Zwölf Seiten umfassen die Ergebnisse der Koalitionsverhandler im Bereich Klima und Energie. Klimaaktivistin Luisa Neubauer hätte sich mehr erhofft. Und sie sorgt sich im Interview unserer Redaktion nicht nur ums Klima.

Ein Interview

Längst demonstriert Luisa Neubauer nicht mehr nur fürs Klima. Auch an den großen Demokratie-Demonstrationen nach den Enthüllungen der "Remigrationspläne" der AfD zu Beginn 2024 und im Zusammenhang mit der Unions-Abstimmung mit der AfD zu Beginn 2025 war die Aktivistin beteiligt.

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In Berlin verhandeln CDU, CSU und SPD zur Zeit über einen Koalitionsvertrag für die nächste Bundesregierung. Was dort zum Klimaschutz drinsteht, findet Neubauer "unzureichend" – sie sieht aber auch zivilgesellschaftliche Freiheiten unter Druck. Für die prominenteste Vertreterin von "Fridays for Future" ist klar: "Wir dürfen keine Sekunde still bleiben."

Frau Neubauer, wie ambitioniert sind die klimapolitischen Pläne von Schwarz-Rot?

Luisa Neubauer: Für eine Welt, in der wir eine Erhitzung von 0,1 Grad hätten, wäre das vielleicht okay. Aber in einer Welt, in der jeden Tag neue Temperaturrekorde geschrieben werden, in der Ressourcenknappheit Konflikte befeuert und uns fossile Autokraten weiter in die Abhängigkeit drängen wollen, ist das komplett unzureichend.

Sie hätten sich mehr erhofft.

Ich halte es für entscheidend, den Anspruch an regierende Politik nicht runterzuschrauben, nur weil sie ununterbrochen enttäuscht. Der Anspruch an Menschen an diesen Verhandlungstischen muss doch sein: Einhalten bestehender Verträge, wie dem Pariser Klimaschutzabkommen, Menschen ehrlich vor Klimakatastrophen beschützen, Investitionen in nachhaltige Infrastruktur.

"Ich bin total beeindruckt, wie viele Menschen sich in diesem Land engagieren und Druck machen."

Luisa Neubauer

Nach der Ampel sind noch mehr Menschen enttäuscht von der Politik. Ist in den vergangenen Jahren zu viel Vertrauen verloren gegangen, um die Menschen für Themen wie Klimaschutz zu begeistern?

Die Mehrheit der Menschen in Deutschland findet den Schutz des Klimas wichtig. Logisch, es geht schließlich um unser aller Lebensgrundlage. Die Klimakrise ist nicht mein Privatproblem. Ich bin total beeindruckt, wie viele Menschen sich in diesem Land engagieren und Druck machen.

Wen meinen Sie konkret?

Vor wenigen Tagen haben 13.000 Wissenschaftler einen Appell an die Bundesregierung veröffentlicht, in dem sie mehr Klimaschutz einfordern. Wenige Wochen davor haben knapp 50 große Unternehmen in Deutschland etwas Ähnliches gemacht. Was außerdem nicht unterschätzt werden darf, ist die Frage: Was macht es mit einer Gesellschaft, wenn Bürger dauernd erleben müssen, dass die Profitinteressen großer Konzerne wichtiger gewertet werden als ihr Recht auf ein gesichertes Leben vor der Klimakatastrophe?

Können Sie das ausführen?

Es ist schwer vermittelbar, dass Gelder genutzt werden, um fossile Subventionen zu erhalten, statt Menschen bei ihrem Weg in ein fossilfreies Leben zu entlasten. Wenn ich Menschen dafür begeistern möchte, sich in Sachen Klimaschutz reinzuhängen, dann muss ich ihnen glaubhaft erklären können, dass ich die größten Verursacher der Klimakrise noch viel mehr in die Pflicht nehme.

Zum Beispiel?

