Libyen-Talk bei Anne Will: Bundesaußenminister Heiko Maas versuchte die Abschlusserklärung der Konferenz in Berlin krampfhaft als Erfolg zu verkaufen. Besonders ein Tagesspiegel-Journalist grätschte dazwischen. Die Einigung sei bisher nur "ein Erfolg auf dem Papier".
Der Sturz des früheren libyschen Alleinherrschers Muammar al-Gaddafi ist nun schon acht Jahre her. In dem nordafrikanischen Land wird ein Stellvertreterkrieg mehrerer Länder ausgetragen, der eine ganze Region destabilisiert.
Unter anderem die Türkei und Katar unterstützen den gewählten Ministerpräsidenten Fayez al-Sarraj, der aber nur noch einen kleinen Teil des Landes kontrolliert. Russland und Saudi-Arabien halten als wichtigste Unterstützer zu General Chalifa Haftar, der mit seinen Truppen den Großteil Libyens besetzt hält.
"Anne Will": Was ist das Thema?
Auf der Berliner Konferenz sollten nun endlich entscheidende Schritte eingeleitet werden, um den Bürgerkrieg auf lange Sicht zu beenden. Neben dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, nahmen Russlands Staatschef
Wer sind die Gäste?
Sevim Dağdelen: In den Augen der Linken-Politikerin ist die Konferenz ein richtiger Schritt. Aber sie betonte auch: "Eine Libyen-Konferenz ohne Libyer zu machen, ist ein Makel." Zudem übte sie scharfe Kritik daran, dass ausländischen Söldner-Truppen zunächst im Land bleiben können. Die Außenpolitik-Expertin machte darauf aufmerksam, dass es bei diesem Stellvertreterkrieg einen "Stellvertreterkrieg der Ölkonzerne" gebe. Man müsse daher darüber nachdenken, ob nicht auch die ausländischen Ölkonzerne "rausgehen sollten", sagte sie. Kritik äußerte Dağdelen schließlich an der Haltung der EU, die Internierungslager für Flüchtlinge in Libyen hinnimmt und die die oft brutal gegen Flüchtlinge vorgehende Küstenwache finanziert. "Wer so etwas duldet, zerstört die europäische Idee."
Hanan Salah: Die Libyen-Berichterstatterin bei Human Rights Watch zeigte sich von den konkreten Ergebnissen der Konferenz enttäuscht. Aus ihrer Sicht fehlen vor allem Mechanismen der internationale Strafgerichtsbarkeit, um die Verantwortlichen für Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. "Ich glaube nicht, dass die Leute in Libyen das noch zehn oder 20 Jahre durchhalten", sagte sie zum Zustand der Rechtlosigkeit. Auch die schablonenhafte Bewertung der Konfliktparteien stieß bei Salah auf Unmut. Es gebe Islamisten auf beiden Seiten – und schwere Menschenrechtsverletungen ebenso.
Wolfram Lacher: Der Politikwissenschaftler von der Stiftung Wissenschaft und Politik grätschte bei der positiven Bewertung der Konferenz durch Heiko Maas ebenfalls dazwischen. Er kritisierte, dass die Passage zum Waffenembargo zu weich formuliert sei und konkrete Maßnahmen zur seiner Durchsetzung fehlen würden. Noch während der Verhandlungen seien weitere Söldner und Waffen nach Libyen geschickt worden, bemängelte Lacher. Kritisch bewertete er auch die Abwesenheit sämtlicher europäischer und westlicher Akteure in dem Land, wodurch die Türkei und Russland überhaupt erst in diese Lücke hineinstoßen konnten.
Christoph von Marschall: Der Letzte, der Maas` positive Deutung zerpflückte, war der diplomatische Korrespondent der "Tagesspiegel"-Chefredaktion. Die Konferenz sei zwar ein Erfolg, aber bisher eben auch nur "ein Erfolg auf dem Papier". Er fragte sich, ob Berlin nun genug Druck macht, damit das, was da aufgeschrieben wurde, auch tatächlich umgesetzt wird. Und dann sind da ja noch die "harten Fragen": Die werden für von Marschall vor allem an dem Punkt eines möglichen europäischen und deutschen Militär-Engagements in Libyen aufgeworfen. Davon wollte Maas wiederum gar nichts wissen.
Was war das Rededuell des Abends?
Als Christoph von Marschall die Finanzierung der libyschen Küstenwache durch die EU verteidigte ("Nur weil etwas schlecht funktioniert, ist das kein Grund das alles sein zu lassen") verlor Linken-Politikerin Dagdelen fast die Fassung.
"Zivile Seenotrettung ist keine Fantasie", rief sie dazwischen. "Jetzt lassen Sie mich bitte auch mal ausreden!", meckerte von Marschall. Dagdelen betonte abschließend, dass es hier nicht nur um eine moralische Frage gehe. "Das ist auch eine rechtliche Frage".
Die libysche Küstenwache drängt Flüchtlingsboote seit Jahren mit großer Brutalität zurück an die eigene Küste, wo die Menschen dann oft zurück in KZ-ähnliche Internierungslager gebracht werden.
Was war der Moment des Abends?
Deutschland will sich auf der Berliner Konferenz als erfolgreicher Mittler zwischen den Konfliktparteien und jenen Staaten zeigen, die in Libyen Interessen haben. Doch die Drecksarbeit – sprich ein mögliches militärisches Engagement – sollen dann am Ende am besten wieder die anderen machen.
Zwei Stunden nach der Konferenz so eine Debatte zu führen, wer der erste sei, der deutsche Truppen in Libyen fordert, "hilft uns nicht weiter", betonte Außenminister Heiko Maas.
Wie hat sich Anne Will geschlagen?
Mit sich lauthals ins Wort fallenden Gästen musste sich
Etwas vorhersehbar war die Frage der Gastgeberin, ob es denn in Zukunft einen deutschen Kontroll-Einsatz zur Überwachung der Waffenruhe in Libyen geben könne. Gerade zwei Stunden nach dem Ende der Konferenz kann man durchaus fragen, ob diese Debatte nicht etwas zu früh kam - siehe Heiko Maas. Der Bundesaußenminister wirkte daher auch leicht genervt, was aber auch an seinem Übermüdungszustand gelegen haben könnte.
Was ist das Ergebnis?
Ein Anfang ist gemacht – die libyschen Konfliktparteien sprechen wieder miteinander. Wenn auch nur indirekt über ihre Unterstützerstaaten. Doch was die Einigung der Berliner Konferenz wirklich wert ist, werden die kommenden Monate zeigen. Hanan Salah von Human Rights Watch warnte davor, das die konkreten Verhandlungen, die zum Ende des Bürgerkriegs führen könnten, "10, 15, 20 Jahre dauern" könnten. Das wäre nicht nur diplomatisch sehr zäh, sondern auch für die Menschen in Libyen eine Katastrophe – sowohl für Einheimische als auch für die in Lagern internierten Migranten. Und auch die Europäische Union würde weiter ihr Gesicht verlieren, wenn sie die libysche Küstenwache, der schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, weiter finanziert und die Zustände in den Lagern duldet. Es steht für alle Beteiligten viel auf dem Spiel.
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