Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) lässt angesichts eines Personalmangels bei der Bundeswehr Modelle einer Dienstpflicht prüfen und nimmt dabei auch das schwedische Wehrpflichtmodell in den Blick. "Dort werden alle jungen Frauen und Männer gemustert, und nur ein ausgewählter Teil von ihnen leistet am Ende den Grundwehrdienst. Ob so etwas auch bei uns denkbar wäre, ist Teil dieser Überlegungen", sagte Pistorius der "Welt am Sonntag". Er prüfe alle Optionen. "Aber jedes Modell, egal welches, braucht auch politische Mehrheiten."
Wehrpflicht seit fast 13 Jahren ausgesetzt
Die Pflicht zum Wehrdienst war in Deutschland 2011 nach 55 Jahren ausgesetzt worden.
Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP heißt es: "Die Bundeswehr muss demografiefest und langfristig auch mit Blick auf die Altersstruktur ausbalanciert sein." Auf die Frage, wie das gelingen solle, sagte Pistorius: "Wir haben eine Task Force Personal eingerichtet im August. Ich habe jetzt das erste Extrakt der Arbeit gesehen, es geht um 65 sehr konkrete Vorschläge für Anwerbung, Rekrutierung, Ausbildung und Einstiegsvoraussetzungen." Mit der Umsetzung werde man Anfang des Jahres starten, sagte der Minister.
Schweden vollzog Kehrtwende bei Wehrpflicht
Schweden hatte die Wehrpflicht 2010 ausgesetzt. Vor dem Hintergrund einer verschlechterten Sicherheitslage kehrte das Land 2018 zur Wehrpflicht zurück, im Sommer 2017 begann man mit den Musterungen. "Wir haben Schwierigkeiten gehabt, die Kampfeinheiten auf freiwilliger Basis zu bemannen", sagte der damalige schwedische Verteidigungsminister Peter Hultqvist. Für bis zu zwölf Monate eingezogen werden Männer und Frauen. Schon damals nahm Schweden wie auch Finnland eine größere Bedrohung durch Russland wahr.
Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 entschloss sich Schweden gemeinsam mit Finnland, nach langer Zeit der militärischen Bündnisfreiheit die Aufnahme in die Nato zu beantragen. Finnland wurde am 4. April dieses Jahres 31. Mitglied. Für Schweden fehlen noch die Zustimmungen der Türkei und Ungarns.
FDP gegen Wiedereinführung einer Wehrpflicht
Vom liberalen Koalitionspartner erntete Pistorius Widerspruch. Der verteidigungspolitische Sprecher der FDP im Bundestag, Alexander Müller, warnte, die Wiedereinführung der Wehrpflicht wäre ein "enormer Eingriff in die Freiheitsrechte, der nicht im Verhältnis zur Bedrohung Deutschlands steht". Für eine Grundgesetzänderung fehle die politische Mehrheit. "Es wird nicht gelingen, die jeweils sportlichsten und fittesten jungen Menschen in die Truppe zu zwingen, und allen anderen ihre berufliche Freiheit zu lassen. Die Bundeswehr braucht motivierte und gut bezahlte Männer und Frauen, die freiwillig und aus innerer Überzeugung ihren Dienst tun."
Gesellschaftsjahr, Dienstjahr, Pflichtzeit
Vorschläge, junge Menschen zum Dienst an der Gesellschaft heranzuziehen, gibt es eine ganze Reihe, schließlich war mit dem Aus der Wehrpflicht auch die Alternative weggefallen, Zivildienst zu leisten. Auf ihn folgte der Bundesfreiwilligendienst.
Die CDU setzt im Entwurf ihres neuen Grundsatzprogramms auf ein "Gesellschaftsjahr". "Durch ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr würde auch die Bundeswehr einen Attraktivitätsschub bekommen", sagte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Dieses Jahr könne auch bei der Bundeswehr absolviert werden. Unionsfraktionsvize Johann Wadephul (CDU) sagte der "Rheinischen Post", die Union sei grundsätzlich "auch hinsichtlich anderer Modelle und Wege gesprächsbereit".
Die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl, hatte im Sommer die Idee eines verpflichtenden Dienstjahrs, das im zivilen oder militärischen Bereich abgeleistet werden könnte, als "diskussionswürdig" bezeichnet. Und sie sagte: "Man könnte wie in Schweden einen gesamten Jahrgang junger Leute für die Bundeswehr zur Musterung einladen."
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wirbt seit dem vergangenen Jahr für seine Idee einer sozialen Pflichtzeit. Sie sollte sechs bis zwölf Monate betragen und in unterschiedlichen Phasen des Lebens absolviert werden können. © dpa
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