Angela Merkel erlebt derzeit die schwerste Krise ihrer Kanzlerschaft. Wird ihr die Flüchtlingspolitik das Amt kosten? Oder kriegt sie noch einmal die Kurve? Bei "Anne Will" springt Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen für Merkel in die Bresche. Doch die Debatte bleibt farblos - weil jemand fehlt.
Vor Fußball-Weltmeisterschaften heißt es oft, in Deutschland gäbe es 80 Millionen Bundestrainer. Nun scheint es, als gäbe es 80 Millionen Bundeskanzler. Und jeder hat seine eigenen Vorstellungen, wie die Flüchtlingssituation zu lösen ist.
Das Vertrauen in die Regierung in dieser Frage ist den jüngsten Umfragen zufolge jedenfalls drastisch gesunken.
Trotzdem schließt der "Stern"-Journalist Hans-Ulrich Jörges ein vorzeitiges Ende der Kanzlerschaft von
Er kann sich sogar eine Wende vorstellen: "Jetzt sind wir exakt an dem Punkt, wo sich zeigt, ob ihre Flüchtlingspolitik Erfolg hat."
Welche Fehler hat Angela Merkel gemacht?
Vehemente Kritik an Angela Merkel äußern die Gäste von
Der Schriftsteller Peter Schneider attestiert der Kanzlerin einen Fehler: Der "humanitäre Akt" für die Flüchtlinge in Budapest hätte kein Dauerzustand werden dürfen.
Nun müsste Merkel eigentlich eine Regierungserklärung halten – für die sich Schneider als Redenschreiber anbietet.
Die Kanzlerin habe "viel früher als alle erkannt, was für eine große Aufgabe das ist".
Dafür bittet von der Leyen um Geduld, weil es jetzt "nicht die schnelle, aber falsche Lösung" geben dürfe. Hätte die Bundesregierung die Grenzen geschlossen, wären sie die "Totengräber Europas" gewesen: "Wir sind diejenigen, die von den offenen Grenzen profitieren."
81 Prozent der Deutschen sind mit der Bundesregierung unzufrieden, hakt Will ein – ein sehr hoher Wert. "Sie sind unzufrieden, weil es so langsam geht", glaubt von der Leyen.
Es sei aber eben eine "Weltkrise". Europa muss für die Zukunft "wetterfest" gemacht werden.
"Ich glaube nicht, dass Frau Merkel Europa zusammenhält", widerspricht Oskar Lafontaine (Die Linke). Die Entscheidung über die Flüchtlinge in Budapest hätte mit den EU-Partnern abgestimmt werden müssen.
Auch ihr Vorgehen in der Vergangenheit werde ihr jetzt von den anderen Ländern vorgeworfen. "Sie hat zu oft allein entschieden und das rächt sich jetzt", glaubt der Linken-Politiker.
Merkels Gegner
Lafontaine sieht sich in seiner Kritik an der Sozialpolitik der vergangenen Jahre bestätigt. Viele Menschen hätten das Gefühl, für Rentenerhöhungen oder Verbesserung der Schulen sei früher kein Geld da gewesen, für die Flüchtlinge nun aber schon.
Das Gefühl der Benachteiligung fördere keine Solidarität. Und es ist ein Nährboden für Populismus – und noch Schlimmeres.
Jörges warnt vor einer "Pogromstimmung", die es schon in Sachsen geben soll. Schneider weist darauf hin, dass es auch in traditionell liberalen Ländern wie Dänemark, Schweden oder die Niederlande starke rechtsradikale Bewegungen gibt.
Nach Meinung von Ministerin von der Leyen verbalisiere die AfD zwar Ängste und Sorgen, aber wenn sie Antworten und Lösungen liefern sollen, falle ihnen auch nichts ein, außer auf Menschen zu schießen.
Abermals fordert sie Geduld ein: "Es kann nicht so schnell gehen, wie wir uns das wünschen."
Die Attacken von CSU-Chef
Ob zu einer Diskussion auch gehört, sich auf eigene Faust mit Politikern wie Russlands Präsident Wladimir Putin zu verbünden, sagt sie jedoch nicht. Putin ist immerhin dafür bekannt, querulante Regierungskritiker - wie Seehofer - in seinem eigenen Land sehr schnell zum Verstummen zu bringen.
Jörges äußert sich wenig verständnisvoll. "Die CSU hat die AfD stark gemacht", glaubt er. Die Partei sei nur von der Angst geleitet, die Mehrheit in Bayern zu verlieren.
Dafür suche sich Seehofer nun international Verbündete: "Fremdenfeinde mögen sich über Grenzen hinweg." Auch Putin möge Seehofer, weil dieser die Bundesregierung destabilisiere.
Trotzdem: ein Merkel-kritischer CSU-Politiker hätte dieser recht zahmen Runde bei "Anne Will" gutgetan. So blieb es zu einseitig, auch wenn sich Will bemühte, ihre Gäste und besonders die Verteidigungsministerin in die Enge zu treiben.
Währenddessen in Syrien …
Ach ja, in Syrien ist immer noch Krieg. Gerade erst mussten wieder viele tausend Menschen fliehen, als Bomben auf Aleppo fielen. Eine Geberkonferenz hat nun Geld versprochen.
Lafontaine erinnert daran, dass dieses Geld diesmal auch wirklich gezahlt werden muss. Denn solange die Bedingungen in den Flüchtlingscamps menschenunwürdig sind, werden die Menschen immer versuchen, nach Europa zu kommen – egal, wer in Deutschland Kanzler ist.
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