Donald Trump hinterlässt seinem gewählten Nachfolger als US-Präsident ein zerrissenes Land. Joe Bidens erste Aufgabe besteht in der Einleitung eines Einigungsprozesses. Niemand aber weiß, wann er damit beginnen kann - denn niemand weiß, wann Trump seine Niederlage eingesteht.
Am 20. Januar 2021 wird
Darüber diskutierte
Joe Biden ist neuer US-Präsident. Wahrscheinlich. Sehr, sehr wahrscheinlich. Dass man das nicht mit einhundertprozentiger Sicherheit sagen kann, liegt an
Immerhin aber kann man mutmaßen, was ein Präsident Biden für die USA und die Welt bedeutet. Und genau das taten Anne Will und ihre Gäste unter dem Thema: "Machtwechsel im Weißen Haus – können Biden und
Mit diesen Gästen diskutierte Anne Will
Heiko Maas (SPD), Bundesaußenminister (zugeschaltet)Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein- Westfalen- Lora Anne Viola, US-Professorin am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien an der Freien Universität Berlin
- Klaus Brinkbäumer, Journalist und ehemaliger US-Korrespondent des "Spiegel"
- Hedwig Richter, Professorin für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität der Bundeswehr München
- Peter Rough, US-Politikberater und Republikaner
- Al Sharpton, US-Bürgerrechtler und Pastor (aufgezeichnetes Gespräch)
Darüber wurde gesprochen
Ob sich Trump weiter an sein Amt klammert, lasse sich schwer einschätzen, schließlich sei seine Amtszeit von Unkalkulierbarkeit geprägt gewesen, meint Armin Laschet, zeigt sich aber auch zuversichtlich: "Ich habe großes Zutrauen in die amerikanischen Institutionen. Man hat in den Tagen und Stunden gemerkt, dass trotz aller Polarisierung die demokratischen Institutionen funktionieren."
"Ich glaube, Donald Trump tut sich enorm schwer mit dem Machtverlust, der in einer Demokratie nun einmal Teil des Systems ist", sieht Klaus Brinkbäumer Trumps Problem auf einer persönlichen Ebene.
Heiko Maas hofft indes, dass Trump seine Niederlage bald eingesteht, damit Biden bald mit seinem angekündigten Heilungsprozess beginnen könne: "Das wird natürlich erstmal eine Herkules-Aufgabe werden."
Für Lora Anne Viola ist bei der schnellen Akzeptanz Trumps noch ein anderer Punkt wichtig: "Wird er irgendwann gestehen, dass er verloren hat und wird das seinen Anhängern helfen, die Präsidentschaft von Joe Biden als legitim zu akzeptieren?"
Das wäre dringend nötig, denn selbst wenn Trump irgendwann Geschichte sein sollte, ist es die Spaltung noch lange nicht. Für Viola beginnt diese Spaltung bereits in den 1970ern, seitdem fehle es beiden Parteien an Vertretern der Mitte. Für Biden wären deshalb formelle und informelle Institutionen wichtig, über die sich Demokraten und Republikaner wieder annähern könnten.
In Bezug auf die künftige Außenpolitik der USA werde, da ist sich die Runde einig, der Ton ebenfalls versöhnlicher werden. Trotzdem werde auch Biden Forderungen an Europa stellen, wie auch Peter Rough erklärt: "Die USA werden unter einer Biden/Harris-Administration ganz klar Europa umarmen, insbesondere Deutschland. Aber da werden auch ein paar Forderungen kommen." Gerade, wenn es zu Verhandlungen mit China kommen werde, müsse sich Europa fragen, wie standhaft es dann bleiben werde: "Jetzt kommen wirklich auch die harten Fragen auf Deutschland zu."
Deutschland und Europa würden mehr Verantwortung übernehmen müssen, trotzdem sieht Laschet hier in Biden den angenehmeren Partner: "Wir haben jetzt einen Präsidenten (…), der die Europäische Union versteht. Das ist etwas Neues. Donald Trump hat nie verstanden, was eigentlich das europäische Einigungswerk ist."
Umso mehr freut sich Laschet auf Biden: "Er wird beim Klimaschutzabkommen wieder dabei sein und er wird multilaterale Institutionen wie die Weltgesundheitsorganisation oder andere nicht kritiklos in allem akzeptieren, aber er will dabei sein, er will mitmachen."
