Der Bundesrat stimmt über das Bürgergeld ab und Anne Will stellte es vorab bei sich im Studio zur Debatte. "Sind weniger Druck und höhere Regelsätze gerecht?" - darüber herrschte Uneinigkeit bei ihren Studiogästen. Besonders Carsten Linnemann (CDU) brachte die geplante Reform in Wallung. Er forderte Kevin Kühnert (SPD) auf, einen Punkt endlich zuzugeben.
Höhere Regelsätze, weniger Sanktionen, größeres Schonvermögen: Das neue Bürgergeld sorgt vor seiner Einführung mächtig für Kritik. Die kommt vor allem von der Union, die das Prestige-Projekt der Ampel bei der (14.) Abstimmung im Bundesrat kippen will. Dann wäre ein Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat notwendig. Zuvor war der Nachfolger von Hartz IV Thema bei Anne Will.
Das ist das Thema bei "Anne Will"
Der Bundestag hat das neue Bürgergeld bereits am Donnerstag (10. November) gebilligt, in trockenen Tüchern ist es aber noch nicht. Die Länder müssen im Bundesrat noch zustimmen, die Union kündigte Gegenwind an. Um das Bürgergeld noch zum 1. Januar einführen zu können, wäre nach Einschätzung von Expertinnen und Experten eine Einigung bis spätestens Ende November nötig.
"Ist das neue Bürgergeld gerecht?", diskutierte
Das sind die Gäste
Katja Kipping (Linke): "Als ob schlechte Sozialleistungen den hart arbeitenden Menschen helfen würden!", kommentierte die Linkspolitikerin und erläuterte: "Wir wissen empirisch bestätigt durch verschiedene Studien, dass niedrige und schlechte Sozialleistungen das Lohngefüge eher nach unten ziehen." Menschen würden nämlich in dem Wissen, dass die Alternative Hartz IV mit Sanktionen ist, eher schlechte Arbeitsbedingungen in Kauf nehmen. Das sei schlecht für alle, die arbeiten.
Nele Thönnessen: "Wir hatten jetzt erst einen Vater, der sich frisch erarbeitet hat, dass er eine Ausbildung machen konnte, der jeden Morgen aufsteht und anderthalb Stunden fährt und dem das Geld vorne und hinten aber trotzdem nicht reicht", berichtete Thönnessen, die bei einer Kinderranch des Vereins "Die Arche" arbeitet und viel Kontakt mit Familien im Leistungsbezug hat. Über den Vater erzählte sie weiter: "Der war vor zwei Wochen beim Amt und hat gesagt: 'Ich brauche Unterstützung', und da hat der Kollege dort vor Ort gesagt: 'Naja, wenn wir ganz ehrlich sind, das lohnt sich für Sie eigentlich gar nicht hier, das zu machen. Es wäre doch leichter, wenn sie ab nächstem Jahr voll Transferleistungen beziehen'."
Clemens Fuest: Der Chef vom ifo-Institut meinte: "Die Bürgergeldreform hat ein paar gute und ein paar schlechte Dinge." Das Kernproblem werde nicht wirklich angegangen - durch die Anrechnungsregeln habe man starke Anreize, wenig zu arbeiten. "Die ersten 100 Euro sind anrechnungsfrei, dann gibt es relativ starke Anrechnungen", erklärte er. "Wenn man dann umsteigt von diesem kleinen Job auf einen Vollzeitjob, dann hat man wirklich wenig mehr", so Fuest. Dann arbeite man unter Umständen 30 Stunden mehr, habe aber nur 300 Euro mehr in der Tasche. "Das ist eine Niedrigeinkommens-Falle", sagte Fuest. Er meinte: "Wir verheddern uns, wenn wir über die Höhe der Regelsätze reden, wir müssen mehr über die Anrechnung reden."
