Die Beliebtheitswerte von Olaf Scholz sind im Keller und bei der Europawahl fuhr seine SPD ein historisch schlechtes Ergebnis ein. Muss der Bundeskanzler jetzt seinen Platz für einen geeigneteren Kandidaten räumen? Oder hat er das Zeug, sich noch einmal zu berappeln?

Dieser Meinungsbeitrag stellt die Sicht von Joshua Schultheis und Fabian Hartmann dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Noch nie war die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger für die Kanzler-Partei so gering.14 Prozent stimmten bei der Europawahl für die SPD. Betrachtet man die Gesamtmenge aller Wahlberechtigten, haben sogar nur neun Prozent ihr Kreuz bei den Sozialdemokraten gemacht. Das zeigen Daten des Meinungsforschungsinstituts Forsa. Demnach war es Konrad Adenauer, der mit 23,5 Prozent das zweitschlechteste Ergebnis in einer bundesweiten Wahl eingefahren hat – und zwar im Jahr 1949.

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Auch die persönlichen Umfragewerte von Olaf Scholz sind schlecht: Nur etwa ein Drittel der Befragten bewertet seine Arbeit als Bundeskanzler positiv. Sollte sich Scholz angesichts dieser Zahlen nicht eingestehen, dass er gescheitert ist? Darüber streiten unsere Redakteure.

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Pro: Olaf, es ist vorbei!

Von Joshua Schultheis

Schlappe 14 Prozent. Noch ein, zwei Wahlen dieser Art und die SPD hat endgültig ihren Anspruch verloren, sich Volkspartei zu nennen. Bei der "Party" nach der Europawahl tauchte auch Olaf Scholz im Willy-Brandt-Haus auf. Auf die Frage einer Journalistin, ob er sich zum SPD-Ergebnis äußern wolle, sagte der Bundeskanzler: "Nö."

Es ist diese Arroganz und offenkundige Realitätsverweigerung, die Scholz für einen Großteil der Deutschen mittlerweile schwer erträglich macht. Der Bundeskanzler wirkt wie ein Schlafwandler, der sich selbst und seine ganze Partei in den Abgrund zu ziehen droht. Man wünscht sich, dass irgendjemand Scholz wachrüttelt und ihm sagt: Olaf, es ist vorbei!

Für das schlechte Abschneiden der Sozialdemokratie bei den EU-Wahlen ist Scholz unmittelbar verantwortlich. Es war sein Gesicht, das auf den SPD-Wahlplakaten omnipräsent war. Statt einem Kanzler-Bonus gab es einen Kanzler-Malus.

Das hätten sich die Genossen auch vorher ausrechnen können: Scholz' Zustimmungswerte dürften niedriger sein als bei jedem Bundeskanzler zuvor. Selbst im internationalen Vergleich sticht er heraus: Die "New York Times" kürte Scholz jüngst zum unbeliebtesten Staatenlenker der Welt.

Den schlechten Ruf hat sich der Sozialdemokrat redlich verdient. Seine konsequente Verweigerung, sich und seine Politik zu erklären, ist mittlerweile notorisch. Selbst die eigenen Parteigenossen zeigen sich immer offener genervt von Scholz' Art. "Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch", hatte der einmal gesagt. Nach zweieinhalb Jahren an der Macht lautet das Fazit: Versprechen gebrochen.

Es ist an der Zeit, dass Olaf Scholz für einen geeigneteren Kanzler Platz macht. In seiner Partei gebe es da jemanden: Verteidigungsminister Boris Pistorius hat alles, was Scholz nicht hat. Wagt die SPD diese Rochade nicht, bleiben noch Neuwahlen als Option. An deren Ende würde aber ganz sicher ein Regierungschef stehen, der kein SPD-Parteibuch hat.

Contra: Es ist zu früh, den Kanzler abzuschreiben

Von Fabian Hartmann

Vor der letzten Bundestagswahl lautete der kürzeste Witz im Berliner Regierungsviertel: Olaf Scholz wird Kanzler. Es erschien so unwahrscheinlich, ja geradezu vermessen, dass es der SPD-Politiker schafft. Ein Jahr vor der Wahl lag die Union knapp 20 Prozentpunkte in Führung. Doch am Ende siegte Scholz.

Natürlich: 2025 ist nicht 2021. CDU und CSU haben beim letzten Mal viel dafür getan, die Wahl zu verlieren. Nach 16 Jahren Angela Merkel wirkte die Union orientierungslos, ihr Kanzlerkandidat Armin Laschet lachte im Wahlkampf an der falschen Stelle und die ständigen Störfeuer aus München hatten nur ein Ziel: die Demontage Laschets.

Es ist unwahrscheinlich, dass die Union noch einmal so kopflos und selbstzerstörerisch in eine Wahl stolpert. Umgekehrt gilt aber auch: Es ist zu früh, den Kanzler abzuschreiben. Wer jetzt schon in Triumphgeheul verfällt, könnte sich noch wundern.

Scholz ist zäh. Und Stimmungen können sich drehen. Die Ampel mag stehend k.o. sein, doch wer weiß, was im nächsten Jahr ist: Im Weißen Haus könnte dann mit Donald Trump ein Mann sitzen, der vom Westen wenig hält, dafür aber ein Herz für Diktaturen hat. Das würde auch die Lage der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland weiter schwächen. Und dann ist da noch das Pulverfass Nahost.

Gut möglich, dass die Deutschen in einer solchen Gemengelage auf den besonnenen, spröden Olaf Scholz setzen. Und nicht auf CDU-Chef Friedrich Merz, den wahrscheinlichen Herausforderer.

Es muss nicht so kommen. Aber es ist zumindest denkbar.

Zumal die Union ein grundsätzliches Problem hat – nämlich Merz selbst. Mal abgesehen davon, dass der CDU-Chef über keinerlei Regierungserfahrung verfügt: Merz schafft es, noch unbeliebter zu sein als Olaf Scholz. Der Oppositionsführer gilt als dünnhäutig, kann aufbrausend sein. Außerdem fehlt ihm das Fingerspitzengefühl. Zu Christian Lindners Promi-Hochzeit auf Sylt flog Merz mit dem Privatflugzeug ein. Die Macht der Bilder scheint der CDU-Chef nicht verstanden zu haben.

Im Bundestag lief Olaf Scholz immer dann zu Hochform auf, wenn Merz vor ihm gesprochen hat. Dieses Duell könnte den nächsten Wahlkampf bestimmen. Die größte Chance von Olaf Scholz heißt Friedrich Merz.

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