Das Regime in Pjöngjang droht den USA und Südkorea mit einem atomaren Erstschlag - die UN reagieren mit verschärften Sanktionen. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist angesichts der neuen Eskalation "sehr besorgt" und viele Menschen fragen sich, ob jetzt ein Krieg in Asien bevorsteht. Doch wie ernst ist das Säbelrasseln aus Nordkorea wirklich zu nehmen? Ein Blick auf die atomaren Fähigkeiten eines Landes, dessen Bevölkerung seit Jahren an Hunger leidet und das trotzdem mit Hochdruck an der Bombe bastelt.
Das Atomprogramm Nordkoreas nahm seinen Ursprung, als der pakistanische Wissenschaftler Abdul Kadir Khan geheime Unterlagen an das asiatische Land verkaufte. Der in seinem Heimatland als "Vater der Atombombe" verehrte Ingenieur gestand 2004 vor laufenden Kameras, eigentlich geheime Pläne auch nach Libyen verkauft zu haben. Im Jahr 2006 gelang es Nordkorea nach eigenen Angaben dann erstmals, eine Atombombe unterirdisch zu zünden. Die dritte Detonation eines solchen Sprengsatzes erfolgte vor wenigen Tagen und verschärfte Sorgen, Nordkorea könne bald im Besitz einsatzfähiger Atomwaffen sein.
Auch der Start einer Unha-3-Rakete im Dezember 2012 dürfte für das Regime in Pjöngjang ein wichtiger Schritt in Richtung Atommacht gewesen sein. Der von der US-Luftverteidigung Norad bestätigte Eintritt einer Rakete in den Weltraum deutet darauf hin, dass die Nordkoreaner in der Lage sind, einen Satelliten oder auch einen Sprengkopf in den Orbit zu schießen - eine unabdingbare Vorrausetzung für den Status einer Atommacht. Doch der Start einer Trägerrakete ist laut Experten nur eine Aufgabe von vielen, die ein Land lösen muss, um den Status einer Atommacht zu erlangen.
Lichtjahre von der Bombe entfernt
Glaubt man Mark Fitzpatrick, Abrüstungsexperte des international anerkannten International Institute for Strategic Studies (IISS) in London, ist Nordkorea noch immer weit davon entfernt, einen atomaren Sprengkopf einsetzen zu können. Zwar hatte der damalige US-Verteidigungsminister Robert Gates im Jahr 2011 prophezeit, Nordkorea könne im Jahr 2016 die Bombe haben - dabei handelte es sich jedoch um ein Worst-Case-Szenario.
Eine Rakete in den Weltraum zu bringen, ist laut Fitzpatrick nur ein Teil eines längeren Prozesses. Ebenso groß seien die Herausforderungen bei der Zielführung eines Sprengkopfes und der Schutz beim Wiedereindringen in die Atmosphäre, sagte Fitzpatrick der britischen BBC. Auch müsse der Sprengkopf mit dem zündfähigen Material klein genug sein, um von einer Rakete transportiert werden zu können. Da Nordkorea all diese Fähigkeiten nicht habe, sei in der näheren Zukunft nicht mit einer einsatzfähigen Bombe zu rechnen.
Deutsche Wissenschaftler teilen diese Auffassung: Auch der Hamburger Politikwissenschaftler August Pradetto glaubt nicht, dass von Nordkorea derzeit die ernstzunehmende Gefahr eines Atomschlages ausgehe. Das Land habe keine adäquaten Kapazitäten, um einen solchen Angriff auszuführen, sagte der Experte für internationales Krisenmanagement im Deutschlandradio Kultur. "Es gibt ein paar nukleare Sprengköpfe, es gibt einige Raketen - aber das bedeutet noch lange keine interkontinentale Schlagfähigkeit", erläuterte der Professor der Universität der Bundeswehr Hamburg.
Nordkorea in die Steinzeit bomben
Nordkorea wisse auch, dass selbst ein begrenzter Angriff auf US-Streitkräfte in Südkorea die vollständige Vernichtung des nordkoreanischen Militärs und seiner politischen Führung nach sich ziehen würde, so Pradetto weiter: "Die USA und Südkorea sind militärisch haushoch überlegen." Auch die Ankündigung Nordkoreas, den Waffenstillstandsvertrag mit Südkorea aufzulösen, zeige keine militärische Angriffsabsicht.
Sind die Drohungen aus Pjöngjang also wirklich nur heiße Luft? Es scheint so. Trotz 1,2 Millionen Männern und Frauen unter Waffen - eine der zahlenmäßig größten Armeen Asiens - gilt Nordkoreas Militär als wenig schlagkräftig, was auch der desolaten wirtschaftlichen Lage geschuldet ist. Selbst ein Angriff mit konventionellen Waffen auf Südkorea erscheint vor diesem Hintergrund äußerst unwahrscheinlich. Die martialischen Äußerungen der nordkoreanischen Führer dürften daher vor allem einem Ziel dienen: Die Macht des bröckelnden Regimes nach innen zu sichern.
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