Das ist der Moment des Abends bei "Anne Will"
Linnemann hatte Puls an diesem Abend. Entsprechend vehement holte er aus: "Mir geht es darum, dass sie die Menschen vergessen in Deutschland, die das bezahlen. Das Bürgergeld bezahlen ja nicht wir Politiker. Das zahlen Menschen, die jeden Tag aufstehen, arbeiten gehen, 40 Stunden. Die zahlen Steuern, die zahlen Beiträge und die zahlen dieses Bürgergeld. Und diese Gruppe muss das Gefühl haben, die gehen vernünftig mit dem Geld um."
Wenn diese Gruppe das Gefühl nicht habe, dann würde sie sagen: "Da sind wir raus!". Es gebe für manche Gruppen keine Anreize mehr, arbeiten zu gehen. Diejenigen, die nicht arbeiten gehen wollten, schütze man. "In einer Zeit, in der wir nicht nur Fachkräfte brauchen, sondern jede einzelne Arbeitskraft draußen!", ärgerte sich Linnemann.
Das ist das Rede-Duell des Abends
Voraussehbar, dass Regierung und Opposition auch im Studio von Anne Will aneinander rasselten. "Sie wollen doch die Agenda 2010 rückabwickeln, geben sie es doch einfach zu", drängte CDU-Politiker Linnemann den SPD-Politiker Kühnert. Der hatte wohl schon mit einem solchen Vorwurf gerechnet. "Das ist jetzt wirklich ein totes Pferd, steigen Sie ab Herr Linnemann, bitte."
Die Diskussion, bei der man "Sozis im Fernsehen mit der Agenda 2010 piesacken konnte und die sind dann aufgeregt durchs Studio gesprungen" sei vorbei. Linnemann setzte zum Angriff an anderer Stelle an: "Allein der Begriff Bürgergeld erweckt ja den Eindruck, als ob jeder da automatisch drauf Anspruch hat. Das ist ein Sozialsystem, was Menschen finanzieren und die wollen, dass man damit vernünftig umgeht. Und die, die sich nicht an Regeln halten, müssen dann auch das spüren. Das System Fördern und Fordern muss erhalten bleiben."
So hat sich Anne Will geschlagen
Will fand in eine ausgewogene Moderationsrolle hinein. "Wie kommen sie bei einer Erhöhung von 50 Euro auf die Idee, zu sagen, ehrliche Arbeit zählt in Deutschland offenbar nicht mehr viel?", wollte sie von CDU-Mann Linnemann wissen. Genauso fragte sie aber auch in Richtung Kühnert: "Machen Sie es den Menschen zu leicht an das Geld zu kommen?".
Als Thönnessen von dem Praxisbeispiel berichtete, reagierte Anne Will schockiert und ungläubig. "Wirklich!?", fragte sie zurück. Hier fehlte ihr angesichts der Überraschung als Reaktion eine schlagfertige Frage. Ein wenig besser hätte Will außerdem Thönnessen und Fuest in die Debatte einbinden können.
Das ist das Ergebnis bei "Anne Will"
Da herrschte dicke Luft im Studio. Dass es sich für die einen um ein Prestigeprojekt handelt und für die Opposition um eine Zielscheibe, war deutlich spürbar. Entsprechend konnte man schnell heraushören, welche Punkte gerade die Parteienvertreter unbedingt machen wollten und sich scheinbar schon vorher notiert hatten. Kühnerts Ansatz: Aufzeigen, dass Sanktionen nur auf einen kleinen Teil der Leistungsbezieher zutreffen und wenig wirksam sind.
Außerdem deutlich machen, dass das Ziel, Langzeitarbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt zu vermitteln, im Vordergrund steht. Linnemanns Ansatz derweil: Sich als Anwalt der arbeitenden Gesellschaft inszenieren, ganz nach dem Motto: 'Wer mehr arbeitet muss auch mehr haben – und zwar so viel mehr, dass sich Arbeit lohnt.'
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