Artilleriemunition ist in den Bundeswehrdepots Mangelware, nun will das Wehrressort im großen Stil Nachschub bestellen. Ein neuer Deal hat nach SPIEGEL-Informationen einen Rekordwert.
Verteidigungsminister
Aus dem geplanten Munitionskontingent von 2,35 Millionen Schuss, das die beiden Firmen bis Ende des Jahrzehnts herstellen sollen, könnten sowohl die Bundeswehr als auch die Ukraine 155-Millimeter-Munition in erheblichem Umfang bestellen. Zunächst will die Bundeswehr allerdings nur eine Tranche von 200.000 Schuss für gut 1,31 Milliarden Euro ordern, die bis 2030 ausgeliefert werden soll. Damit sollen vor allem die ziemlich leeren Depots der Truppe wieder aufgefüllt werden. In den Papieren wird eindeutig erwähnt, dass sowohl die Ukraine wie auch alle Nato-Partner über den Rahmenvertrag Munitionstranchen bestellen können.
Mit dem Mega-Rahmenvertrag will Pistorius sicherstellen, dass die beiden Rüstungsunternehmen weitere Fertigungskapazitäten für die Mangelware 155-Millimeter-Munition in Deutschland aufbauen können. "Es besteht ein wesentliches Sicherheitsinteresse an einer inländischen Fertigung", betont auch das Finanzministerium in den Unterlagen. Bestelle man erst später, bestehe das Risiko, dass "einzelne Produkte gar nicht, zu erhöhten Preisen oder unter Inkaufnahme langer Lieferfristen verfügbar sein werden", so die Papiere.
Bundeswehr stellt sich auf dauerhafte Konfrontation mit Russland ein
Die Großbestellung zeigt, wie sehr sich die Bundeswehr auf einen langen Krieg in der Ukraine und auf eine dauerhafte Konfrontation mit Russland einstellt. Noch im vergangenen Jahr orderte das Haus von Pistorius bei dem Konsortium von Diehl und Nammo nur knapp 5000 Granaten für die Panzerhaubitze 2000. Schon damals war klar, dass die Bestände der Bundeswehr in den vergangenen Jahrzehnten viel zu sehr zusammengeschrumpft waren. Für eine Riesenbestellung wie jetzt aber fehlte offenkundig der politische Wille.
Der Rahmenvertrag ist schon der zweite Megadeal für Munition in kurzer Zeit. Erst vor einigen Wochen hatte das Wehrressort mit Rheinmetall eine ähnliche Vereinbarung über bis zu 8,5 Milliarden Euro abgeschlossen, damit der Düsseldorfer Waffenproduzent eine neue Fertigungslinie in Niedersachsen aufbauen kann. Auch den Rahmenvertrag für Rheinmetall hatte das Wehrressort auf 2,35 Millionen Schuss für die kommenden Jahre aufgestockt. Rheinmetall verkaufte den Deal sichtlich stolz als Rekordauftrag.
Über die strategische Notwendigkeit der weiteren großen Munitionsbestellung dürfte es bei den Beratungen im Haushaltsausschuss wohl keinen Streit geben. Gleichwohl sind einige Details aus den Unterlagen interessant. So verlangt das Konsortium Diehl Defense und Nammo Raufoss für die erste Tranche von 200.000 Granaten mit gut 1,31 Milliarden Euro gut 10 bis 15 Prozent mehr als bei der ersten Bestellung im vergangenen Jahr. In den Unterlagen heißt es dazu nur, dies sei "dem Fertigungsaufbau und den Lizenzgebühren geschuldet".
2028 ist Sonderbudget aufgebraucht - was dann?
Fragezeichen gibt es zudem bei der Finanzierung des Großauftrags. Zwar sind die Rechnungen für die ersten Munitionslieferungen in den kommenden Jahren durch den Wehretat und das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr abgedeckt. Spätestens ab 2028, dann ist das Sonderbudget aufgebraucht, muss das Wehrressort die Munitionstranchen aus dem laufenden Etat bezahlen. In den Unterlagen heißt es dazu nur lapidar, die Kosten würden bei der Haushaltsaufstellung "zeit- und bedarfsgerecht berücksichtigt". Ohne einen deutlichen Aufwuchs aber wird das nicht möglich sein.
Der Haushaltsausschuss wird nun zeitnah über die Vorlage beraten. Für die Abgeordneten wird dies nicht ganz einfach. Zwar gibt es sowohl innerhalb der Ampelkoalition als auch bei der Union nur wenig Zweifel, dass die Großbestellungen militärisch sinnvoll sind. Dass Pistorius jedoch mit dem Munitionsdeal einen weiteren Vertrag vorlegt, dessen Finanzierung nicht solide gesichert ist, sorgt für Stirnrunzeln. Bereits vergangene Woche hatte das Wehrressort dem Ausschuss zwei Anträge für den Kauf von 105 Leopard-Panzern und vier weiteren Patriot-Flugabwehrsystemen zur Genehmigung zugesandt. © DER SPIEGEL
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.