Der Bund soll nach dem Willen von CDU, CSU und SPD 500 Milliarden Euro Schulden für ein neues Sondervermögen Infrastruktur aufnehmen. Ist das eine gute Idee? Der Wirtschaftswissenschaftler Giacomo Corneo hat Zweifel.

Ein Interview

Die Brücken bröseln, die Bahn kommt zu spät – und in manchen Schul- und Klinikgebäuden scheint die Zeit stillzustehen. Der Sanierungsstau in Deutschland ist groß. Und groß ist jetzt auch die Summe, die CDU, CSU und SPD deswegen ausgeben wollen.

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Die Parteien, die wahrscheinlich die nächste Bundesregierung stellen werden, wollen ein Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für die Infrastruktur auflegen. Das heißt: Der Bund soll 500 Milliarden Euro zusätzliche Schulden außerhalb des Haushalts aufnehmen.

Giacomo Corneo, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Freien Universität Berlin, sieht das Sondervermögen kritisch: Eigentlich müsse eine Bundesregierung die notwendigen Investitionen in die Infrastruktur aus dem regulären Haushalt stemmen.

Herr Corneo, ist das 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Infrastruktur eine gute Idee?

Giacomo Corneo. © picture alliance

Giacomo Corneo: Zumindest hat mich die Nachricht nicht erschüttert. Es gibt bei der Infrastruktur einen Nachholbedarf – das ist offensichtlich. Meines Erachtens hat das Sondervermögen aber eher politische als wirtschaftliche Motive.

Inwiefern?

Erstens ist es eine Nebelkerze für die SPD-Mitglieder. Das Sondervermögen soll es ihnen leichter machen, gleichzeitig auch dem Aufrüstungsprogramm zuzustimmen. Zweitens umgeht die kommende Regierung damit die Schuldenbremse und schiebt schmerzhafte Reformen auf. Für die finanzpolitische Solidität der Bundesrepublik ist das negativ.

"Hätten die Bundesregierungen der vergangenen 25 Jahren ihre Aufgaben erledigt, hätten wir jetzt diesen Schlamassel nicht."

Giacomo Corneo

Aber es gibt doch einen großen Bedarf an Investitionen.

Öffentliche Investitionen gehören zu den regulären Aufgaben jeder Regierung. Sie muss dafür sorgen, dass Investitionen jedes Jahr in dem Umfang getätigt werden, wie es für die Volkswirtschaft nötig ist. Hätten die Bundesregierungen der vergangenen 25 Jahren ihre Aufgaben erledigt, hätten wir jetzt diesen Schlamassel nicht.

Nun heißt es aber: Es ist so viel Geld nötig, dass der reguläre Haushalt nicht ausreicht.

Eine Regierung muss Prioritäten setzen. Es gibt viele Möglichkeiten, an zusätzliches Geld zu kommen, etwa indem man unnötige Ausgaben streicht. Das kann in der Energiepolitik, teilweise auch in der Familienpolitik passieren. Auch eine effizient erhöhte Besteuerung wäre denkbar, etwa bei der Erbschaftssteuer. Genau wie eine Reihe von Maßnahmen gegen Steuerhinterziehung. Insgesamt gibt es in Deutschland eine Nachhaltigkeitslücke – und die macht mir Sorgen.

Was ist darunter zu verstehen?

Die Nachhaltigkeitslücke ist die Lücke zwischen den staatlichen Einnahmen und den Ausgaben, die notwendig sind, um sicherzustellen, dass die aufgenommenen Schulden getilgt werden. In Deutschland beträgt sie schon jetzt wegen des demografischen Wandels fast zwei Prozentpunkte des Bruttoinlandsprodukts. Das sind knapp 90 Milliarden Euro. Die Schulden für die Infrastruktur und die Verteidigung kommen jetzt noch hinzu – genau wie nötige Investitionen in die Digitalisierung oder den Übergang zu einer klimaneutralen Volkswirtschaft.

Kann das Sondervermögen die Inflation antreiben?

Die Inflation ist das große Gespenst im Hintergrund. Wenn die Nachhaltigkeitslücke größer wird, fragen Investoren sich, wie riskant die Wertpapiere sind, die man von der Bundesrepublik kaufen kann. Wenn der Schuldenstand Deutschlands wächst, wachsen auch die Zinsen auf Bundesanleihen. Inflation ist Gift für Investitionen, vor allem für Privatinvestitionen. Wenn die Infrastruktur durch das Sondervermögen besser wird, hat das natürlich auch positive wirtschaftliche Effekte. Ob das die Gefahren aufwiegt, ist aber offen.

Hinzu kommt: Mit Geld allein baut man keine neuen Brücken. Deutschland hat auch mit einem Fachkräftemangel zu kämpfen.

Es lässt sich in der Tat nicht alles über Geld regeln. Viel wichtiger als das Volumen von öffentlichen Investitionen ist die Qualität dieser Investitionen. Ich komme aus Italien und kann ein Lied davon singen, wie viel öffentliche Gelder ein Staat verschwenden kann. Aber ich habe auch in Berlin die Geschichte des Flughafens BER verfolgt. Im Nachhinein war das leider ein Staatsversagen.

Was muss auf dem Arbeitsmarkt geschehen?

Bei den geleisteten Arbeitsstunden haben wir ein Plateau erreicht und die Arbeitslosenquote ist vergleichsweise gering. Diejenigen, die keine Arbeit haben, haben meist eine geringe Produktivität. Der Fachkräftemangel wird in Zukunft noch drastischer, weil die Generation der Babyboomer in Rente geht. Vor einer Generation kamen vier Menschen im erwerbsfähigen Alter auf einen Rentner. Diese Zahl ist rasch zurückgegangen: In zehn Jahren werden nur zwei Menschen im erwerbsfähigen Alter auf einen Rentner kommen. Wenn die Regierung jetzt vor allem Geld in die Landesverteidigung steckt, fehlen die Ressourcen für bessere Bildung, Gesundheit, Kultur und andere öffentliche Aufgaben. Deswegen wären Reformen wichtig, die die Produktivität der Einwanderer erhöhen.

Wie könnten diese Reformen aussehen?

Bei der Integration von Einwanderern muss Deutschland besser werden. Das fängt schon in der Schule an. Mit zehn Jahren werden die meisten Kinder voneinander getrennt und auf unterschiedliche Schulformen aufgeteilt. Kinder aus bildungsfernen Schichten haben deshalb schlechtere Bildungschancen und können ihre Produktivität nicht gut entwickeln. Ein anderes Problem ist später im Leben der Meisterzwang.

Inwiefern?

Viele Einwanderer sind gute Handwerker und würden sich gerne mit einem eigenen Betrieb selbstständig machen – der Meisterzwang bremst sie aber dabei. Und das, obwohl die Zahl der jungen Menschen in Handwerksberufen ständig zurückgeht. Wie übrigens auch die Zahl der Studierenden in technischen Fächern und der Selbstständigen. Die Entwicklung in der Unternehmenstätigkeit ist besorgniserregend – und die sollte unbedingt umgekehrt werden.

Über den Gesprächspartner

  • Prof. Dr. Dr. Giacomo Corneo hat Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Mailand und Paris studiert. Danach promovierte er zweimal, arbeitete im französischen Wirtschafts- und Finanzministerium, lehrte und forschte in Bonn, Berkeley, Philadelphia und Osnabrück. Seit 2004 ist er Professor für Volkswirtschaft und Finanzwissenschaft an der Freien Universität Berlin.