- Olaf Scholz sagt "Basta" im Streit um die Laufzeit dreier Atomkraftwerke und entscheidet als Bundeskanzler, dass die Meiler bis April 2023 am Netz bleiben sollen.
- Er beruft sich auf seine Richtlinienkompetenz.
- Das kommt nicht überall gut an - vor allem bei den an der Regierung beteiligten Grünen.
16 Jahre war
Nur einmal, im Sommer 2018, als der erbitterte interne Streit über den Umgang mit Geflüchteten die Unionsparteien CDU und CSU an den Rand der Trennung brachte, drohte Merkel CSU-Chef und Innenminister Horst Seehofer, davon Gebrauch zu machen – und plötzlich war Ruhe im Karton.
Brief an Minister: Scholz zieht Richtlinienkompetenz-Karte
Doch am Montagabend (17. Oktober) war diese Scholz-Aussage bereits hinfällig. Offenbar war es ihm einfach zu bunt geworden im festgefahrenen Koalitionsstreit um die Verlängerung des Betriebs dreier Atomkraftwerke. Schon gut zehn Monate nach seinem Amtsantritt zog der Kanzler die Richtlinienkompetenz-Karte.
Er schickte einen Brief (!) inklusive Handlungsaufforderung an die zuständigen Regierungsmitglieder:
Inhalt: Er als Bundeskanzler habe unter Berufung auf Paragraph 1 der Geschäftsordnung der Bundesregierung folgende Entscheidung getroffen: "Es wird die gesetzliche Grundlage geschaffen, um den Leistungsbetrieb der Kernkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 sowie Emsland über den 31.12.2022 hinaus bis längstens zum 15.4.2023 zu ermöglichen."
Er bitte darum, "die entsprechenden Regelungsvorschläge dem Kabinett nun zeitnah vorzulegen", über die dann der Gesetzgeber entscheide.
Rumms! Oder, um im Scholz-Sprech zu bleiben: Wumms!
Grünen-Fraktion kritisiert Machtwort von Scholz
Was aber steht eigentlich genau in der Geschäftsführung der Bundesregierung, auf die sich Scholz beruft? Unter Paragraph 1 heißt es dort:
Die Aktion des Bundeskanzlers kam besonders bei der Bundestagsfraktion der Grünen wenig gut an. Deren Parlamentarische Geschäftsführerin, Irene Mihalic, kritisierte die Berufung auf die Richtlinienkompetenz.
"In der Vergangenheit war nicht klar, wie sich der Kanzler in der Atomfrage eigentlich positioniert", sagte sie den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) vom Dienstag. Jetzt spreche er plötzlich ein Machtwort. "Das zeugt nicht von großer Führungsstärke. Das muss künftig anders werden."
Dies gelte nicht zuletzt auch deshalb, weil Scholz in der Vergangenheit schon häufiger einsame Entscheidungen getroffen habe, sagte Mihalic. Sie verwies dabei auf das Sondervermögen für die Bundeswehr von 100 Milliarden Euro. Das dürfe nicht zur Regel werden.
In der Sache habe die Grünen-Fraktion weiter Beratungsbedarf, erklärte die Fraktionsgeschäftsführerin. Sie hob aber hervor, mit der Entscheidung des Kanzlers sei "der Atomausstieg zum 15. April 2023 besiegelt".
Atomkraft-Gegner Trittin verärgert: Scholz-Brief nicht vom Grundgesetz gedeckt
Besonders ungehalten reagierte Atomkraft-Gegner Jürgen Trittin. "Die Entscheidung ist fachlich nicht gerechtfertigt, sie ist nicht durch den Stresstest gedeckt, sie ist politisch außerordentlich fragwürdig", sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete dem ZDF. "Das wird, glaube ich, noch eine ganz schwierige Operation."
Gegenüber dem RND polterte Trittin außerdem: "Mag sein, dass der Brief von der Geschäftsordnung der Bundesregierung gedeckt ist, vom Grundgesetz ist er es nicht. Danach führen die Minister ihre Ressorts in eigener Verantwortung. Die Geschäftsordnung der Bundesregierung bindet auch nicht die Fraktionen bei der Umsetzung einer Formulierungshilfe für ein Gesetz."
Kippen die Grünen im Bundestag das Gesetz und untergraben so die Autorität von Scholz?
Könnte es also sein, dass die Grünen der (noch nicht vorliegenden) Gesetzesvorlage im Bundestag nicht zustimmen und so das Machtwort des Kanzlers infrage stellen? Es wäre vermutlich der Anfang vom Ende der Ampelkoalition.
Wirtschaftsminister Habeck glaubt nicht, dass es so weit kommen könnte. Dennoch appellierte er am Montagabend in der ARD vorsorglich an das Verantwortungsbewusstsein seiner Partei. Er könne sich ein Veto der Grünen-Fraktion nicht vorstellen: "Weil das Land, Europa sich ja in einer schweren Krise befindet, und in dieser Situation dann die Regierung aufs Spiel zu setzen, scheint mir überhaupt nicht verhältnismäßig zu sein."
Die Grünen-Fraktionsführung will der Fraktion jedenfalls empfehlen, dem "Vorschlag" von Scholz zu folgen. Das sagte die Co-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann am Dienstag in Berlin. Es gehe darum, eine Kontroverse nach einer verhärteten Lage abzuschließen, sagte sie mit Blick auf einen langen Streit mit der FDP.
Haßelmann stellte allerdings klar, dass die Fraktion sich an die Richtlinienkompetenz von Scholz nicht gebunden fühle, das Parlament insgesamt auch nicht. Eine Richtlinienkompetenz übe man aus gegenüber der Bundesregierung. Die Fraktionsführung werde aber empfehlen, dem "Vorschlag" des Bundeskanzlers zu folgen - auch wenn in der Sache ein Weiterbetrieb des Atomkraftwerks Emsland fachlich nicht notwendig sei. Die Fraktion habe sich für eine Einsatzreserve der zwei süddeutschen Atomkraftwerke ausgesprochen.
Die Opposition in Gestalt der Union wittert jedoch bereits Morgenluft. Der Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Thorsten Frei, sieht das scholzsche Basta im Atomstreit als Zeichen der Schwäche der Koalition. "Er hat dieses scharfe Schwert gezogen, und rausgekommen ist ein fauler Kompromiss", sagte der CDU-Politiker am Dienstag in Berlin. Er glaube nicht, dass man so etwas mehr als einmal in einer Koalition machen könne. Dies sei "keine starke Nummer" von Scholz gewesen. Offensichtlich sei die Ampel-Koalition auf einer Ebene der Kommunikation angekommen, die keine gute sei.
Verwendete Quellen:
- Webseite der Bundesregierung
- Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung
- Agenturmaterial von dpa und afp
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