Als Innenministerin unter Druck, in Hessen abgeschlagen: Im Interview mit unserer Redaktion sagt Nancy Faeser, wie sie trotzdem Ministerpräsidentin werden möchte – und was sie dann anders macht als Amtsinhaber Boris Rhein.
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Es soll um Hessen gehen, hier will Faeser Ministerpräsidentin werden. Und auch hier sieht es nicht gut für sie aus. Ihre gute Laune hat sie sich aber bewahrt. Im Gespräch wirkt sie gelöst und optimistisch.
Frau Faeser, die SPD liegt in Hessen deutlich hinter der CDU. Was macht Ministerpräsident Boris Rhein besser als Sie?
Nancy Faeser: Im Moment macht er das, was die CDU zuvor schon bei Landtagswahlkämpfen gemacht hat: Er redet nicht viel über Hessen, sondern macht einen Anti-Berlin-Wahlkampf gegen die Ampel. Das lenkt von den eigenen Versäumnissen ab. Aber bei dieser Landtagswahl geht es um Hessen. Es geht darum, dass in den vergangenen 25 Jahren unter der CDU in der Bildungspolitik so gut wie nichts vorangegangen ist. Wir brauchen bessere Schulen in Hessen. Wir brauchen bessere Chancen für alle Kinder, egal, wie viel im Geldbeutel der Eltern ist.
Für dieses Vorhaben brauchen Sie Partner. Sie werben für die Ampel. Eine Koalition, die im Bund sehr unbeliebt ist. Warum sollten sich Grüne und FDP darauf in Hessen einlassen?
Ich möchte, dass die SPD stark ist. Ich kämpfe bis zum letzten Tag dafür, dass wir am Ende die Landesregierung anführen. Ich kann mir vorstellen, mit allen demokratischen Kräften zusammenzuarbeiten. Dazu muss man in einer Demokratie immer in der Lage sein. Die absolute Brandmauer steht gegenüber der AfD. Mit der AfD würde ich niemals in irgendeiner Weise zusammenarbeiten. Es ist gefährlich, dass die Union hier keinen klaren Kurs mehr hat.
Eine Ampel wäre auch schon nach der letzten Wahl möglich gewesen.
Vor fünf Jahren ist in Hessen eine Ampel diskutiert worden. Die SPD wäre damals dazu bereit gewesen, die FDP nicht. Ich glaube, dass verschiedene Konstellationen funktionieren können. Es hängt immer von den handelnden Persönlichkeiten ab. Wie gut kann man miteinander? Wollen wir in einer progressiven Koalition das Land nach vorne entwickeln? Das ist das Ziel der SPD – und danach richtet sich die Wahl der Koalitionspartner.
Sie sind sowohl Bundesinnenministerin als auch hessische SPD-Spitzenkandidatin. Eine Doppelrolle, die schlecht funktioniert, wie die Stimmung in Hessen zeigt.
Ich glaube, dass man Frauen da nicht unterschätzen sollte. Frauen sind multitaskingfähig. Ich habe als Bundesinnenministerin das Fachkräfteeinwanderungsgesetz umgesetzt, eine große Reform des Staatsbürgerschaftsrechts auf den Weg gebracht und nach Jahren der tiefen Spaltung der EU in dieser Frage eine Einigung zum gemeinsamen Asylsystem erreicht. Jetzt bin ich dazu viel in Hessen unterwegs. Das funktioniert. Auch meine Mitkonkurrenten haben Ämter, die sie ausfüllen müssen. Ich finde erstaunlich, dass sie nicht gefragt werden, wie sie dieser Doppelrolle gerecht werden.
Die Opposition erhebt gegen Sie als Bundesinnenministerin derzeit schwere Vorwürfe: Sie sollen den Spitzenbeamten Arne Schönbohm zu Unrecht seines Amtes enthoben haben. Sie können doch schlecht leugnen, dass das auf Ihre Spitzenkandidatur in Hessen negativ abfärbt.
Die Menschen werden am Ende entscheiden, welche Politik sie für Hessen wollen. Sie wollen, dass Hessen bessere Schulen hat. Sie wollen zukunftsfähige, sichere Arbeitsplätze und gute Arbeitsbedingungen. Die SPD steht für einen Vergabemindestlohn bei öffentlichen Aufträgen in Höhe von 15 Euro. Ich habe ein 33-Punkte-Programm zur Bekämpfung des Fachkräftemangels in Hessen vorgeschlagen. Wir sind es gewohnt, mit der CDU harsche Wahlkämpfe zu führen. Das war zu erwarten. Aber momentan wird viel mit Dreck geworfen. Dass eine Ministerin einen hochrangigen Beamten versetzt, wenn das Vertrauen fehlt, ist normal – das machen andere Politiker auch.
In einer aktuellen Umfrage sagen 45 Prozent, dass Sie als Spitzenkandidatin der Hessen-SPD schaden.
Ich finde es spannend, dass manche Medien Interesse daran haben, vor einer Wahl solche Dinge abzufragen. Ich kenne keine Umfrage, die danach fragt, wie viele Menschen eigentlich wollen, dass Boris Rhein nicht mehr Ministerpräsident ist. Solche Zahlen sind immer eine Frage der Einordnung.
Das Thema Migration spielt im Wahlkampf eine große Rolle. Wie viel Zuwanderung verträgt Hessen?
