Außenseiterin, Neonazi - gar Mörderin? Wer oder was die 40-Jährige Beate Zschäpe aus Jena wirklich ist, darüber lässt sich bislang nur spekulieren. Am Mittwoch will die Hauptverdächtige im Münchner NSU-Prozess endlich ihr Schweigen brechen.
Als "fürsorgliche Mutter" bezeichnete der Filmautor Rainer Fromm Beate Zschäpe, nachdem er für die Fernseh-Doku "NSU privat" alles verfügbare Material über die Rechtsextremistin, die 13 Jahre lang mit falscher Identität gelebt hat, gesichtet hatte.
Zschäpe ist der Schlüssel zur NSU-Aufklärung
Ohne Zschäpe, da ist sich Fromm sicher, wäre die rätselhafte Anschlagsserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds" nicht möglich gewesen.
Vor dem Oberlandesgericht in München sah man Zschäpe in den letzten beiden Jahren, die der Prozess bereits dauert, diese "fürsorgliche" Seite nicht an.
Sie gähnte, sie lachte – und sagte kein einziges Wort. Einer psychiatrischen Begutachtung hat sie sich von Anfang an verweigert.
Nur mithilfe von Zeugenaussagen konnte der Sachverständige Anhaltspunkte für eine mögliche Beurteilung Zschäpes geben.
Seit einigen Monaten ergibt sich ein neues Bild der anfänglich als arrogant wahrgenommenen Hauptangeklagten.
Im Juni warf Zschäpe ihrer Verteidigerin Anja Sturm vor, diese hätte vertrauliche Informationen öffentlich gemacht und Druck auf Zschäpe ausgeübt.
Sturm und ihre Kollegen, Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl, wiesen die Vorwürfe zurück. Schließlich wurde Zschäpes Wunsch stattgegeben und mit Mathias Grasel ein vierter Pflichtverteidiger eingesetzt.
Die Konflikte mit ihren Anwälten haben offenbar Spuren bei Zschäpe hinterlassen. Ihre lang ersehnte Aussage wurde zunächst verschoben und soll nun an diesem Mittwoch stattfinden.
Es habe "Vorfälle" gegeben, teilte Grasel mit. Einen Nervenzusammenbruch von Beate Zschäpe bestätigte er jedoch nicht.
Stellungnahme – aber nur schriftlich
Zuvor hatte Grasel angekündigt, Zschäpe werde zu jedem Anklagepunkt schriftlich Stellung beziehen.
"Es wird in der Erklärung genau dargestellt, was sie von den Aktionen gewusst hat und was nicht", sagte er der "Süddeutschen Zeitung". Er habe das Dokument nach ihren Angaben verfasst.
Zschäpe steht unter enormem Druck. Inwieweit war sie in die dem NSU zugeschriebenen Morde direkt verwickelt?
Wer war außer ihren beiden Mitstreiter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt noch an den Taten beteiligt?
Wer hat sie im Untergrund unterstützt?
Waren die Opfer bewusst ausgewählt?
Diese und andere Fragen sind auch nach fast 250 Verhandlungstagen und 500 Zeugenbefragungen immer noch offen.
Aufklären soll Zschäpe aber nicht nur über das rechtsextremistische Netzwerk, sondern auch über dessen Verbindung mit dem Verfassungsschutz.
Radikalisiert haben sich Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt im rechtsextremistischen "Heimatschutz Thüringen", der immerhin von einem V-Mann des Verfassungsschutzes geleitet wurde.
Nach dem Tod ihrer Gefährten wurde Zschäpe zudem mehrmals von einer Nummer des sächsischen Innenministeriums angerufen.
Alles oder nichts: Zschäpe muss auspacken
Warum Zschäpe sich jetzt äußern will, bleibt Spekulation. Dass sie aus Reue handeln könnte, bezweifelte Gamze Kubasik, Tochter des 2005 in Dortmund erschossenen Mehmet Kubasik, in einem Interview mit dem "Berliner Tagesspiegel". Doch selbst wenn, käme diese "reichlich spät".
Psychologe Christian Kohlross erklärte dagegen im Deutschlandfunk, in der Öffentlichkeit werde generell vergessen, dass die Täter sich mit ihrer Tat auch selbst traumatisierten.
Reden könnte helfen, das Geschehene zu verarbeiten. Körpersprachenexperte Ulrich Sollmann kam für das Magazin "Focus" zu dem Schluss, dass es Zschäpe zunehmend schwer falle, der Strategie ihres Verteidigerteams zu folgen und von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen.
Allerdings hat Zschäpe nicht die Wahl, zu einigen Punkten zu schweigen und zu anderen nicht. Wenn sie das täte, könnten die Richter aus ihrem Schweigen Rückschlüsse ziehen.
Sagt sie nichts, kann ihr das formaljuristisch gesehen nicht zur Last gelegt werden. Um Strafmilderung zu erreichen, muss sie allerdings aussagen.
Zschäpe "mit dem Rücken zur Wand"
"Was die Beweislage angeht, steht sie mit dem Rücken zur Wand", sagte Nebenklage-Anwalt Sebastian Scharmer vor Kurzem öffentlich.
Inzwischen habe das Gericht genug Beweise gesammelt, um Zschäpe alleine wegen der 2011 in Brand gesteckten gemeinsamen Wohnung in Zwickau zu verurteilen.
Damals wäre eine 89-jährige Nachbarin beinahe in dem Feuer umgekommen. Wäre Zschäpe so ahnungs- und harmlos, wie die Verteidiger sie darstellen wollen, argumentiert Scharmer, hätte sie nicht die Mühe machen müssen, Spuren zu vernichten.
Ob Zschäpe am Ende mit einem Schuldbekenntnis besser dasteht als mit ihrer Schweigestrategie, ist noch ungewiss.
Für welche Taktik sie sich am Ende auch entscheiden wird, sicher ist: Zschäpe, die sich als Mittäterin an zehn überwiegend rassistisch motivierten Morden und zwei Sprengstoffanschlägen verantworten hat, hat bislang mit den Opfern des NSU kein Mitleid erkennen lassen.
Wie lange der Prozess noch fortgeführt werden muss, hängt in jedem Fall von Zschäpes Verhalten ab.
Das Gericht schätzt die Kosten pro Verhandlungstag auf 150.000 Euro. Das wären bisher insgesamt 30 Millionen Euro.
Doch Geld sollte bei der Wahrheitsfindung rund um den Terror des NSU und seinen Opfern keine Rolle spielen.
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