Für Viola ist zudem entscheidend, welcher außenpolitischen Linie Biden und Harris folgen werden – der alten zentristischen oder der linksliberal progressiven. Diese neue Generation sei kritischer gegenüber Globalisierung und dem Freihandel und rücke den Umweltschutz in den Mittelpunkt der Außenpolitik.
Für die Afroamerikaner in den USA sei die Abwahl Trumps eine Mischung aus Erleichterung und Freude, erklärt zum Abschluss der Runde Pastor Al Sharpton im Einzelgespräch mit Will. Warum trotzdem diesmal mehr Afroamerikaner als 2016 für Trump gestimmt haben, erklärt sich Sharpton dadurch, dass Trump einigen Afroamerikanern wirtschaftliche Verbesserung versprochen habe. Gleichzeitig will Sharpton die Zahlen einordnen, denn acht von zehn afroamerikanischen Männern hätten gegen Trump gestimmt und sogar neun von zehn Frauen.
Der Schlagabtausch des Abends
Sieben Gäste und eine Moderatorin – da bleiben jedem in der Runde maximal siebeneinhalb Minuten Redezeit. Das ist nicht viel und für den einzigen wirklichen Schlagabtausch zu wenig.
Richter erklärte nämlich: "Die USA müssen ganz grundsätzlich darüber nachdenken, warum so viele Reformen nicht gemacht werden können" und lieferte gleich die Antwort: "Ein Grund ist, dass die Verfassung ganz schwer zu verändern ist. Ein weiterer Grund ist aber auch, dass es ein ganz, ganz starkes Auserwähltheitsgefühl gibt. Der Glaube, man sei "the greatest nation", herrsche selbst bei linken Intellektuellen: "Wie kann man das sagen?"
Das will Rough nicht auf sich sitzen lassen und führt den Weg der USA von einer "kleinen Kolonie der Briten" zum "Spitzenreiter der Welt" als Argument an. "So schlecht ist das System anscheinend nicht", erklärt Rough, vergisst dabei allerdings all die Argumente, die dagegen sprechen. Darauf will Richter ihn aufmerksam machen: "Das ist die Erzählung, aber die Verfassung hat noch nicht einmal den Bürgerkrieg verhindert."
"Das ist eine spannende Diskussion, die ich trotzdem ganz fies an dieser Stelle abbreche", grätscht Will dann aber mit Blick auf die Uhr dazwischen. Es wäre aber in der Tat spannend gewesen, die Erzählung der "greatest nation" noch einmal mit Blick auf Bildung, Ungleichheit, Staatsverschuldung, kaputte Infrastruktur, Chancengleichheit, Rassismus und so weiter abzuklopfen.
So schlug sich Anne Will
Viel Grund gab es für Will an diesem Abend nicht, hartnäckig nachzufragen. Als es doch einen gab, blieb Will aber stumm. Als Rough seine Einschätzung zu Trumps rechtlichen Schritten abgeben soll, wiederholt er die Behauptung Trumps, dass Wahlbeobachter der Wahllokale verwiesen worden seien oder dass "massenweise Briefwahlunterlagen an Leute verschickt wurden, die sie gar nicht beantragt haben."
Hier hätte Will gerne einmal nach Beweisen für diese Behauptungen verlangen dürfen. Immerhin fragt Will nach, was Rough mit "legitimen Stimmen" meint, auch wenn sie auf die mitschwingende Unterstellung, es seien illegitime Stimmen gezählt worden, dann nicht mehr eingeht.
Das Fazit
Man muss fair sein: Wer sich für die US-Wahl und ihre Folgen interessiert, der hatte seit dem Urnengang reichlich Zeit, sich all die vielen Analysen und Einschätzungen anzusehen. Da kann man es Will natürlich kaum ankreiden, wenn der Neuigkeitsgehalt für alle Interessierten eher gering ausfiel – und das, obwohl Will das Glück hatte, die erste deutsche Talkrunde zur US-Wahl nach dem voraussichtlichen Ergebnis leiten zu können.
Dennoch war es eine insgesamt informative Runde, bei der vor allem kleine Details zum Vorschein kamen, die in anderen Analysen zuvor kaum Berücksichtigung fanden, wie zum Beispiel Bidens interne Weichenstellung für seine künftigen Außenpolitik.
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