In der Ukraine kämpfen nordkoreanische Soldaten an der Seite Russlands. Die neugewonnene Kampferfahrung nährt die Angst vor einem Angriff auf Südkorea.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Katharina Ahnefeld sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Kürzlich rief Nordkoreas Diktator zu Vorbereitungen auf einen Krieg auf, der formal eigentlich nie geendet hat. In einer Rede vor Bataillonskommandeuren in der Hauptstadt Pjöngjang befahl Kim Jong Un seinem Militär, "sämtliche Anstrengungen auf die Vollendung der Kriegsvorbereitungen" zu treffen. Das verbreitete die staatliche Nachrichtenagentur KCNA. Die koreanische Halbinsel, also Südkorea und Nordkorea, bezeichnete der Machthaber als "größten Krisenherd der Welt". Den USA und Südkorea warf er vor, die Spannungen "auf den schlimmsten Stand in der Geschichte" gebracht zu haben.

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Nordkorea-Expertin Tereza Novotná vom Korea-Europe Center der Freien Universität Berlin vermutet hinter diesen Worten ein bestimmtes Kalkül: "Indem Kim Jong Un die Halbinsel als gefährlichsten Krisenherd der Welt darstellt, versucht er, den militärischen Ausbau seines Landes zu rechtfertigen und die Unterstützung der Bevölkerung für das Regime zu mobilisieren." Gleichzeitig sei die Rede aber eine explizite Warnung an externe Akteure, insbesondere die USA und Südkorea, keine weiteren Militärübungen oder Sanktionen gegen Nordkorea durchzuführen.

Nordkorea: Einsatz von Soldaten im Krieg in der Ukraine

An sich ist solch nordkoreanisches Säbelgerassel nicht ungewöhnlich. Seit 1950 befinden sich die verfeindeten Nachbarländer Südkorea und Nordkorea im Krieg, seit Ende des Korea-Krieges 1953 herrscht Waffenstillstand. Doch dieses Mal sind Kim Jong Uns Worte in neue Umstände eingebettet. Sein Land kämpft bereits – erstmals seit über 70 Jahren. Und das mehr als 7.000 Kilometer entfernt von Pjöngjang an der Seite Russlands in der Ukraine. Neben Waffen, Munition und schweren Artilleriegeschützen sollen 10.000 nordkoreanische Soldaten in der russischen Grenzregion Kursk stationiert sein, wie etliche Medien mit Verweis auf Angaben aus Südkorea und den USA, beispielsweise die "Tagesschau", berichteten.

"Bloomberg" zufolge könnten im weiteren Kriegsverlauf sogar bis zu 100.000 Soldaten entsandt werden. Denn was viele nicht wissen: Das ostasiatische Land verfügt mit etwa 1,2 Millionen aktiven Soldaten und mehreren Millionen Reservisten über eine der größten stehenden Armeen der Welt. Das bestätigt Tereza Novotná. Laut "BBC" gehen der ukrainische und südkoreanische Geheimdienst davon aus, dass viele der entsandten Truppen zu den besten Nordkoreas gehören. Auch, wenn diese Geschehnisse weit entfernt von der Heimat stattfinden, ist insbesondere die neu gewonnene Kampferfahrung der nordkoreanischen Soldaten besorgniserregend für Seoul.

Zudem treffen diese Entwicklungen auf eine heikle geopolitische Ausgangslage. Im Juni sicherten sich Nordkorea und Russland gegenseitige militärische Unterstützung im Kriegsfall zu. Bei einem Angriff auf Südkorea könnte sich Nordkorea zumindest symbolisch einen mächtigen Verbündeten erhoffen und "politische und wirtschaftliche Zugeständnisse sowie möglicherweise militärische Technologie sichern", so Novotná. Hinzu kommt, dass die Beziehungen zwischen Südkorea und Nordkorea an einem neuen Tiefpunkt angekommen sind. "Die Kommunikationskanäle zwischen Seoul und Pjöngjang sind faktisch unterbrochen. Nordkoreas zunehmend aggressive Rhetorik, Raketentests und militärische Provokationen spiegeln eine bewusste Strategie wider, Südkorea und seine Verbündeten unter Druck zu setzen", sagt die Expertin.

