Seit 75 Jahren ist die Nato inzwischen Teil des Weltgeschehens. Mit Beginn des Ukraine-Kriegs hat sie zuletzt massiv an Relevanz gewonnen. Doch wo liegen ihre Ursprünge und wie funktioniert sie eigentlich? Ein Überblick.
Wir schreiben den 4. April 1949, als die Tinte auf dem Nordatlantikpakt gerade zu trocknen beginnt. Es ist die Geburtsstunde der nach dem Pakt benannten "North Atlantic Treaty Organization" – besser bekannt als Nato. Zwölf Länder, darunter die USA, Kanada, Italien und das Vereinigte Königreich, gründen das Bündnis damals. Das geopolitische Ziel: Mehr Sicherheit.
Man müsse "jeden internationalen Streitfall", an dem die Nato-Partner "beteiligt sind, auf friedlichem Wege" lösen, heißt es in Artikel 1 des Pakts. Eine Haltung, die aus den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs resultierte. Der zweite Hauptgrund für die Gründung der Nato ist der sich rapide zuspitzende Konflikt zwischen dem Westen und der Sowjetunion.
Spätestens seit der Machtergreifung der Kommunisten in der ehemaligen Tschechoslowakei 1948 wuchs die Angst des Westens vor einer zunehmenden Einflussnahme der Sowjets in Europa. Die Nato soll als Bollwerk gegen die Bedrohung durch das kommunistische Regime fungieren.
Prägnant soll der englische Baron Ismay, erster Generalsekretär des Bündnisses, die Kernaufgaben der Nato auf den Punkt gebracht haben. Sie müsse die "Sowjetunion draußen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen klein halten".
Die Nato versteht sich also schon bei ihrer Gründung als mehr als ein Militärbündnis. Sie will auch eine Wertegemeinschaft sein, die sich laut ihrer Charta "der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts" verschrieben hat.
Was genau ist der Nato-Bündnisfall?
Um das Kriegsrisiko zu mindern, beschließen die Mitgliedstaaten, sich gemeinsam zu verteidigen. "Ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen" wird in Artikel 5 des Nato-Vertrags als "Angriff gegen sie alle" definiert.
Der Artikel wird auch als Bündnisfall oder Beistandsklausel bezeichnet und ist der Kern der Nato. Welche Konsequenzen er im Ernstfall nach sich zieht, ist allerdings nicht festgelegt.
Denn in Artikel 5 heißt es weiter, dass die Mitglieder Maßnahmen ergreifen, "die sie für erforderlich erachten, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten". Sie müssen zwar Hilfe leisten, haben aber einen Ermessensspielraum, wie genau diese Hilfe aussehen soll.
Wie hat sich die Nato im Lauf der Zeit gewandelt?
Wie die Anzahl der Mitgliedstaaten – inzwischen sind es 32 – hat sich auch das Selbstverständnis der Nato über die Jahre verändert. So stürzt das Ende des Kalten Krieges das Bündnis in eine Sinnkrise. Es verliert massiv an Bedeutung, weil Russland als Bedrohung wegfällt. Die Verteidigung des eigenen Territoriums ist plötzlich weniger relevant.
Die Nato reduziert deshalb ihre Streitkräfte – verschwindet aber nicht von der Weltbühne. Stattdessen engagiert sie sich vermehrt in internationalen Krisen. Als eine Art "Weltpolizei" versucht sie, für Stabilität zu sorgen. So schaltetet sie sich etwa in den Bosnien- und Kosovokrieg ein.
Mit den Terroranschlägen vom 11. September beginnt 2001 eine neue Phase. Zum ersten und bislang einzigen Mal in ihrer bisherigen Geschichte wird der Bündnisfall ausgelöst. Die Nato zieht mit den USA in den sogenannten Krieg gegen den Terror. Sie beteiligt sich unter anderem am Krieg in Afghanistan, in dem britische und deutsche Soldaten mit den USA kämpfen.
Als Russland 2014 die Krim annektiert, wandelt sich die Nato erneut. Sie beginnt, sich wieder auf ihre ursprüngliche Aufgabe zu besinnen: die Verteidigung des Bündnisgebietes.
Seit Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine 2022 ist die Verteidigung des Nato-Territoriums wieder eine konkrete Herausforderung. Dementsprechend gewann die Nato auch deutlich an politischem Gewicht. Selbst der französische Präsident Emmanuel Macron, der das Bündnis noch 2019 als "hirntot" bezeichnete, gibt 2023 zu: Putins Krieg hat das Bündnis wiederbelebt.
