Kurzzeitig stiegen die Ölpreise nach dem Angriff der Hamas auf Israel an, dann fielen sie erst einmal wieder ab. Welche Auswirkungen dieser Krieg für die langfristige Entwicklung der Energiepreise in Deutschland haben wird, hängt nun vor allem vom Verhalten der Nachbarn Israels ab, sagen Experten.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Michael Freckmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Am Montag nach dem Angriff der Hamas auf Israel stieg der Ölpreis an, sodass mancher gleich eine Preisexplosion befürchtete. Bis jetzt ist ein solches Szenario nicht eingetreten. Die Situation in Israel hingegen bleibt vorerst angespannt. Möglicherweise steht in Gaza demnächst eine Bodenoffensive der israelischen Armee bevor. Wie die arabischen Nachbarn Israels darauf reagieren, ist bisher nicht absehbar.

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"Eine besondere Rolle kommt hierbei Saudi-Arabien, einem der wichtigsten Ölförderländer der Region, zu", sagt Timo Wollmershäuser vom Ifo Institut München unserer Redaktion. So hat dieses Land eine entsprechend große Macht, wenn es darum geht, durch Verknappung der Fördermenge den Preis in die Höhe zu treiben. Daher sollte es das Ziel der internationalen Gemeinschaft sein, dass Saudi-Arabien seine Fördermenge nicht verknappt, sagt der Experte.

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Bisher gebe es noch keine Anzeichen dafür, dass dies unmittelbar bevorstehe. Falls dies dennoch geschehe, bliebe anderen Ölförderstaaten die Möglichkeit, ihre Mengen zu erhöhen, sagt der Münchner Wirtschaftsforscher. Insbesondere die USA könnten dann aktiv werden und ihre Produktion erhöhen sowie ihre Reserven freigeben. Dies könnte dann wiederum zu einem Sinken des Preises führen.

Wie verhalten sich Israels Nachbarn?

Ob sich der Konflikt zwischen Israel und der Hamas in der Region ausbreitet und die Nachbarstaaten mit hineinziehen wird, ist derzeit schwer kalkulierbar. Die Beziehungen zwischen Israel und Saudi-Arabien waren über die vergangenen Jahrzehnte äußerst schwierig, bis sich beide Länder in den letzten Jahren angenähert haben.

Aus der Arabischen Liga, der Interessenvertretung arabischer Staaten, war am Donnerstag zu hören, dass deren Mitglieder das Ende der Blockade des Gazastreifens durch die israelische Armee forderten, wie der Deutschlandfunk meldete.

Wie sehr eine solche Konfliktlage eskalieren könnte, zeigt ein Blick zurück, wie Wollmershäuser sagt. Denn infolge des Jom-Kippur-Krieges in Israel im Jahr 1973 verknappten die arabischen Staaten ihre Ölfördermengen und verhängten ein Embargo gegen die USA. Dies habe dann zu einer weltweiten Wirtschaftskrise und stark steigender Inflation geführt. Der Ölpreis verfünffachte sich damals.

Über die vergangenen Jahrzehnte habe sich die Abhängigkeit der Weltwirtschaft vom Öl aus dem arabischen Raum verringert, erklärt Wollmershäuser. Dennoch wäre seiner Einschätzung nach mit negativen Folgen für die Weltwirtschaft zu rechnen, wenn es doch zu einer Verknappung der Angebotsmenge des Öls käme. Demnach würden dann die Produktionskosten in den rohölintensiven Industrien steigen und Kraftstoffe teurer werden.

Dies würde dann zu einer weiteren Steigerung der Inflation führen. Eine Folge könnte sein, dass die Notenbanken mit erneuten Zinsanhebungen versuchen würden, die Inflation einzufangen. Je nach Ausmaß des Rohölpreisanstieges könnte dies auch in eine globale Rezession führen, sagt der Wirtschaftsforscher.

Deutschlands Handlungsspielraum ist begrenzt

"Deutschland kann keine weiteren Raffineriekapazitäten schaffen oder mehr Diesel importieren", sagt Thomas Puls vom Institut der Deutschen Wirtschaft Köln unserer Redaktion. Damit ist der Handlungsspielraum Deutschlands eher begrenzt, um auf ein solches Szenario unmittelbar zu reagieren.

Darüber hinaus weist Wirtschaftsforscher Puls auf die komplexen Gründe für die derzeit ohnehin schon hohen Kraftstoffpreise hin. Denn die in letzter Zeit zu beobachteten Preisausschläge an den Tankstellen hingen weniger mit dem Rohölpreis, als mit einem Mangel an "Mitteldestillaten" zusammen. Also Produkten wie Diesel und Heizöl, die in Raffinerien gewonnen werden.

Aufgrund des Wegfalls von Russland als Exporteur von Energieträgern nach Europa sei der Dieselpreis stark angestiegen. Dasselbe gelte für das ähnlich strukturierte Heizöl. Normalerweise seien die Preise von Diesel und Benzin an den internationalen Börsen nicht weiter als sieben Cent auseinander, sagt Puls. Aktuell liege der Dieselpreis etwa 20 Cent über dem Preis für Benzin.

Auch die Internationale Energieagentur warnte am Donnerstag bereits vor einem Anstieg des Dieselpreises im kommenden Winter, die der Deutschlandfunk berichtet. Mögliche negative Auswirkungen auf die Energiepreise, die Folge einer weiteren Eskalation in Nahost wären, würden somit die Preise noch zusätzlich erhöhen.

Deutschland hätte nach Ansicht von Thomas Puls zwar theoretisch verschiedene Möglichkeiten, auf solche Preisanstiege von Energieträgern zu reagieren. Doch vielversprechend sind sie in den Augen des Wirtschaftsforschers alle nicht. So könnte der Staat Steuersenkung auf Kraftstoffe einführen, wie es sie mit dem "Tankrabatt" bereits einmal gegeben hat.

Dies sei Puls zufolge keine wirksame Maßnahme, da sie erhebliche finanzielle Mittel binde und nicht zielgenau jenen helfe, die wirklich unter einem hohen Preisniveau zu leiden hätten. Alternativ könne man, sagt der Forscher, die Erhöhung des CO2-Aufschlags zum Jahreswechsel aussetzen. Aber auch dieser Effekt wäre so gering, dass er nicht geeignet wäre, die Effekte eine Krisenausweitung abzufangen.

Über die Gesprächspartner:

  • Prof. Dr. Timo Wollmershäuser, Leiter der Konjunkturforschung und –prognosen sowie stellvertretender Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen am ifo Institut München.
  • Thomas Puls, Senior Economist für Verkehr und Infrastruktur am Institut der deutschen Wirtschaft Köln.

Verwendete Quellen:

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