Anders als die Menschen im Gazastreifen, muss die Mehrheit der Israelis nicht akut um ihr Leben fürchten. Trotzdem ist auch der Alltag in Israel zu Zeiten der Offensive gegen die Hamas weit davon entfernt, normal zu sein. Die Stimmung ist enorm aufgeheizt.
Am vergangenen Samstag trafen erneut Kriegsgegner und Befürworter der "Operation Fels in der Brandung" in der nördlichen Hafenstadt Haifa aufeinander. Rechtsgerichtete Protestler attackierten dabei wie in Jerusalem und Tel Aviv linke Aktivisten und arabische Israelis. Bis die Polizei die gewaltsame Versammlung auflöste.
"Tod den Arabern!", "Linke in die Gaskammern!" auf der einen Seite. "Regierungsminister sind Kriegsverbrecher!" auf der anderen. So hallt es zurzeit durch die Straßen vieler israelischer Städte. Die Stimmung in Israel ist aufgeheizt und hinterlässt ihre Spuren. Doch von außen betrachtet sieht es fast so aus, als ob der Alltag trotzdem weitergehen würde.
Zur Sicherheit in den Keller
Noch vor drei Wochen litten hauptsächlich die Bewohner im Süden Israels unter den Attacken aus Gaza. Jetzt erreichen die Raketen der Hamas immer öfter auch Städte im Landesinneren. Anders als zu dieser Zeit üblich, sind die Strände von Tel Aviv deutlich leerer. Auch Großveranstaltungen wie Theatervorstellungen und Konzerte sind weniger gut besucht oder fallen im Zweifel sogar aus. Bei einem Alarm lassen sich Hunderte von Menschen in wenigen Minuten schlecht in Sicherheit bringen. Und selbst Israelis, die sich durch das Raketen-Abwehrsystems "Iron Dome" in Sicherheit wähnen, meiden aus Respekt vor den Toten zurzeit manche Abendunterhaltung.
"Ich verabrede mich weiterhin mit meinen Freunden zum Kaffee. Man kann nicht über Tage hinweg in dieser angespannten Haltung ausharren", meint dagegen Itay. Die junge Frau aus Yavne, einer kleinen Stadt südlich von Tel Aviv etwa 55 Kilometer von Gaza entfernt, sucht gerade nach einem neuen Job und lebt im Moment bei ihren Eltern. Manchmal ertönt der Alarm mehrmals täglich, doch meistens zerstört das Abwehrsystem eine der zahlreichen Hamas-Raketen. "Glücklicherweise haben wir einen richtigen Keller, in dem wir Schutz suchen können", sagt Itay. "So muss ich nicht erst durch die halbe Nachbarschaft zum Luftschutzbunker laufen."
"Iron Dome": begrenzte Abwehrkapazität
Wer weiter weg vom Gazastreifen wohnt, hat oft keinen Keller. Dann bleibt, sobald die Sirenen aufheulen, nur das Treppenhaus, um sich vor eventuell einschlagenden Geschossen zu schützen. Autofahrer sollen bei Luftalarm am besten am Straßenrand parken, aussteigen und sich mit den Händen über dem Kopf flach auf den Boden legen. So zumindest steht es in den offiziellen Vorsorgemaßnahmen der israelischen "IDF Homefront Command".
Das Abwehrsystem der israelischen Armee lässt nach eigenen Angaben 90 Prozent aller Raketen aus dem Gazastreifen noch in der Luft explodieren. Trotzdem warnte Militärexperte Ben Yischai am Mittwoch in der Zeitung "Yedioth Ahronoth" davor, sich von der Präzision des Schutzschilds blenden zu lassen. Auch die Hamas weiß, dass die Abwehrkapazität des Verteidigungssystems begrenzt ist und hat inzwischen wiederholt Dutzende Raketen auf einmal abgefeuert.
Israelis, die sich dennoch in Gelassenheit üben, werden immer wieder von der Realität eingeholt. So erging es Diana aus Jerusalem: In fünf Tagen will die 28-Jährige heiraten. Gestern erfuhr sie, dass die Armee ihren Trauzeugen kurzfristig als Reservist zum Einsatz nach Gaza eingezogen hat. Ob er rechtzeitig zurückkommt oder sogar Kriegsopfer wird, ist ungewiss. Jeden Tag kann die Armee weitere Hochzeitsgäste abziehen.
Feiern? Aber bitte privat!
Auch in der Westbank liegen Freud und Leid in diesen Tagen eng beieinander. Nachdem Schulabgänger aus Bethlehem am vergangenen Dienstag die Ergebnisse ihrer Aufnahmeprüfungen für umliegende Universitäten erhalten hatten, waren Feuerwerke zu sehen, während Autokorsos hupend durch die Gegend fuhren. "Unglaublich", fasst eine israelische Journalistin die Reaktion eines palästinensischen Freundes zusammen. "Da findet gerade ein Massaker in Gaza statt und die Leute haben nichts Besseres zu tun, als Feuerwerke zu zünden." Feiern wäre grundsätzlich in Ordnung, aber bitte im privaten Rahmen.
Sogar der ansonsten so ausgelassene Mahmoud aus Ramallah wirkt zurzeit ernst. Er bemüht sich gerade, Hilfsaktionen für seine "Brüder und Schwestern" auf die Beine zu stellen. "Ich bin Gaza" oder "#FürGaza" prangt auf den T-Shirts, die seine Freunde und er verkaufen, um Spenden zu sammeln. "Diese Kampagne", sagt Mahmoud, "soll unserem Volk in Gaza zeigen, dass wir ihnen zur Seite stehen".
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