- Die in einer tiefen Krise steckende Linkspartei hat sich am vergangenen Wochenende zum Parteitag in Erfurt getroffen.
- Sie konfrontierte sich selbst mit Sexismus-Vorwürfen, diskutierte über die Russland-Politik, wählte eine neue Spitze – und versuchte einen Neuanfang.
- Ist das gelungen? Ein Politikwissenschaftler gibt eine Einschätzung.
Dass sie ein Problem hat, hat die Linkspartei erkannt. "Unsere Partei, die wir vor 15 Jahren gegründet haben, befindet sich in einer tiefen Krise", sagte die Parteivorsitzende
Als eine Art "letzte Chance für einen Neuanfang" wurde das Zusammentreffen der Delegierten von Beobachtern schon im Vorfeld gewertet. Wissler gab auf dem Parteitag zu: "Wir haben Niederlagen bei der Bundestagswahl und den letzten Landtagswahlen erlebt, zu viele Mitglieder haben die Partei verlassen." Es komme nun darauf an, die Partei zu verändern.
Neuanfang gefordert
Auch
Man habe häufiger verloren, "als es zu verschmerzen gewesen wäre", sagte Wissler auf dem Parteitag. Ein Grund sei der Eindruck, der Partei seien "die Kämpfe untereinander" wichtiger als das Engagement für die Menschen. Inhaltlich brauche es den Einsatz für ärmere Menschen sowie eine konsequente Klimawende mit sozialer Absicherung. Ebenso forderte die Linke "das größte Investitionsprogramm aller Zeiten" als Ersatz für das 100-Milliarden-Programm für die Bundeswehr.
Neue Spitze bei der Linkspartei gewählt
Für ihre Rede erhielt Wissler viel Beifall, ihr Ergebnis bei der Wahl des Parteivorsitzes sprach dann aber eine deutlich nüchternere Sprache: 57,3 Prozent – bei ihrer ersten Wahl waren es noch über 84 Prozent gewesen. Wissler hatte die Partei zuletzt alleine geführt, nachdem die Co-Vorsitzende Susanne Henning-Wellsow zurückgetreten war. Nun ließ sie sich zur Wiederwahl aufstellen.
Trotz des nicht überzeugenden Ergebnisses konnte sie sich gegen die Bundestagsabgeordnete Heidi Reichinnek durchsetzen. "Das darf aber nicht über die tiefen Spaltungen innerhalb der Linken hinwegtäuschen", erinnert Politikwissenschaftler Dierk Borstel. In der Linkspartei sammelten sich mehrere ideologische Strömungen, die kaum Abweichungen von ihrer jeweiligen Lehre zu ertragen schienen.
Parteiführung hat wenig Macht
"Diese prallen dann auf Politikerinnen und Politiker, die in Regierungsämtern und Parlamenten Kompromisse und reale Verantwortungen übernehmen müssen", beobachtet er. Auf Dauer könne das keine Parteiführung moderieren oder gar steuern. "Von daher ist weniger das Vertrauen entscheidend, sondern eher die Macht der Parteiführung, die doch sehr begrenzt ist", urteilt Borstel.
Bei der Wahl des zweiten Chefpostens ging der EU-Parlamentarier
Sahra Wagenknecht steckt zurück
Es handele sich um die Wiederholung des Versuches, unterschiedliche Strömungen wie Ost und West oder links und realpolitisch in der Spitze zu repräsentieren. Schirdewans Gegenkandidat Pellmann wäre von dem Lager um
Mit Schirdewan, dem bisherigen Vizevorsitzenden der Linkenfraktion im Europaparlament und Spitzenkandidat im Europawahlkampf 2019, konnte aber nun Wissler ihren Wunsch-Co-Vorsitzenden durchsetzen. Während Wissler weiter links steht, wird Schirdewan zum pragmatischen Flügel gezählt.
Existenzfrage Russland?
Wisslers Position fand auch inhaltlich mehr Anklang, als es um die Ukraine-Politik ging. In ihrer Rede sagte sie: "Der verbrecherische Angriffskrieg ist durch nichts zu rechtfertigen." Die Verantwortung trage die russische Führung um Präsident Putin, er verfolge "imperiale und nationalistische Ansprüche". Waffenlieferungen an die Ukraine lehnt die Linkspartei grundsätzlich ab, bei Sanktionen ist sie zerstritten.
