Chan Junis gilt als wichtiger Stützpunkt der islamistischen Hamas. Nun kündigt Israel dort einen Truppenabzug an. Derweil wächst die Kritik an Regierungschef Netanjahu immer mehr.
Nach monatelangen erbitterten Kämpfen gegen die islamistische Hamas hat Israel am Sonntag offenbar alle Soldaten aus dem südlichen Gazastreifen abgezogen.
Ausgenommen sei nur eine Einheit, teilte die israelische Armee der Nachrichtenagentur AFP mit. Während Israel ein halbes Jahr nach dem schlimmsten Angriff seit seiner Staatsgründung der Opfer des Hamas-Angriffs vom 7. Oktober gedachte, drohte der Iran mit Angriffen auf diplomatische Vertretungen Israels im Ausland.
Die israelische Armee erklärte, ihre 98. Kommandodivision habe "am 7. April ihren Einsatz in Chan Junis beendet" und den Gazastreifen "verlassen, um sich zu erholen und sich auf zukünftige Operationen vorzubereiten". Auf die Frage, ob dies bedeute, dass alle Soldaten den südlichen Gazastreifen verlassen hätten, antwortete ein Sprecher: "Ja."
Eine Einheit unter der Führung der 162. Division und der Nachal-Brigade verbleibe jedoch weiterhin im Gazastreifen, hieß es in der Erklärung weiter. Damit sollten "die Handlungsfreiheit" der Armee und "ihre Fähigkeit zur Ausführung präziser nachrichtendienstlicher Operationen aufrecht erhalten" werden.
Die 98. Division habe "die Hamas-Brigaden in Chan Junis zerschlagen und tausende ihrer Mitglieder getötet", begründete ein Armeevertreter laut einem Bericht der Zeitung "Haaretz" den Schritt. Die Truppen hätten dort "alles getan, was wir konnten". Vor den Kämpfen nach Rafah geflohene Palästinenser könnten demnach nun nach Chan Junis zurückkehren.
Sechs Monate Krieg in Nahost
Die Hamas hatte den Krieg am 7. Oktober mit ihrem brutalen Überfall auf Israel ausgelöst. Kämpfer der von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuften Hamas und weiterer militanter Palästinensergruppen drangen in israelische Orte ein und verübten Massaker an Zivilisten. Nach israelischen Angaben töteten sie etwa 1160 Menschen, zudem verschleppten sie rund 250 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen. Von ihnen werden noch immer etwa 130 festgehalten, mehr als 30 von ihnen sind mutmaßlich tot.
Als Reaktion auf den Angriff startete Israel einen massiven Militäreinsatz im Gazastreifen, zunächst vor allem im Norden des Palästinensergebiets, dann in der als Hamas-Hochburg geltenden Stadt Chan Junis. Nach jüngsten Angaben der Hamas, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, wurden dabei mehr als 33.100 Menschen getötet. Die Menschen im Gazastreifen leiden unter einer katastrophalen Versorgungslage.
Netanjahu: Kein Waffenstillstand ohne Rückkehr der Geiseln
Laut Israels Regierungschef
Zuvor hatte bereits Israels Präsident Isaac Herzog an "den grausamen Terrorangriff und das grauenerregende Massaker" vom 7. Oktober erinnert. Mit Blick auf den Hamas-Überfall und den dadurch ausgelösten Krieg sagte Herzog, es sei ein halbes Jahr her "seit diesem Verbrechen gegen unsere Schwestern und Brüder, gegen unseren Staat, diesem Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Diesem seien "sechs Monate eines blutigen und schwierigen Krieges" gefolgt.
Die unter Vermittlung der USA, Ägyptens und Katars seit Monaten geführten Verhandlungen über eine Feuerpause und Geiselfreilassungen gestalten sich schwierig. Laut einem hochrangigen US-Regierungsvertreter hat die Hamas bisher eine entsprechende Einigung verhindert.
Laut einem Bericht des ägyptischen Senders Al-Kahera News sollten noch am Sonntag CIA-Direktor William Burns und Katars Regierungschef Mohammed bin Abdulrahman Al-Thani gemeinsam mit ägyptischen Vermittlern an den indirekten Gesprächen zwischen Israel und der Hamas teilnehmen.
Die Hamas hatte im Vorfeld erklärt, sie halte weiter an ihren Forderungen vom 14. März fest, wonach sie einen vollständigen Waffenstillstand und den Abzug der israelischen Streitkräfte aus dem Gazastreifen verlangt. "Wir werden von dieser Position nicht abrücken", hieß es am Samstag.
Kritik an Netanjahu wächst
In Israel wächst derweil die Kritik an Netanjahu. Am Samstag beteiligten sich in Tel Aviv und anderen Städten erneut zehntausende Menschen an Protesten gegen den rechtsgerichteten Regierungschef. Sie forderten seinen sofortigen Rücktritt und Neuwahlen.
Bei einer weiteren Kundgebung am Sonntag forderte eine Geisel-Angehörige die Regierung auf, "alles" für die Geiselfreilassung zu tun. "Zahlen Sie den Preis, egal welchen, den höchsten Preis, es ist mir egal", sagte die Cousine von Ofer Kalderon, Jifat Kalderon. "Ich will, dass Ofer und alle anderen nach Hause kommen."
Derweil drohte der Iran nach einem Israel zugeschriebenen Angriff auf ein iranisches Konsulargebäude in Damaskus mit Vergeltungsangriffen auf israelische Vertretungen im Ausland. "Die Botschaften des zionistischen Regimes sind nicht mehr sicher", sagte der hochrangige Berater von Ayatollah Chamenei, Jahja Rahim Safawi, laut der Nachrichtenagentur Isna. Als Beispiel nannte er Israels diplomatische Vertretungen in Jordanien, Ägypten, Bahrain und in der Türkei. (afp/dpa/spl/fte)
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