- Innenministerin Nancy Faeser (SPD) ist aktuell vor allem mit den Flüchtenden aus der Ukraine beschäftigt.
- Ihr eigentliches Schwerpunktthema rückt dadurch in den Hintergrund: der Kampf gegen Rechtsextremismus.
- Als aus Hessen stammende Politikerin haben sie dortige Anschläge und Morde geprägt: Hanau, Lübcke, NSU.
Terrorismus, Rechtsextremismus und jetzt Flüchtlinge: In ihren ersten 100 Tagen als Ministerin hatte
Ihr Heimatbundesland ist in jüngerer Vergangenheit Schauplatz gleich mehrerer Taten in dieser Richtung gewesen: von den noch immer nicht aufgeklärten Morden des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) bis zur Erschießung des CDU-Politikers Walter Lübcke. Dementsprechend machte Faeser schon früh klar, dass sie Rechtsextremismus als größte Gefahr für die Demokratie sieht und den Kampf dagegen zu ihrem Schwerpunkt machen will. "Wir werden alles daransetzen, Radikalisierungen zu stoppen, rechtsextreme Netzwerke zu zerschlagen und Extremisten konsequent die Waffen zu entziehen“, sagte sie in ihrer ersten Rede im Bundestag Mitte Januar.
Diese drei Punkte spielen auch in ihrem "Aktionsplan“ eine Rolle, den sie am Dienstag zusammen mit dem Präsidenten von Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt und Bundeszentrale für politische Bildung vorstellte. Außerdem will sie unter anderem die „demokratische Streitkultur fördern“, "Medienkompetenz im Umgang mit Desinformation, Verschwörungsideologien und Radikalisierung stärken“ sowie "Hetze im Internet ganzheitlich bekämpfen“.
Rechtsextremismus ist Faesers Schwerpunkt
Damit im Zusammenhang steht ein weiteres Stichwort, dass in ihrer bisherigen Amtszeit sehr präsent war: Telegram. Die WhatsApp-Alternative geriet im Zusammenhang mit Hetze und Morddrohungen im Zuge der Corona-Proteste in die Schlagzeilen. Faeser wollte Entschlossenheit demonstrieren und drohte anfangs mit einer Sperre des Dienstes, distanzierte sich aber schnell wieder selbst davon. Ein Problem: der Dienst hat seinen Sitz in den Vereinigten Arabischen Emiraten und ist nicht so gut erreichbar für die deutsche Justiz, wenn es um die Ahndung von Straftaten geht. Aus Sicht von Faeser ist es darum ein Erfolg, dass es ihren Angaben zufolge inzwischen einen festen Ansprechpartner für die Bundesregierung gibt, und dass von rund 70 gemeldeten Telegram-Kanälen die meisten gelöscht wurden – darunter der des früher als Koch bekannten Attila Hildmann.
Fachleute sehen die bisherigen Bemühungen Telegrams, sich an die Gesetze zu halten, dennoch als unzureichend an. Das Bundeskriminalamt hat deshalb eine "Taskforce“ eingerichtet und soll allgemein soziale Netzwerke beobachten, "um die Strafverfolgung strafbarer Inhalte sowie die Löschersuchen [ihnen] gegenüber (…) zu verstärken.“ Das heißt es zumindest in Faesers "Aktionsplan gegen Rechtsextremismus“, der wie so oft in der Politik aus zehn Punkten besteht. Ob und mit welchem Erfolg alle davon umgesetzt werden, lässt sich noch nicht abschätzen.
Union und AfD kritisierten die Innenministerin
Um die Proteste gegen die Coronamaßnahmen ging es auch vor Gericht: Ein Antragsteller wollte der Ministerin folgende Äußerung verbieten lassen, die diese im Januar auf Twitter veröffentlicht hatte: "Ich wiederhole meinen Appell: Man kann seine Meinung auch kundtun, ohne sich gleichzeitig an vielen Orten zu versammeln.“ Der Mann sah sich in seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit beeinträchtigt, das Gericht sah das anders. Nicht das erste Mal, das Faeser in der Kritik stand: Wegen eines Gastbeitrags in der Zeitschrift der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten", der vor ihrer Zeit als Ministerin erschien, griffen Politiker von CDU, CSU und AfD Faeser an. Sie grenze sich nicht klar ab von der vom bayerischen Verfassungsschutz als "bundesweit größte linksextremistisch beeinflusste Organisation im Bereich des Antifaschismus“ bezeichneten VVN-BdA, so der Vorwurf.
In dem Text hatte sie in ihrer damaligen Funktion als Partei- und Fraktionschefin der Hessen-SPD über ihre Erfahrungen mit den unter dem Schlagwort "NSU 2.0“ bekannt gewordenen Drohschreiben berichtet, von denen sie selbst welche erhalten hatte. Faeser wies die Kritik zurück und konterte Mitte Februar im Bundestag mit der Ansage: "Sie werden sich noch an eine Frau mit einer klaren Haltung an der Spitze des Bundesinnenministeriums gewöhnen müssen." Das war auch als Seitenhieb an den ihren von der Union gestellten Vorgänger Horst Seehofer (CSU) zu verstehen, dem viele vorwarfen, nicht entschlossen genug gegen Rechtsextremismus vorzugehen.
