Das Vorgehen Israels gegen die islamistische Hamas im Gazastreifen wird in der EU kontrovers diskutiert. Beim Gipfeltreffen in Brüssel einigte man sich nun dennoch auf eine gemeinsame Erklärung.
Die Europäische Union verschärft angesichts der katastrophalen humanitären Situation im Gazastreifen ihren Ton gegenüber Israel. Die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten forderten am Donnerstagabend bei einem Gipfeltreffen in Brüssel Feuerpausen und geschützte Korridore für sichere Hilfslieferungen in den Gazastreifen. Die sich verschlechternde humanitäre Lage in Gaza gebe Anlass zu größter Besorgnis, heißt es in einer Gipfelerklärung zum Nahostkonflikt. Man unterstütze Bemühungen für eine internationale Friedenskonferenz.
"Zivilisten müssen immer und überall geschützt werden", sagte EU-Ratspräsident Charles Michel mit Blick auf die Lage im Gazastreifen. Noch deutlicher wurde Belgiens Premierminister Alexander De Croo. Zwar verurteilte er den Hamas-Terror scharf, sagte dann aber an Israel gerichtet: "Das ist niemals eine Entschuldigung dafür, eine ganze Region zu blockieren. Es kann niemals eine Entschuldigung für die Blockierung humanitärer Hilfe sein. Es kann niemals eine Entschuldigung dafür sein, eine Bevölkerung auszuhungern."
Streit um Forderungen nach Waffenstillstand
Um Forderungen nach einem sofortigen humanitären Waffenstillstand für den Gazastreifen hatte es bereits vor dem Gipfel heftigen Streit in der EU gegeben. Länder wie Deutschland, Österreich und Ungarn sprachen sich klar dagegen aus, dass sich die EU solchen Aufrufen öffentlich anschließt. Sie argumentieren, ein solcher Vorstoß sei angesichts des anhaltenden Terrors der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas unangemessen.
Länder wie Spanien oder Irland setzten sich hingegen wegen der vielen zivilen Opfer bei israelischen Angriffen auf Ziele im Gazastreifen für einen solchen Aufruf ein. Sie argumentieren, dass die von Israel ausgehende Abriegelung des Gazastreifens klar gegen das Völkerrecht verstößt. Vor allem Deutschland wird hinter vorgehaltener Hand vorgeworfen, nur vor dem Hintergrund seiner Nazi-Vergangenheit keine Aufrufe an Israel richten zu wollen.
Vorwurf der Doppelmoral
Als Gefahr wird von Ländern, die das Anliegen der Palästinenser stärker unterstützen, gesehen, dass sich die EU auf internationaler Ebene unglaubwürdig macht, wenn sie mögliche Völkerrechtsbrüche von Israel nicht adressiert. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund der Bemühungen der EU, Länder Lateinamerikas, Afrikas und Asiens zu einer stärkeren Zusammenarbeit gegen den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu bewegen.
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Spitzenbeamte der EU vertreten hinter verschlossenen Türen sogar die Auffassung, dass Israel im Gazastreifen wahllos und ohne größere Rücksicht auf Zivilisten zivile Infrastruktur bombardiert. Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums kamen bisher 7028 Menschen ums Leben, mehr als 18.000 sollen verletzt worden sein. In Israel sind seit dem blutigen Überfall der Hamas am 7. Oktober bisher mehr als 1400 Tote und rund 4000 Verletzte zu beklagen.
Der Kompromiss in der Gipfel-Erklärung besteht nun darin, nicht zu einem weitgehenden Waffenstillstand aufzurufen, aber «humanitäre Korridore und Pausen für humanitäre Zwecke» zu fordern. Die Verwendung des Wortes "Pausen" im Plural soll demnach deutlich machen, dass die EU Israel nicht auffordert, den Kampf gegen die Hamas mit sofortiger Wirkung und dauerhaft einzustellen. Diesen Eindruck wollen Länder wie Deutschland und Ungarn unbedingt vermeiden.
Selbstverteidigungsrecht mit Grenzen
Israel dürfe alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, damit sich das, was passiert sei, nicht wiederhole, sagte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban in Brüssel. Er zählt mit Deutschland, Österreich und Tschechien zu den kompromisslosesten Israel-Unterstützern in der EU.
Dies wird allerdings von etlichen EU-Partnern anders gesehen und kann auch aus dem Text für die Abschlusserklärung herausgelesen werden. Dort wird zwar nachdrücklich das Recht Israels betont, sich zu verteidigen - allerdings mit der Einschränkung, dass dies «im Einklang mit dem Völkerrecht und dem humanitären Völkerrecht» geschieht. Demnach ist der Einsatz von Zivilisten als menschliche Schutzschilde zwar eine «besonders beklagenswerte Grausamkeit», aber keine Entschuldigung, die Strom- und Wasserversorgung des Gazastreifens zu kappen.
Deutlich wird die zunehmende Kritik an der Gegenoffensive Israels auch mit der Zusage der EU, eng mit den Partnern in der Region zusammenarbeiten, um auch den Zugang zu Treibstoff zu erleichtern. Sie stellt sich damit klar gegen die israelische Regierung, die aus Angst vor Missbrauch bislang nicht zulassen will, dass der Gazastreifen weiter mit Treibstoff beliefert wird. In der EU-Erklärung heißt es dazu, die EU werde sicherstellen, dass diese Hilfe nicht von terroristischen Organisationen missbraucht werde.
Achtung des Völkerrechts: Scholz vertraut Israel
Sorgen bereiten europäischen Staats- und Regierungschefs vor allem die möglichen Folgen einer zu drastischen Reaktion Israels auf den Terror der Hamas. Die Art und Weise der Antwort sei wichtig für die zukünftige Sicherheit der ganzen Region - eingeschlossen der in der Europäischen Union, mahnte der irische Regierungschef Leo Varadkar.
Auch Bundeskanzler
Befürchtungen, dass Israel bei seinem Vorgehen gegen die Hamas das Völkerrecht aushebeln könnte, trat Scholz mit sehr klaren Worten entgegen. "Israel ist ein demokratischer Staat mit sehr humanitären Prinzipien, die ihn leite", sagte er. "Und deshalb kann man sicher sein, dass die israelische Armee auch bei dem, was sie macht, die Regeln beachten wird, die sich aus dem Völkerrecht ergeben. Da habe ich keinen Zweifel."
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warnte beim Gipfel vor den Gefahren eines Flächenbrands im Nahen Osten für Europa. "Die Feinde der Freiheit sind sehr daran interessiert, die freie Welt an eine zweite Front zu bringen", sagte er in einer Videoansprache. "Je eher im Nahen Osten Sicherheit herrscht, desto eher werden wir hier - in Europa - Sicherheit wiederherstellen."(dpa/jst)
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