"Am 1. Januar 2016 wird die Pkw-Maut scharf gestellt." Das kündigte der damalige Verkehrsminister Alexander Dobrindt im April 2014 an. Derzeit macht das Vorhaben vor allem durch ausufernde Planungsausgaben von sich reden. Und Dobrindts Nachfolger Andreas Scheuer, meint ein Experte, sei das ehemalige Prestigeprojekt mittlerweile "eher peinlich".
Der geplante und nicht eingehaltene Starttermin 1. April 2016 wird demnächst drei Jahre alt - doch die Probleme mit der Pkw-Maut sind nicht gelöst. Im Gegenteil: es werden immer mehr.
Beispiel EU-Vorgaben: Spätestens von 2026 an soll die Pkw-Maut europaweit streckenabhängig sein. Das hat die EU-Kommission kürzlich beschlossen. Obwohl sich das deutsche System - es sieht für alle Pkw-Halter eine kilometerunabhängige Pauschale vor - mit dieser Vorgabe nicht in Einklang bringen lässt, beharrt das Verkehrsministerium auf seiner Planung.
In einer Mail an unsere Redaktion heißt es unter dem Stichwort EU: "Die Mitgliedstaaten sollen weiterhin die Freiheit haben zu entscheiden, ob sie zeitbezogene oder streckenbezogene Mautsysteme betreiben." Doch die aktuelle Entscheidung der EU besagt das Gegenteil.
Der Journalist und Europa-Korrespondent Detlef Drewes urteilt denn auch, Bundesregierung und Verkehrsministerium würden bei diesem Problem "den Kopf in den Sand stecken".
Er betont, bei der EU-Forderung nach streckenabhängigen Gebühren handle es sich um eine längst bekannte "Uralt-Forderung der Kommission", die schon seit 2007 auf der Tagesordnung der EU stehe und sich auf der politischen Agenda halten werde.
Ministerium setzt "viel Geld in den Sand"
Es sei klar, dass die EU kein Mitgliedsland mit funktionierendem Mautsystem zwingen könne, seine Berechnungsgrundlagen von heute auf morgen umzustellen. Doch dass Deutschland jetzt noch mit einem System starten wolle, dass den zukünftigen Vorgaben der EU entgegenstehe, sei nicht zu rechtfertigen.
Mit dem Festhalten an
Das sieht das Verkehrsministerium anders: Die Pkw-Maut, heißt es weiter in der E-Mail an unsere Redaktion, "sorgt für mehr Gerechtigkeit auf den Straßen".
Auch der neue Fahrplan des Verkehrsministeriums, das einen Start der Mauterhebung für 2020 vorsieht, stößt auf Skepsis. "Sehr sportlich" finde er diesen Termin, sagt Prof. Alexander Eisenkopf vom Lehrstuhl für Wirtschafts- und Verkehrspolitik der Universität Friedrichshafen. Er sieht vor der Einführung der Maut noch viele Probleme:
Für das Angebot an zukünftige Betreiber, die die Maut erheben und kontrollieren sollen, musste die Angebotsfrist verlängert werden. Mittlerweile gibt es nur noch einen Bieter, was für das Verkehrsministerium, so Eisenkopf, "natürlich besonders peinlich ist."
Zusätzlich müsse dieser Bieter mit ungesicherten Zahlen planen. So habe zwar das Verkehrsaufkommen in den vergangenen Jahren wegen der guten wirtschaftlichen Entwicklung und des Bevölkerungswachstums stärker zugenommen als erwartet.
Gleichzeitig aber wachse der Bestand an Pkw, die mit Motoren der Euro-6-Norm unterwegs sind - deren Halter zahlen nur eine reduzierte Maut.
Während das Ministerium nach wie vor von jährlich 500 Mio. Euro Überschuss spricht, ist Eisenkopf skeptisch: "Das würde ich nach wie vor in Frage stellen." Die Betreiber, fürchtet der Wissenschaftler "werden Risikozuschläge fordern, weil die Zukunft der Maut in Anbetracht der Beschlusslage in der EU ungewiss ist."
Als Negativbeispiel dient Eisenkopf der derzeitige Stand bei der Erhebung der Lkw-Maut. Der Bundesrechnungshof habe das System als zu teuer bewertet.
Die österreichische Klage gegen das deutsche Mautsystem ist weiterhin nicht abgeschlossen. Das Nachbarland bemängelt, dass deutsche Bürger die Pkw-Maut per Steuernachlass erstattet bekommen sollen, während ausländische Autofahrer zahlen müssen.
Die Zollbehörden sind für die Erstellung und Verschickung der Bescheide zur Kfz-Steuer zuständig. Derzeit gibt es in Deutschland rund 46,5 Millionen Pkw.
Bei den Beratungen der Pkw-Maut im Haushaltsausschuss des Bundestages erklärten Vertreter der Zoll- und Finanzgewerkschaft (BDZ), man habe keine Idee, wie das Mammutprojekt personell umzusetzen sei.
Eisenkopf ist zwar "nicht glücklich" über die EU-Forderung eine streckenabhängige Maut zu erheben. Trotzdem wundert auch er sich, dass das Ministerium diese Vorgabe in seiner Planung nicht berücksichtigt: "Es ist ein besonderer Fall von Autismus, dass man das im Ministerium immer noch ignoriert."
In der Kritik stehen auch die hohen Ausgaben des Ministeriums für Beraterhonorare in der Planungsphase.
Das Bundesverkehrsministerium rechne "zwischen 2017 und 2019 mit Honoraren für Kanzleien, Wirtschaftsprüfer und Sachverständige in Höhe von etwa 47 Millionen Euro", meldete der Spiegel Ende Oktober.
Gar nicht berechnen lassen sich laut Eisenkopf die internen Kosten im Verkehrsministerium für die jahrelangen Vorarbeiten.
Die Pkw-Maut wird ein Zuschussprojekt bleiben
Zusammenfassend kommt der Experte aus Friedrichshafen zu einer vernichtenden Kritik am derzeitigen Stand bei der Einführung der Pkw-Maut: "An allen Stellschrauben der Pkw-Maut" zeige sich, "dass das Vorhaben ein Zuschussprojekt bleiben wird."
Dass das Verkehrsministerium derzeit kaum über das Thema sprechen will, zeige, "dass Herrn
Weil es in der Politik aber auch um "Gesichtswahrung" gehe, also darum, dass kein Verantwortlicher ein völliges Scheitern zugeben oder verantworten will, hält der Wissenschaftler eine komplette Rücknahme des Projektes nicht für vorstellbar.
- "Interview mit Verkehrsminister Dobrindt: Die Pkw-Maut wird 2016 ‚scharf gestellt‘", FAZ vom 9.4. 2014.
- Gespräch mit Detlef Drewes, EU-Korrespondent in Brüssel.
- Gespräch mit Prof. Dr. Alexander Eisenkopf, Universität Friedrichshafen, Lehrstuhl für Wirtschafts- und Verkehrspolitik.
- Mail des Pressereferats Bundesverkehrsministeriums vom 31.10.2018.
- "Verschleppte Pkw-Maut beschert Beratern millionenschwere Aufträge", Spiegel online vom 20.10. 2018.
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