Wissler sagte, gezielte Sanktionen gegen Russland seien richtig, nicht aber solche, die "zur Verarmung der Mehrheit der Bevölkerung" in Russland führen könnten. In dem von ihrem Parteivorstand vorgelegten außenpolitischen Leitantrag heißt es unter anderem: "Wir verurteilen den verbrecherischen Angriffskrieg Russlands aufs Schärfste".
Verhältnis zur Nato unklar
Wagenknecht, die krankheitsbedingt nicht vor Ort war, wollte mit einem Änderungsantrag unter anderem diesen Satz streichen lassen und die Verantwortung der Nato für den Krieg stärker betonen. Der Änderungsantrag scheiterte jedoch. In der Debatte um die Frage, ob und wie die Partei ihre Kritik an der Nato ins Verhältnis zum Ukraine-Krieg setzen soll, wurden kaum Fortschritte erzielt. "Die Debatte zeigte die Zerrissenheit in der Partei zwischen den Flügeln", sagt auch Experte Borstel.
Mehrere Minderheiten versuchten ihre jeweiligen ideologischen Dogmen, etwa des Antiamerikanismus, des Antikapitalismus, der Verteidigung Russlands oder des radikalen Pazifismus vehement zu verteidigen.
Debatte über Sexismus-Affäre
"Es war mal wieder Gregor Gysi, der die dazu passende Frage stellte: Was sagt die Linke den angegriffenen Ukrainern und den schutzsuchenden Ländern im Norden Europas?", sagt Borstel. Eine Antwort auf diese Frage habe der Parteitag aus seiner Sicht nicht entwickelt – "trotz des harten Ringens und des Mehrheitsbeschlusses der Partei, den Angriffskrieg auch so zu bezeichnen", kommentiert er.
Viel Raum auf dem Parteitag nahm auch die Sexismus-Affäre ein. In einer Generaldebatte wurden drastische Beispiele zitiert. Wissler, die in der Sexismus-Affäre selbst unter Druck geraten war, sagte: "Die letzten Monate waren alles andere als leicht und einfach". Sie wolle nicht behaupten, dass sie keine Fehler gemacht habe, jedoch sei alles, was sie getan habe, "in bester Absicht" geschehen. Eine Entschuldigung richtete sie an die Frauen, die in der Partei "Sexismus oder sogar Übergriffe" erfahren und zugleich kaum Unterstützung erhalten hätten.
Abspaltung eines Flügels?
Was waren die wichtigsten Signale, die vom Parteitag ausgingen? "Insgesamt gibt es eine Mehrheitsposition in der Partei, die um ihre Existenzkrise weiß und starke Minderheiten, denen der Erhalt der Partei im Zweifel weniger wichtiger erscheint als die Durchhaltung ihrer jeweiligen dogmatischen Positionen", urteilt Borstel.
Aus der Geschichte der Grünen kenne man bereits ähnliche Konstellationen. "Damals trennte sich der fundamentalistische Flügel von der Partei. Es sieht derzeitig aber nicht so aus, als würden diese dogmatischen Strömungen in der Linken dem realpolitischen Flügel einen solchen Gefallen tun", schätzt er.
Untergang der Linken droht
Die Partei bleibe mehrfach gespalten und sei so kaum handlungs-, geschweige denn auf Bundesebene regierungsfähig. "Die Linke ist mit sich selbst beschäftigt und in sich tief gespalten. Als Regierungsalternative auf Bundesebene fällt sie wohl auch langfristig aus", ist sich Borstel sicher.
Als linke Opposition sei sie in sich zu gespalten und vielstimmig, um zu einer mobilisierenden Stimme von links zu werden. "Es spricht auch – trotz der beschwörenden Worte – wenig dafür, dass sich das kurz- oder mittelfristig ändern wird", sagt der Experte. Bleibe es bei dieser Konstellation, beobachte man den Untergang einer Partei.
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