Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat ein Verbot des palästinensischen Netzwerks "Samidoun" in Deutschland angekündigt. In Deutschland gehen Experten derzeit von einer kleinen Gruppierung mit etwa 100 Anhängern aus, doch das Gefahrenpotenzial ist groß. Experte Nicholas Potter erklärt, warum ein Verbot von Samidoun das Problem des Antisemitismus nicht löst und welche gefährliche Querfront das Netzwerk gespannt hat.
Jubel für den blutigen Terror in Israel, Feierlichkeiten mit Süßigkeiten und antisemitische Parolen: Das palästinensische Netzwerk Samidoun soll in Deutschland verboten werden. Ebenso kündigte Scholz in einer Regierungserklärung im Bundestag ein Betätigungsverbot für die Hamas an.
Offiziell tritt der Verein Samidoun für die Befreiung palästinensischer Gefangener ein. Der Verfassungsschutz, der den Verein bereits seit einer Weile beobachtet, stuft das Netzwerk jedoch als antisemitisch und israelfeindlich ein. Samidoun soll eine zentrale Rolle bei der Verbreitung solcher Propaganda spielen und in Berlin eine zweistellige Zahl an Mitgliedern haben.
Querfront aus Islamisten und Linksradikalen
"Samidoun ist nichts anderes als eine Tarnorganisation für die terroristische PFLP. Sie verbreitet Propaganda, betreibt Fundraising und feiert Anschläge als Widerstand", sagt Antisemitismus-Experte Nicholas Potter.
Die PFLP – die "Volksfront für die Befreiung Palästinas" – sitzt in Damaskus und steht seit 2002 auf der Terrorliste der EU. Sie spricht Israel das Existenzrecht ab und fordert offen zum bewaffneten Kampf gegen Israel auf.
Bei Samidoun handelt es sich um eine Vorfeldorganisation dieser Gruppierung. Anders als die Hamas ist der Verein aber nicht islamistisch, sondern hat linksradikale Verbindungen. Experte Potter schätzt das als besondere Gefahr ein, denn Samidoun, eigentlich eine säkulare Organisation, baue Brücke zwischen Islamisten und radikalen Linken. "Eine Querfront", beschreibt Potter.
Dauergast auf antiisraelischen Demos
In Deutschland bleibe der Verein jedoch eine kleine Gruppierung mit schätzungsweise 100 Mitgliedern und rund 5.000 Followern auf Instagram. "Vor allem die Ausweisung des Gründers Khaled Barakat, ein führender Kopf der PFLP, sowie seiner Ehefrau Charlotte Kates, die internationale Koordinatorin der Organisation, im Jahr 2020 hat Samidoun einen Strich durch die Rechnung gemacht", erklärt der Experte.
Seitdem versuche das Netzwerk, sich in Deutschland neu zu strukturieren – mit Erfolg. "Über Social Media mobilisieren sie für ihren Israelhass. Und in Duisburg oder Neukölln finden sie immer mehr Anhänger. Inzwischen ist Samidoun ein Dauergast auf antiisraelischen Demos", beobachtet Potter. Die Zahl der Anhänger nimmt zu.
Gegründet wurde Samidoun, was auf Deutsch so viel wie "standhaft" bedeutet, im Jahr 2011 in den USA. Ableger gibt es zum Beispiel auch in Schweden, Frankreich, Kanada, Belgien und den Niederlanden.
"Vordergründig geht es um die Freilassung von politischen Gefangenen, in der Praxis fordert die Gruppierung die Freilassung inhaftierter Terroristen der PFLP, der Hamas oder des Islamistischen Jihads, die Anschläge verübt haben", sagt Potter. Auf Plakaten würden manche davon als Märtyrer verherrlicht.
Verein spricht Israel das Existenzrecht ab
"Samidoun transportiert die Ideologie der PFLP in linke Bündnisse in Europa hinein", analysiert er. Die Gruppierung unterstütze zudem die antiisraelische Boykottbewegung "BDS". Auch Samidoun spricht von einem Palästina "vom Fluss bis zum Meer" – was zeigt, dass sie Israel kein Existenzrecht zugesteht.
Die Organisation werde hierzulande von einigen linksradikalen Gruppen hofiert. "Samidoun saß zum Beispiel am Tag des Hamas-Angriffs auf einem Podium beim "Kommunismuskongress" im "Neues Deutschland"-Gebäude in Berlin", sagt Potter.
Experte: "Verbot längst überfällig"
Die Gruppierung sei auch am 1. Mai (Tag der Arbeit) aufgetaucht und habe eine Kampagne im linksautonomen Hausprojekt "Rigaer94" vorgestellt. "Sogar die Rote Hilfe stellte ihnen ihr Bankkonto für Spenden zur Verfügung, bevor sie letzte Woche die Zusammenarbeit beendete", sagt der Experte.
Er hofft, dass Teile der Linken angesichts der Solidarität von Samidoun mit der Brutalität der Hamas zum Umdenken gebracht werden. "Denn mit einer progressiven, linken Politik hat Terror gegen Zivilisten wahrlich nichts zu tun", kommentiert Potter.
Ein Verbot hält er für längst überfällig. "Seit Jahren ist klar, dass Samidoun eine Vorfeldorganisation der PFLP ist. Zu diesem Schluss sind längst auch deutsche Sicherheitsbehörden gekommen", sagt Potter. Nicht erst seit letzter Woche hätten manche NGOs und jüdische Organisationen ein Verbot gefordert.
Gedankengut wird nicht verschwinden
"Das barbarische Massaker der Hamas hat ganz deutlich gezeigt, was Gruppen wie Samidoun meinen, wenn sie ein freies Palästina vom Fluss bis zum Meer fordern", sagt Potter. Die Hamas wird von der EU bereits als Terrororganisation eingestuft. In Deutschland ist die Hamas bislang nicht verboten, weil sie nicht als Verein organisiert ist – nun soll aber ein Betätigungsverbot kommen.
Doch verschwinden wird das antisemitische und israelfeindliche Gedankengut auch mit einem Verbot von Samidoun und Hamas nicht. Auf seiner Website zeigte sich das Netzwerk empört über das angekündigte Verbot. Der "völkermörderische Krieg" werde vom "israelischen Besatzungsregime" geführt.
Das Verbot des Vereins führt Samidoun auf eine "rassistische Hetzkampagne gegen palästinensische und arabische Jugendliche in Deutschland und insbesondere gegen das Samidoun-Netzwerk" der westlichen Medien zurück.
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Stilisierung als Opfer
"Samidoun wird sich vermutlich weiterhin als Opfer sehen, auch wenn sie Hinrichtungen, Vergewaltigungen und Entführungen mit Baklava feiern oder den Terrorismus als antikolonialen Widerstand glorifizieren", sagt Potter. Denn genau das sei das Narrativ: immer Opfer, nie Täter, selbst nicht nach Anschlägen gegen Zivilisten.
"Dieses Gefühl wird sich vermutlich nach einem Verbot verstärken. Aber es gibt genug ähnliche Organisationen, die jetzt schon eng mit Samidoun zusammenarbeiten, die ihnen nach einem Verbot ein neues Zuhause für ihre Agitation bieten werden", erklärt der Experte. Eine hasserfüllte Ideologie könne man nicht einfach amtlich verbieten.
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