Wegen des furchtbaren russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine haben wir in Deutschland mehr als eine Million ukrainische Flüchtlinge aufgenommen. Außerdem sind die Asylzahlen wieder gestiegen. Das ist ein sehr großer Kraftakt für unsere Kommunen. Deshalb handeln wir so entschlossen. Wir werden die großen Migrationsfragen nur europäisch bewältigen können. Daher ist das gemeinsame EU-Asylsystem von so herausragender Bedeutung. Dafür setze ich mich mit aller Kraft ein. Denn damit werden wir die irreguläre Migration wirksam reduzieren, weil jeder künftig an den Außengrenzen strikt kontrolliert und registriert werden muss.
Das heißt: im Zweifel keine Einreise?
Wer nur geringe Aussicht auf Schutz in der EU hat, muss schon an den Außengrenzen das Asylverfahren durchlaufen und nach einer Ablehnung direkt von dort aus zurückkehren. Das sind tatsächliche Lösungen, die dauerhaft wirken. Es gibt keine schnelle Lösung, wie die CDU oder gerade auch die AfD mit ihrem Populismus vorgaukeln.
Die Länder werfen dem Bund vor, dass er sie bei der Unterbringung von Flüchtlingen im Stich lässt. Angenommen, Sie werden Ministerpräsidentin: Was erwarten Sie von Ihrer Nachfolgerin oder Ihrem Nachfolger?
Für die Unterbringung vor Ort sind zuerst die Länder verantwortlich. Ich finde dieses Zeigen auf den Bund zu einfach. Dabei unterstützen wir die Länder aktuell mit etwa 15 Milliarden Euro im Jahr und stellen fast 70.000 Plätze zur Unterkunft in Bundesimmobilien bereit. Das Geld ist nicht überall eins zu eins an die Kommunen weitergegeben worden. Das würde ich als Ministerpräsidentin anders machen. Und: Ich würde die Aufnahmekapazitäten in den Erstaufnahmeeinrichtungen erweitern, weil das die Kommunen entlastet.
Nancy Faeser trotz Wirtschaftskrise für zusätzlichen Feiertag in Hessen
Sie setzen sich in Hessen für den Erhalt von Regionalflughäfen und den Autobahnausbau ein. Ist die SPD noch immer die Partei des fossilen Zeitalters?
Nein, das sind wir nicht. Aber wir sind die Partei, die Mobilität ganzheitlich denkt. Der Ausbau des ÖPNV ist wichtig. Aber an manchen Orten braucht man das Auto einfach. Deswegen ist es richtig, dass große Infrastrukturprojekte auch fortgesetzt werden. In Hessen wollen wir eine Mobilitätsgarantie. Wir möchten, dass es innerhalb einer Stunde ein öffentliches Angebot in das nächste mittelgroße Zentrum gibt und dass diese mittelgroßen Zentren mit einem 30-Minuten-Takt miteinander verbunden sind.
Sie wollen in Hessen einen zusätzlichen Feiertag einführen – und das in einer Zeit, in der sich das Land in einer Rezession befindet. Lässt sich die Wirtschaftskrise mit weniger Arbeiten überwinden?
Für unseren Wohlstand brauchen wir die besten Fachkräfte. Natürlich sind attraktive Bedingungen nur ein Faktor von mehreren. Aber klar ist: Wir stehen auch hier im Wettbewerb mit anderen Bundesländern. Und zwei noch wirtschaftsstärkere Bundesländer als wir, nämlich Bayern und Baden-Württemberg, haben zwei oder drei Feiertage mehr. Gerade junge Menschen achten auf solche Faktoren. Um hier konkurrenzfähiger zu sein, hilft ein zusätzlicher Erholungstag.
Bildung steht im Zentrum Ihres Wahlkampfs. In Ihrem Programm kündigen Sie an, den Lehrermangel in Hessen beenden zu wollen. Wie soll das gelingen?
Ganz entscheidend ist die Angleichung der Gehälter von Lehrkräften an Grundschulen an die der anderen Schulformen. Gerade an den Grundschulen fehlen uns zunehmend Lehrkräfte. An den weiterführenden Schulen wollen wir dafür sorgen, dass die 10.000 befristeten Arbeitsverhältnisse von qualifizierten Quereinsteigern in unbefristete Stellen umgewandelt werden. Das gibt Planungssicherheit. Und dann müssen wir dafür sorgen, dass wir mehr Studienplätze für Lehramts-Studentinnen und -Studenten haben.
Alle Kinder sollen die gleichen Chancen bekommen, betonen Sie immer wieder. Insbesondere das Gymnasium wird häufig für Ungleichheit im Bildungssystem verantwortlich gemacht. Warum wollen Sie diese Schulform in Hessen nicht abschaffen?
Um die Versäumnisse der Landesregierung beim Thema Bildung zu beheben, hilft keine Debatte um Schulformen. Mir geht es darum, unsere Schulen besser auszustatten, damit alle Kinder die gleichen Chancen haben. Das heißt: mehr Lehrerinnen und Lehrer, kleinere Klassen, eine größere Durchlässigkeit zwischen den Schulformen und ein Ausbau der Ganztagsbetreuung.
Es ist vorstellbar, dass die SPD in Hessen nur auf Platz vier landet. Könnten Sie mit einem so schlechten Ergebnis Bundesinnenministerin bleiben?
Ich kämpfe für ein starkes Ergebnis der SPD. Und ich bin sehr zuversichtlich, dass uns das auch gelingt. Hessen braucht nach 25 Jahren CDU-Regierung endlich den Wechsel. Ich habe immer gesagt: Ich mache den Bürgerinnen und Bürgern das Angebot, Hessen gerechter und moderner zu machen. Ich möchte Hessens erste Ministerpräsidentin werden. Und genauso klar habe ich gesagt: Ich habe als Bundesinnenministerin große Verantwortung übernommen, der ich im Falle einer Niederlage in Hessen natürlich weiter gerecht würde.
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