Durch eine Besteuerung der größten Kohlekonzerne etwa, womit Hitzeschutzpläne bezahlt werden könnten. Wenn ich aber eben diese Konzerne aus der Verantwortung nehme, immer weiter Gaskraftwerke plane und dann auch noch das 49-Euro-Ticket streiche, dann fühlen sich Leute berechtigterweise betrogen.

Neue Gaskraftwerke, ein Hinauszögern des Kohleausstiegs und – wenn es nach der Union geht – ein Comeback der Kernkraft. Lässt sich so die Energietransformation gestalten?

Wir leben in einer Zeit, in der man Probleme nicht wegnuscheln kann. Wir können nicht mehr so tun, als wäre die Abhängigkeit von fossilen Autokraten okay. Diese Autokraten werden uns die Quittung für diese Abhängigkeit geben – das haben wir im Fall von Putin erlebt. Wir können auch nicht mehr so tun, als würden Landwirte davon profitieren, wenn wir unser Klima kaputt machen. Ganz lange haben Regierungen mit Plänen aus dem Zauberwald gearbeitet. Sie haben weitergemacht mit dem, was gerade praktisch war – obwohl völlig klar war: Das geht nicht auf. Deswegen wäre es wichtig, dass sich eine neue Koalition ehrlich macht.

Was heißt das?

Jedes einzelne Gesetzesvorhaben müsste daraufhin überprüft werden, ob es mit unseren Klimazielen vereinbar ist und darauf einzahlt. Die beste Klimapolitik bringt nichts, wenn in der Wirtschaftspolitik reihenweise Vorschläge gemacht werden, die verhindern, dass wir unsere Klimaziele erreichen können.

Die Klimaaußenpolitik soll wohl im Auswärtigen Amt bleiben. Ist das aus Ihrer Sicht sinnvoll?

Wichtiger ist, ob Klimaaußenpolitik ernsthaft verfolgt wird. Die bisherige Staatssekretärin für internationale Klimapolitik, Jennifer Morgan, hat in widrigen Umständen fantastische Arbeit geleistet. Aktuell muss man allerdings befürchten, dass dort, wo der internationale Druck besonders hoch ist – also in Sachen Klima- und Entwicklungszusammenarbeit – mit einem Baseballschläger durch die Ministerien gezogen wird. Dass kaputtgeht, was mit viel Arbeit in den vergangenen Jahren aufgebaut wurde.

Mit Donald Trump zweifelt einer der mächtigsten Männer der Welt die Klimakrise an. Zum Amtsantritt sind die USA aus dem Pariser Abkommen ausgetreten. Was bedeutet das für einen künftigen Kanzler Merz?

Der müsste sich natürlich komplett distanzieren und sagen: Wir machen da nicht mit. Wir müssen nicht nur unsere Wirtschaft vor ausländischer Einflussnahme verteidigen, sondern auch unsere Werte. Damit meine ich zivilgesellschaftliche Freiheiten: das Recht auf Protest, der Schutz der Zivilgesellschaft, Frauenrechte, Gleichheit, Mitbestimmung. All das steht gerade auch in Deutschland unter Druck. Nicht nur von Seiten der Rechtsradikalen, sondern leider auch von Teilen der Union.

Sie meinen unter anderem die kleine Anfrage der Union zur Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen?

Meine Sorge geht viel weiter: Ich befürchte, dass große Errungenschaften der Vergangenheit nebenbei vielfach infrage gestellt werden. 551 Fragen an NGOs, die übersetzt etwa hießen: Wie viele staatliche Gelder bekommen die Omas gegen Rechts in Buxtehude für den Kampf gegen Rassismus? Das ist ein Drama für ein Land, das sich für seine wehrhafte Zivilgesellschaft rühmt. Aber auch in Sachen Frauenrepräsentation im Bundestag sehen wir Rückschritte, und auch der Umgang mit der Letzten Generation, die in München für die Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt wird, spiegelt diese Tendenz wider.