Wie ist die Nato organisiert?
Die Nato verfügt nicht über eine eigene Armee. Stattdessen stellen die Mitgliedsländer Teile ihrer Truppen für das Bündnis ab. Die schnelle Eingreiftruppe soll zum Beispiel etwa 40.000 Soldatinnen und Soldaten in Kürze mobilisieren können. Nur bei Bedarf werden mehr Truppen in Bewegung gesetzt. Kombiniert verfügen die Mitglieder über mehre Millionen aktive Soldaten.
Den Großteil ihrer Arbeit erledigt die Nato in Brüssel. Dort steht das Hauptquartier des Bündnisses und auch ihr Kernstück: der Nordatlantik-Rat. Der Rat trifft alle politischen Entscheidungen des Bündnisses. In ihm sind alle Mitgliedsstaaten vertreten. Beschlüsse müssen einstimmig getroffen werden.
Vorsitzender des Rats ist der Nato-Generalsekretär. Er vertritt die Nato nach außen, bringt Themen auf die Agenda und leitet verschiedene Ausschüsse, die dem Rat zuarbeiten. Einer davon ist die Nukleare Planungsgruppe, in der etwa über Atomwaffen debattiert wird.
Ein zweiter wichtiger Ausschuss ist der Militärausschuss. Er fungiert als Schnittstelle zwischen der politischen und militärischen Ebene innerhalb der Nato. Entscheidungen des Rats, die militärischer Natur sind, muss er in der Realität umsetzen.
Welche Kritik gibt es an der Nato?
Umstritten war die Nato immer. Schon mit der Grundidee, dass ein Militärbündnis durch Waffen für mehr Frieden auf der Welt sorgen soll, können sich viele Menschen nicht anfreunden.
Kritiker führen zum Beispiel immer wieder das Argument an, die Nato befördere das globale Wettrüsten. Denn angesichts der Stärke der Nato würden andere Länder aufrüsten – worauf wiederum die Nato reagieren müsse. In ihren Augen ein Teufelskreis.
Immer wieder sorgten auch konkrete Entscheidungen des Bündnisses für Protest. So gingen etwa Ende der 1970er-Jahre überall in Europa Menschen gegen den Nato-Doppelbeschluss auf die Straße. Und über den illegalen, weil ohne UN-Mandat durchgeführten, Nato-Einsatz im Kosovo wird noch heute hitzig diskutiert.
Gleichzeitig steht die Nato auch vor internen Problemen. Das zeigt sich zum Beispiel bei den Rüstungsausgaben. Eigentlich haben die Mitglieder das Ziel ausgegeben, zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts in die Rüstung zu stecken – und zwar pro Jahr.
Doch viele Länder halten sich nicht an diese Absprache. 2024 werden etwa nur 18 der 32 Mitglieder die Vorgabe erfüllen. Auch wird immer wieder Unmut darüber laut, dass sich die Mitgliedsstaaten bei der Beschaffung von Ausrüstung nicht genug koordinieren. Die große Zahl an verschiedenen Waffensystemen innerhalb Europas schwächt etwa die Fähigkeit zur militärischen Zusammenarbeit.
Die derzeit wohl größte Sorge für die Nato hört auf den Namen Donald Trump. Sollte der Ex-Präsident erneut in das Weiße Haus einziehen, könnten dem Bündnis massive Probleme drohen.
Trump spielte schon während seiner ersten Amtszeit mit dem Gedanken, aus dem Bündnis auszusteigen. Zuletzt stellte er die Beistandsklausel der Nato offen infrage.
Sollten die USA als wichtigster Verbündeter aus der Nato aussteigen oder ernste Zweifel aufkommen, dass sie ihren Verbündeten im Ernstfall zur Hilfe kommen – es wäre vermutlich der Todesstoß für das Bündnis.
Verwendete Quellen:
- bpb.de: Baustelle Nato
- bpb.de: Nato beschließt Bündnisfall
- dw.com: Macron und die Nato: vom "Hirntod" auferstanden
- deutschlandfunk.de: Ende des Kosovo-Konfliktes: Als die NATO Serbien bombardierte
- faz.net: Die Machtergreifung der Kommunisten 1948 in Prag
- mdr.de: NATO-Doppelbeschluss: "Make Love, Not War"
- tagesschau.de: 18 von 31 Nato-Staaten schaffen Zwei-Prozent-Ziel
- planet-wissen.de: Die Nato nach 1989
- Homepage des Bundesverteidigungsministeriums: VJTF – Speerspitze der NATO
- Homepage der Nato
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