Spannungen zwischen Südkorea und Nordkorea: Sofortiger Angriff unwahrscheinlich

Ein Blick in die jüngste Vergangenheit unterstreicht diese Beobachtungen. So erklärte Kim Jong Un beispielsweise vergangenes Jahr einer friedlichen Wiedervereinigung mit Südkorea eine Absage, bezeichnete das Nachbarland als Hauptfeind und schaffte die für die Aussöhnung mit Seoul zuständigen bürokratischen Institutionen ab. Vor mehreren Wochen ließ Nordkorea außerdem Straßen-und Schienenverbindungen im Grenzgebiet sprengen. Die beiden Länder sind durch eine vier Kilometer breite und entmilitarisierte Zone getrennt.

Trotz dieser Zuspitzungen ist ein sofortiger Angriff auf Südkorea für Tereza Novotná unwahrscheinlich. Pjöngjang verfüge nicht über die Kapazitäten für einen anhalten Konflikt mit Südkorea und den Einsatz in der Ukraine. "Nordkoreas Ressourcen sind stark begrenzt. Obwohl das Regime Militärausgaben priorisiert, deutet die Lieferung von Artillerie an Russland darauf hin, dass die eigene Einsatzbereitschaft potenziell beeinträchtigt wurde. Die Ausrüstung ist veraltet, und die Fähigkeit, einen längerfristigen Konflikt durchzuhalten, bleibt fraglich", sagt die Politikwissenschaftlerin. Auch die neu gewonnene Kampferfahrung in der Ukraine dürfte die militärische Gesamtwirksamkeit Nordkoreas nicht wesentlich verändern. Aber: "Größere Sorgen bereitet die mögliche Übertragung fortschrittlicher russischer Technologie oder Taktiken an Pjöngjang, die die asymmetrischen Fähigkeiten Nordkoreas, wie etwa Cyberangriffe oder Raketensysteme, verbessern könnten", führt Novotná an.

Davor warnt auch Seoul, wie unter anderem "The Guardian" berichtet. "Wir haben festgestellt, dass Ausrüstungsgegenstände und Flugabwehrraketen zur Verstärkung von Pjöngjangs verwundbarem Luftabwehrsystem nach Nordkorea geliefert wurden", sagte der nationale Sicherheitsberater des südkoreanischen Präsidenten Yoon Suk Yeol dem australischen Fernsehsender SBS, ohne genaue Details zu nennen.

Nordkoreas Atomprogramm: Russland könnte Kriegsbeteiligung so zurückzahlen

Noch beunruhigender wäre jedoch eine mögliche russische Unterstützung am nordkoreanischen Atomwaffenprogramm. Diese Befürchtung hat auch die Nato, denn Generalsekretär Mark Rutte warf Russland genau das bei einem aktuellen Außenministertreffen der Allianz in Brüssel vor. Trotz UN-Sanktionen baut Pjöngjang sein Atomprogramm seit Jahrzehnten aus. Das Stockholmer Friedensinstitut Sipri schätzt, dass Nordkorea über circa 50 atomare Sprengsätze verfügt. Im Oktober dieses Jahres hatte Kim Jong Un bei einem Angriff auf sein Land mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht. Und erst vor Kurzem sorgte der bislang längste Testflug einer nordkoreanischen Interkontinentalrakete für Aufsehen.

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Dass Moskau dafür tatsächlich signifikante Ressourcen oder nukleare Hilfe bereitstellt, hält Tereza Novotná angesichts der eigenen Herausforderungen im Krieg in der Ukraine für unrealistisch. "Mittelfristig ist jedoch denkbar, dass Nordkoreas Fortschritte bei Nuklearwaffen und deren Trägersystemen, kombiniert mit möglichen Zugewinnen durch die Zusammenarbeit mit Russland, eine systematischere Herausforderung für die regionale Sicherheit darstellen", warnt sie.

Seine Allianz mit Wladimir Putins könnte sich der nordkoreanische Machthaber also mit einer möglichen Weitergabe russischer Nuklear- und Raketentechnologie bezahlen lassen. Das nordkoreanische Säbelgerassel wird immer mehr zum Nukleargerassel.

Über die Gesprächspartnerin

  • Dr. Tereza Novotná hat unter anderem Politik und Europastudien studiert und forscht an der Freien Universität Berlin. Sie hat bereits in Seoul gelehrt.

Verwendete Quellen

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