Gantz pocht auf einen Plan für den Gazastreifen nach Kriegsende. Doch Ministerpräsident Netanjahu weigert sich. Gantz' Rückkehr in die Opposition könnte Israels Ansehen international weiter schaden.
Wegen Meinungsverschiedenheiten über die Zukunft des Gazastreifens verlässt Minister Benny Gantz die in Israel nach dem Terroranschlag der islamistischen Hamas vom 7. Oktober gebildete Notstandsregierung. Gantz verkündete dies am Sonntagabend vor Journalisten. Der 65-jährige Ex-Verteidigungsminister hatte den Schritt bereits angedroht, sollte von der Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kein Plan für eine Nachkriegsordnung im Gazastreifen erarbeitet werden.
Das von Gantz vor einigen Wochen an Netanjahu gestellte Ultimatum in der Sache war am Samstag ausgelaufen. Wegen der dramatischen Befreiung von vier Geiseln aus dem Gazastreifen verschob er jedoch eine geplante Pressekonferenz in letzter Minute. Der Austritt aus der von
Gantz verlässt israelische Regierung - Netanjahu behält Mehrheit
Israels Führung wird er mit dem Schritt aber nicht stürzen. Denn Netanjahus rechtsreligiöses Kabinett verfügt auch ohne Gantz' Partei weiterhin über eine Mehrheit von 64 von 120 Sitzen im Parlament. Der ehemalige General Gantz war nach dem beispiellosen Angriff der Hamas und anderer Terrorgruppen am 7. Oktober als Minister ohne Ressort in Netanjahus Regierung eingetreten, um ein Zeichen der Geschlossenheit setzen. An sich ist die von Gantz geführte Zentrumspartei Nationale Union in der Opposition.
Netanjahu bildete auch ein Kriegskabinett mit Verteidigungsminister Joav Galant, Gantz sowie zwei Beisitzern ohne Stimmrecht. Der Einfluss von Netanjahus ultrarechten Koalitionsmitgliedern wurde somit bei der Mitbestimmung über die wichtigsten Kriegsentscheidungen begrenzt. Gantz' Schritt könnte Berichten zufolge zu einer Auflösung des Kriegskabinetts führen.
Netanjahu wollte Gantz in Notstandsregierung halten
Netanjahu hatte Gantz am Samstagabend dazu aufgefordert, nicht zu gehen. "Verlassen Sie die Notstandsregierung nicht. Geben Sie die Einheit nicht auf", schrieb er auf der Plattform X an Gantz gerichtet. "Dies ist die Zeit der Einheit und nicht der Spaltung. Wir müssen angesichts der großen Aufgaben, die vor uns liegen, unter uns geschlossen bleiben."
Die "Times of Israel" schrieb, Netanjahu sei ohne Gantz' Unterstützung noch anfälliger für die Forderungen seiner rechtsreligiösen Koalitionspartner, die etwa einen noch härteres Vorgehen gegen die Hamas im Gazastreifen fordern. Das Blatt mutmaßte, dass Israels Führung so noch schneller internationale Unterstützung verlieren könnte. Gantz hatte der am weitesten rechtsstehenden Regierung in Israels Geschichte als "verantwortlicher Erwachsener" ein etwas moderates Ansehen verschafft.
Gantz kritisierte Entscheidungen der Führung
Medien zufolge wollten die USA, dass Gantz im Kabinett bleibt, solange die Verhandlungen um ein Abkommen für eine Waffenruhe und die Freilassung von Geiseln mit der Hamas andauerten. Da Netanjahus rechtsreligiöse Koalitionspartner gegen einen Deal sind, sei Gantz‘ Anwesenheit in der Notstandsregierung für den Erfolg eines Abkommens von großer Bedeutung.
Der einstige Generalstabschef Gantz hatte jüngst moniert, wichtige Entscheidungen der Führung, um den Sieg im Gazastreifen zu sichern, seien nicht getroffen worden. "Eine kleine Minderheit hat die Kommandobrücke des israelischen Staatsschiffes übernommen und steuert es auf die Klippen zu", sagte Gantz mit Blick auf Netanjahus rechtsextreme Koalitionspartner.
Gantz forderte unter anderem die Festlegung einer amerikanisch-europäisch-arabisch-palästinensischen Regierungsalternative im Gazastreifen. Keinesfalls könnten dies die Hamas oder Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sein, meinte er. Die USA wiederum setzten auf die im Westjordanland regierende und von Abbas geführte Palästinensische Autonomiebehörde (PA) für die Zeit nach dem Krieg. Die PA soll nach Willen Washingtons umgestaltet werden und dann auch im Gazastreifen wieder die Kontrolle übernehmen. Netanjahu lehnt dies ab. Die Hamas hatte die PA 2007 gewaltsam aus dem Gazastreifen vertrieben.
Netanjahu weigert sich, Zukunftsplan für Gaza vorzulegen
Auch aus der Armee kamen zuletzt Klagen, dass Soldaten mangels einer politischen Strategie für die Zeit nach dem Krieg immer wieder an Orten im Gazastreifen kämpfen müssen, aus denen sich das Militär eigentlich bereits wieder zurückgezogen hatte.
Netanjahu weigert sich bislang aber, einen Plan für Verwaltung und Wiederaufbau des Gazastreifens nach Beendigung des Krieges vorzulegen, wohl auch um seine ultrarechten Koalitionspartner nicht vor den Kopf zu stoßen. Diese verfolgen Ziele wie einen höchst umstrittenen israelischen Siedlungsbau im Gazastreifen. Netanjahus politisches Überleben hängt aber von ihnen ab.
Medien mutmaßten, Grund für Gantz' Rückkehr in die Opposition könne auch seine sinkende Popularität sein. Viele Monate hatte seine Partei in Meinungsumfragen weit vor Netanjahus Likud-Partei gelegen. Inzwischen würde laut einigen Umfragen aber erstmals seit Kriegsbeginn vor rund acht Monaten eine knappe Mehrheit Netanjahu gegenüber Gantz im Amt des Ministerpräsidenten bevorzugen. Auch der Vorsprung seiner Partei gegenüber Netanjahus schrumpfte zuletzt. (mt/dpa)
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