Arnd Focke war acht Jahre lang ehrenamtlicher Bürgermeister der niedersächsischen Gemeinde Estorf. Nach massiver rechter Hetze trat der SPD-Kommunalpolitiker am 31. Dezember zurück und erstattete wegen Hakenkreuz-Schmierereien zudem Anzeige beim Staatsschutz. Wie konnte es so weit kommen?
An Silvester hat Arnd Focke die Reißleine gezogen. "Angesichts massivster persönlicher rechter Anfeindungen, Bedrohungen und Diffamierungen" kündigte der SPD-Kommunalpolitiker nach acht Jahren ehrenamtlicher Arbeit das Bürgermeisteramt seines niedersächsischen Heimatortes Estorf (Weser) auf – "um mich und mein ganz privates Umfeld zu schützen", wie er auf Facebook schreibt.
Der Grund für den Rückzug: anhaltende rechte Hetze, Anfeindungen, Drohanrufe- und briefe sowie mehrfache Hakenkreuz-Schmierereien an seinem Auto.
Die Täter sollen eine Entscheidung über die Erhöhung der Grundsteuer zum Anlass genommen haben, den Kommunalpolitiker persönlich zu attackieren, berichtet die Lokalzeitung "Die Harke". Zudem positionierte sich Focke deutlich gegen Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit.
Wir haben mit ihm über die Hintergründe seines Rücktritts gesprochen.
Wie geht es Ihnen eine Woche nach der Entscheidung?
Arnd Focke: Die Entscheidung war alternativlos. Zwar ändert sie nichts an meiner Einstellung, klare Kante gegen Rechts zu zeigen. Doch wenn Menschen Hakenkreuze auf meinem Grundstück versprühen und rechte Schreiben in meinem Briefkasten hinterlassen, ist das nicht mehr mit meinem Amt, vor allem aber nicht mehr mit meinem Sohn zu vereinbaren. Ich kenne das allerdings schon …
Seit wann?
Als die Gemeinde 2016 Wohnraum für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt hat, haben sich die Naziparolen oder Aufkleber mit "NS Zone Nienburg" gehäuft. Das hat sich dann 2018 fortgesetzt, als eine rechte Partei in einer unserer Räumlichkeiten Hitlers Geburtstag gefeiert hat. Ich als Bürgermeister wusste vorab nichts davon und habe hinterher die Feier kritisiert – selbst dazu folgten Anfeindungen.
Arnd Focke: "Ich bin nur die Zielscheibe gewesen"
War der Auslöser der jetzigen Hasswelle tatsächlich die Erhöhung der Grundsteuer um 25 Prozent?
Aus meiner Sicht gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder ist ein Trittbrettfahrer aufgesprungen und hat die Erhöhung rechtspopulistisch ausgeschlachtet. Oder es ist jemand, der nun noch einmal nachgelegt hat wegen meiner regelmäßigen anti-rechten Postings auf Facebook.
Auch beim Volkstrauertag Mitte November habe ich am Ehrenmal drastische Worte gegen Gewalt und Krieg gewählt. Ich wurde schon früh als Kind gegen Antisemitismus geprägt. Mein Vater ist nach dem Krieg auf eine Phosphorgranate getreten. Von klein auf hat er mir gesagt: Krieg ist scheiße, Antisemitismus ist scheiße. Ich war dann in der Jugendarbeit aktiv und habe mich auch dort klar gegen rechts gestellt. Dann ist vielleicht jemand aus seiner Deckung gekommen.
Wie erklären Sie sich den Hass?
Ich bin nur die Zielscheibe gewesen. Ich erkläre mir das so: Am Ende war der Täter nur ein kleines Licht, das manipuliert worden ist. Dieses kleine Licht hat sich nur ausgetobt und nun sein vermeintliches Ziel erreicht. Doch mich persönlich wird er – und auch andere – nicht los.
Gab es Rückhalt aus der Partei oder Freunde und Bekannte, die Sie überreden wollten, dass Sie weitermachen?
Natürlich sollte ich überredet werden, weiterzumachen. Drei Nächte lang habe ich mit der Entscheidung gerungen. Doch sie ist richtig. Ich habe viele positive Rückmeldungen bekommen, sei es aus meiner Partei, der Politik im Allgemeinen, der Kirchengemeinde im Weihnachtsgottesdienst oder auch im Rahmen einer Theatervorstellung. Doch eine größere Dimension hat sie erst jetzt über Nacht bekommen, als am Montagabend der NDR berichtete.
"Wir müssen den Mund aufmachen, wenn etwas schiefläuft"
Wie geht es jetzt weiter?
Ich sehe die Ämter beschädigt und will einen unbelasteten Übergang zu meinen Nachfolgern – die auf Social Media weniger präsent sind als ich.
Was muss sich ändern, damit Sie wieder ein öffentliches Amt übernehmen?
Ich habe mir ein Vierteljahr Auszeit genommen. Ich werde kein öffentliches Amt mehr übernehmen, ich bin raus. Aber ich war im Fußballverein und der Jugendarbeit aktiv und acht Jahre Politiker – ich kann mir nicht vorstellen, auf dem Sofa rumzusitzen. Ich werde wieder etwas machen, das ist klar.
Und was muss sich ändern?
Es müssen mehr Leute reagieren. Die Leute müssen sagen, wenn etwas scheiße ist, wenn rechte Parolen kommen, sei es beim Bäcker oder im Fußballverein. Wenn auch nur einige mehr ihre Stimme erheben, wird vielen geholfen. Leider lassen sich zu viele einschüchtern. Wir müssen den Mund aufmachen, wenn etwas schiefläuft.
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