", sagte er einmal vor seinen Truppen. Oppositionelle wie Nemzow, empfahl Kadyrow 2011, soll man vorsorglich ins Gefängnis stecken, um innere Unruhen zu vermeiden. Nemzow unterstellte dem tschetschenischen Präsidenten daraufhin, er sei "psychisch schwer krank". Wenn die Spur also zu Kadyrow führt, läge es nahe, dass auch der Kreml involviert war.
Experten sind skeptisch, ob die Öffentlichkeit je genug erfahren wird, um zweifelsfrei sagen zu können, was der Kreml mit dem Mord an Nemzow zu tun hat. "Ich bezweifle, dass wir jemals die Hintergründe dieses Mords erfahren werden, wie bei vielen anderen Morden davor, die nie aufgeklärt worden sind", sagte Russland-Experte Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik jüngst der "Tagesschau". Im Fall Politkowskaja zum Beispiel wurden zwar Urteile vollstreckt, die Justiz präsentierte auch einen tschetschenischen Geschäftsmann als Hintermann – warum er den Auftrag an der kritischen Journalistin in Auftrag gegeben haben soll, ist aber bis heute nicht geklärt.
"Ich traue den Ermittlungsbehörden nicht", sagte Boris Nemzows Tochter Schanna am Sonntagabend bei Günter Jauch. Mit dem Gefühl steht sie nicht allein da.
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