Der frühere Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück stellt in einem Interview klar: Aus seiner Sicht ist Deutschland kein kranker Mann. Ändern müsse sich trotzdem einiges.
Peer Steinbrück war immer ein Freund klarer Worte. Den früheren italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi bezeichnete er mal als "Clown mit Testosteronschub". 2013 zeigte er seinen Kritikern im Bundestagswahlkampf auf dem Titel des "Süddeutsche Zeitung Magazin" den Stinkefinger. Und 2017 tourte er mit dem Kabarettisten Florian Schröder durchs Land.
Auch nach dem Ende seiner politischen Karriere lässt sich der Sozialdemokrat nicht den Mund verbieten. Gerade hat er wieder dem "Tagesspiegel" (Bezahlinhalt) ein Interview gegeben. Darin wird klar: Steinbrück – inzwischen 77 Jahre alt – ist genervt.
Steinbrück: Kein Grund zum Jammern – aber Grund für Veränderungen
Genervt ist er einerseits vom ewigen Jammern und Mangel an Gelassenheit im Land. "Über 90 Prozent der Weltbevölkerung würden ihre Probleme gern mit unseren tauschen", sagt er dem "Tagesspiegel". Deutschland sei weder ein kranker Mann, noch drohe eine Rückkehr in die Verhältnisse der Weimarer Republik.
Besteht also kein Grund zur Sorge? Können wir weitermachen wie bisher? Das ist aus Sicht von Steinbrück auch nicht der Fall. Das Land stehe vor großen Herausforderungen und müsse sich anstrengen, findet der SPD-Politiker. Er zählt auf, was aus seiner Sicht die Wirtschaft lähmt: zu wenige Investitionen und Fachkräfte, zu hohe Energiepreise, Steuern und Bürokratiekosten. Im internationalen Vergleich investiere Deutschland zu wenig.
"Schuldenbremse gehört reformiert"
Steinbrück hat in seiner politischen Karriere viele Ämter ausgefüllt. Der gebürtige Hamburger war Wirtschaftsminister in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. In Düsseldorf rückte er auch zum Ministerpräsidenten auf. Nach der dortigen Abwahl wurde er 2005 in Berlin Bundesfinanzminister und führte die SPD 2013 als Kanzlerkandidat in die Bundestagswahl – allerdings ohne Erfolg.
Als Finanzminister hat Steinbrück dem Land ein besonderes Erbe hinterlassen: die Schuldenbremse. Diese im Grundgesetz festgeschriebene Regel besagt, dass die jährliche Neuverschuldung des Bundes höchstens 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung betragen darf. Die FDP in der aktuellen Bundesregierung will auf jeden Fall daran festhalten. SPD und Grüne beklagen dagegen, die Schuldenbremse verhindere nötige Investitionen in Infrastruktur oder Schulen.
Auch der "Vater" der Schuldenbremse sagt inzwischen: 2009 sei sie zwar noch das richtige Instrument gewesen. Aber: "Heute sind die Zeiten anders. Sie gehört reformiert."
Liebäugeln mit einer neuen "GroKo"
Steinbrück denkt dabei bereits an die nächste Bundesregierung: Wenn der Kanzler irgendwann
Die Aussicht auf einen CDU-Kanzler Merz macht dem Sozialdemokraten Steinbrück offensichtlich keine Angst. Eine Neuauflage der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD auch nicht. Zunächst sei 2025 der Wähler gefragt, sagt er. "Sollte sich eine Mehrheit aus SPD und der Union ergeben, hielte ich dies für die beste aller denkbaren Varianten, sofern sich eine solche große Koalition auf eine Agenda 2030 verständigt und dem Land wieder Zuversicht und Zukunftsvertrauen gibt."
Kritik am wachsenden Sozialstaat
Peer Steinbrück wäre nicht Peer Steinbrück, wenn er grenzenloses Geldausgeben vorschlagen würde. In der SPD galt er immer als Stimme der Sparsamen und Wirtschaftsfreunde. Kritisch sieht der frühere Finanzminister daher hohe Ausgaben für den Sozialstaat.
"Es kann auf Dauer nicht gut gehen, wenn jede Frage nach einer höheren Effizienz des Sozialstaates tabuisiert wird", sagt er dem Tagesspiegel. Eine 1.000-Euro-Prämie für Bürgergeld-Empfänger, die einen Job annehmen, lehnt er ab – genau wie eine "Abwrackprämie" für Autos mit Benzinmotor.
Ihn störe der "Aktionismus", mit dem Subventionen vorgeschlagen werden. Steinbrück ist überzeugt: Deutschland braucht zunächst eine Strategiedebatte. Das Land müsse sich also klar werden, wie es seine Wirtschaft im internationalen Wettbewerb aufstellen will.
Als notwendig erachtet der SPD-Politiker das Mitwirken der Bürgerinnen und Bürger: Der Leistungsbegriff dürfe nicht ins Hintertreffen geraten, sagt er. "Nicht jeder einzelne, aber gesamtwirtschaftlich müssen wir mehr arbeiten und unsere Produktivität erhöhen." Eine 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich wäre aus Sicht von Steinbrück jedenfalls die falsche Antwort auf die Herausforderungen, vor denen das Land steht. (fab)
Verwendete Quelle
- Tagesspiegel.de: "Das lähmt das Land": Peer Steinbrück über die Angst der Politik vor den Wählern
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