Nach den Terroranschlägen in Paris hat der Westen seine Luftschläge gegen den sogenannten "Islamischen Staat" intensiviert. Viele Experten sind sich einig, dass die Terrormiliz auf diese Weise nicht zu bezwingen ist. Jörg H. Trauboth, Oberst a.D. der Luftwaffe, fordert im Interview mit unserer Redaktion eine Bodenoffensive. Die militärischen Fähigkeiten des IS schätzt er als gering ein.
Herr Trauboth, Sie befürworten im Kampf gegen den sogenannten "Islamischen Staat" eine Bodenoffensive. Warum?
Jörg H. Trauboth: Die Luftschläge aller Beteiligten seit mehr als einem Jahr haben den IS gestört, aber seinen Bestand nicht wirklich gefährdet. Luftschläge haben noch nie eine Entscheidung gebracht. Ich befürworte eine robuste Bodenoffensive durch Saudi-Arabien, Iran, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain, Katar und Jordanien, unterstützt mit westlichen Special Forces und eingebundener westlicher Luftunterstützung. Dafür muss ein strategisches Konzept her. Ohne Barack Obama und Wladimir Putin im Schulterschluss wird es nicht gelingen.
Sollten die Kriege im Irak und Afghanistan, zwei Länder, in denen Chaos herrscht, nicht als warnendes Beispiel dienen?
Bedingt. Der Irak hat zu keinem Zeitpunkt den Kampf in unsere Länder getragen. Wir sind durch den IS dagegen unmittelbar bedroht, einschließlich unserer Werte. Der Westen steht vor der Alternative, ob er mit der wachsenden IS-Terrorgefahr für unabsehbare Zeit weiterleben oder dem Übel ein Ende bereiten will. Bevor allerdings eine Bodenoffensive beginnt, müsste ein Konzept für die Nachkriegsordnung her. Das war das Versäumnis im Irak und hat uns das Problem jetzt beschert.
Wie schätzen Sie die militärischen Fähigkeiten des sogenannten "Islamischen Staats" ein?
Nicht sehr hoch. Der IS lebt seht stark von seinem Nimbus. Es gibt aus dem Saddam-Hussein-Kader sehr erfahrene Offiziere, die im Eiltempo Ankömmlinge ausbilden. Kampferprobten westlichen Elitesoldaten sind sie jedoch hoffnungslos unterlegen. Viele würden angesichts einer drohenden Bodenoffensive ohnehin fliehen. Wenn die Schlüsselpositionen, die Städte Rakka und Mossul, gefallen sind, ist der IS - als territorial angelegtes Konstrukt - erst einmal ausgeschaltet, zumal seine Führer, anders als in Afghanistan, keine Rückzugsräume haben. Seine staatliche Ordnung wäre dahin.
Der IS könnte den Krieg gegen ihn als Krieg gegen den Islam auslegen und so in die Welt tragen - wäre das nicht fatal?
Die Ausstrahlung des IS auf die muslimische Welt wird völlig überschätzt. Millionen Muslime sind froh, wenn sie in Frieden leben dürfen - auch im sogenannten "Islamischen Staat", in dem die Scharia von den Bewohnern zwangsläufig geduldet, aber nicht geliebt wird. Dennoch wird auch nach der Vernichtung des IS-Emirats und seiner Schaltstellen der IS-Dschihadismus in Splittergruppen weiterleben. Doch das kann man beherrschen. Nach dem Tod von Bin Laden kam al-Kaida nie wieder richtig auf die Beine.
Welche Rolle spielt Saudi-Arabien in diesem Konflikt?
Saudi-Arabien ist ein "bad player" mit einer eigenen gegen den Iran gerichteten Agenda. Er unterstützt indirekt den IS und kämpft zugleich aus der Luft gegen ihn. Leider brauchen wir Saudi-Arabien zwingend wegen seiner militärischen Stärke für einen Kampf am Boden, so wie wir in dieser Phase auch Assad akzeptieren müssen. Nach der Vernichtung des IS müssen die gesamte Region neu geordnet und unsere (Rüstungs-)Beziehungen überprüft werden.
Am Dienstag wurde ein russischer Kampfjet durch die Türkei abgeschossen. Wie wirkt sich dieser Vorfall auf die von Ihnen geforderte große militärische Allianz aus?
Schlecht. Was immer dort genau passiert ist, der Vorfall spielt dem IS in die Arme. Ich hoffe, dass es beim Säbelrasseln zwischen Nato und Russland bleibt und
Sie haben über die Bedrohung durch den IS den Politthriller "Drei Brüder" geschrieben. Sehen Sie sich durch die aktuelle Lage bestätigt?
Ich bin offen gestanden entsetzt, wie schnell die Fiktion im Buch Wirklichkeit wird und sehe mich in der Forderung nach einer Bodenoffensive um so mehr bestätigt. Es ist Zeit zu handeln.
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