Durch den Beginn des russischen Angriffskriegs ist Faesers Herzensthema aber in den Hintergrund gerückt. Dabei stand wenige Tage zuvor noch etwas ganz anderes auf der Tagesordnung: der Empfang der deutschen Olympiamannschaft, die nach dem Medaillenspiegel als zweitbeste Nationengruppe aus China zurückgekehrt war. Denn was oft vergessen wird: Die Innenministerin ist in der Bundesrepublik auch für Sport zuständig, vor allem die Spitzensportförderung. Auch andere Vorhaben aus den vergangenen Wochen gingen in der öffentlichen Aufmerksamkeit unter, etwa der neu gestartete Anlauf für ein Demokratiefördergesetz, das CDU/CSU vor der Bundestagswahl blockiert hatte. Ziel ist eine langfristig verlässliche Förderung von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich etwa in der Extremismusprävention engagieren und sich bisher von Förderantrag zu Förderantrag hangeln müssen.
Neue Hauptaufgabe: Versorgung der Ukraine-Flüchtenden
Seit Ende Februar kennt die deutsche Innenpolitik und damit Faeser aber quasi nur noch ein Thema: den Umgang mit den Flüchtenden aus der Ukraine. Zuletzt kamen täglich Tausende Personen an deutschen Bahnhöfen an und sollen nun verteilt werden. Bei ihrer ersten Regierungsbefragung im Bundestag am Mittwoch klang die Ministerin so, als laufe organisatorisch alles weitgehend reibungslos, beispielsweise mit Blick auf die Registrierung der ankommenden Menschen. Daran gibt es aber Zweifel. Offiziell erfasst werden nur Menschen, die von der Bundespolizei angetroffen werden. In der Regel gibt es zudem keine festen Grenzkontrollen an den Grenzen innerhalb der EU-Mitgliedstaaten, Ukrainerinnen und Ukrainer dürfen darüber hinaus 90 Tage lang ohne Visum einreisen. Nicht erfasst wird dazu, wie viele von ihnen von Deutschland aus in andere Länder weiterreisen.
Im Parlament beantwortete Faeser außerdem eine Frage des CDU-Abgeordneten Mario Czaja nicht eindeutig, der angesichts Warnungen etwa vor Menschenhandel wissen wollte, wer erfasse, bei wem Geflüchtete untergebracht würden. Am Freitag erneuerte Czaja, der auch CDU-Generalsekretär ist, seine Kritik im „Morgenmagazin“ der ARD: Faeser und Familienministerin Anne Spiegel (Grün) würden sich nicht ausreichend kümmern und ehrenamtliche Hilfsorganisationen in Berlin von großen Mängeln bei der Unterbringung berichten.
Selbst Luise Amtsberg (Grüne), die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, sagte, sie könne die Kritik der Opposition nachvollziehen, dass die staatliche Hilfe zu langsam anlaufe. Inzwischen ist ein mehrsprachiges Hilfsportal des Innenministeriums online, das die wichtigsten Informationen übersichtlich bündeln soll. Klar ist: Das Thema wird nicht nur die Innenministerin in den kommenden Monaten weiter beschäftigen.
- Deutsche Presse-Agentur: Fast 200 000 Flüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland registriert
- Deutsche Presse-Agentur: CDU-Generalsekretär kritisiert Koalition für Umgang mit Geflüchteten
- Bundesministerium für Inneres und Heimat (BMI): Germany4Ukraine.de: Hilfe-Portal für Geflüchtete aus der Ukraine
- Bundesministerium für Inneres und Heimat: Aktionsplan gegen Rechtsextremismus
- Bundesministerium für Inneres und Heimat: Deutschland erfolgreich bei Olympia 2022
- Bundesministerium für Inneres und Heima: Nancy Faeser im Deutschen Bundestag zu Hanau und rechtsextremer Gewalt
- Bundesministerium für Inneres und Heimat: Rede der Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser im Deutschen Bundestag
- Bundestag.de: Befragung der Bundesregierung (16. März 2022)
- Bundestag.de: Nancy Faeser: Tun alles, um Geflüchteten umfassend zu helfen
- CDUCSU.de: „Die Hilfe für Flüchtlinge muss besser organisiert werden“
- RND.de: Menschenrechtsbeauftragte: „Verhindern, dass Ukraine-Flüchtlinge Opfer von Menschenhandel werden“
- Spiegel.de: Faeser distanziert sich von eigener Abschaltdrohung
- Twitter-Accounts von Nancy Faeser und Mario Czaja
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