551 Fragen an Nichtregierungsorganisationen (NGOs)

  • In einer kleinen Anfrage erkundigte sich die Union im Februar, welche gemeinnützigen Organisationen mit Bundesmitteln gefördert wurden. Es folgten Fragen zu Aktionen, Spenden und politischen Verbindungen unter anderem zu “Omas gegen Rechts”, Campact, Amadeu Antonio Stiftung, Foodwatch, Deutsche Umwelthilfe, Greenpeace und der Journalisten-Organisation Netzwerk Recherche.
  • Dabei ging es unter anderem um die politische Neutralität der Organisationen – einige von ihnen hatten nach der gemeinsamen Abstimmung der Union mit der AfD vor dem Konrad-Adenauer-Haus demonstriert. Die Anfrage war bei Grünen, Linken und auch bei der SPD, mit der die Union jetzt über eine Koalition verhandelt, auf scharfe Kritik gestoßen.

Inwiefern?

Man muss den Protest der Letzten Generation nicht gut finden, tue ich oft auch nicht, um anzuerkennen, dass es zivilen Ungehorsam geben können muss. Grundsätzlich würde ich uns aufrufen, uns nicht immer wieder von vorhersehbaren Entwicklungen überraschen zu lassen, die aus den USA nach Deutschland kommen. Und: Wir dürfen keine Sekunde still bleiben. Nicht warten, bis es hier brennt.

Nicht nur die Klimakrise, auch der Druck auf die Demokratie macht Luisa Neubauer sorgen. © IMAGO/Hami Roshan/IMAGO/Hami Roshan

Das heißt, Sie trauen Friedrich Merz nicht zu, sich für den globalen Klimaschutz starkzumachen?

Ich fände es großartig, wenn Friedrich Merz das macht und mich überrascht. Ich glaube aber nicht, dass wir uns da allein auf einen Aha-Moment von Friedrich Merz verlassen sollten. Wir haben gesehen, dass er durchaus flexibel ist, was seine politischen Überzeugungen angeht. Denken wir etwa an die Kehrtwende in Sachen Schulden unmittelbar nach der Wahl.

Was Sie beschreiben, klingt, als fürchteten Sie eine Krise der Demokratie. Was erwarten Sie von der Zivilgesellschaft?

Wenn es etwas gibt, das mir gerade Hoffnung macht, dann ist es die Zivilgesellschaft und der Mut, den sie auf die Straße trägt. Das Wichtigste ist, jetzt nicht zu verzagen. Und wir müssen uns ehrlich fragen: Was sind gute Strategien, im Umgang mit all den Krisen, die aufeinanderprasseln? Die ersten Schritte sind klar.

Ach ja?

Am 11. April finden überall auf der Welt Klimaproteste statt. Eine Kampagne zum Boykott von Teslas läuft ebenfalls an. Kauft heimische E-Autos!, wäre auch ein schöner Slogan. Anfang Mai werden wir in Bayern gegen die geplanten Gasbohrungen demonstrieren. Wir werden uns gegen die Erdgasförderung bei Borkum im Wattenmeer wehren. Wir skandalisieren die unerträgliche Repression gegen die Zivilgesellschaft. Wir tun uns zusammen, auf der Straße, im Netz, in Unis und Vereinen. Zu guter Letzt ist es wichtig, dass wir unsere Empathie und unsere Liebe füreinander nicht verlieren. Zeiten, in denen so viel Hass geschürt wird, sind ein guter Moment, immer wieder zu üben, sich in die Welt zu verlieben.

Über die Gesprächspartnerin

  • Luisa Neubauer ist 1996 in Hamburg geboren und eines der Gesichter von Fridays for Future Deutschland. Die Klimaaktivistin und Publizistin ist Mitglied bei den Grünen und engagiert sich in unterschiedlichen NGOs. Sie hat einen Bachelor of Science in Geografie und macht ihren Master an der Universität Göttingen.