Pflegende müssen mehr verdienen, Deutschland muss medizinische Produkte verstärkt im Inland herstellen. In diesen Punkten sind sich bei Anne Will alle Gäste einig. Nur beim Thema Mundschutz gerät Finanzminister Scholz in die Enge.
Das Motto würde inzwischen zu jeder Talkshow und zu jeder Nachrichtensendung passen: "Wo steht Deutschland im Kampf gegen Corona?", will
Mittendrin, könnte eine sehr kurze Antwort lauten: Die Marke von 100.000 Infizierten ist inzwischen erreicht, die Zahl der Todesfälle nimmt auch hierzulande zu. Trotzdem blicken die Gäste schon auf die Aufgaben, die erst in der Zukunft anstehen.
Wer sind die Gäste bei "Anne Will"?
Martina Wenker: "Ich muss von jedem Mitarbeiter möglichst tagesaktuell wissen: Ist der infiziert?", sagt die Präsidentin der niedersächsischen Ärztekammer. Testen, testen, testen ist daher die Devise der Lungenfachärztin. "Wir brauchen den Test für alle Beschäftigten in den Gesundheitseinrichtungen."
Christel Bienstein: Die Präsidentin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe warnt davor, Angehörige aus Altenheimen zu holen, um sie vor Corona-Infektionen zu schützen. In den vergangenen Wochen hatte das Virus in mehreren Pflegeeinrichtungen Todesopfer gefordert. "Die Menschen sind dort sicherer, als wenn man sie jetzt herausholen würde", betont Bienstein aber. Gerade für demente Senioren wäre ein Ortswechsel zudem extrem verwirrend.
Jens Südekum: Der Professor für Internationale Volkswirtschaftslehre an der Universität Düsseldorf ist überzeugt: Bei wichtigen medizinischen Produkten brauche man mehr Diversifizierung: Es sei nicht sinnvoll, sich nur auf einen oder wenige Lieferanten zu verlassen. Ebenso wenig reiche es, sich auf dem internationalen Markt nach Schutzmasken oder -kleidung umzuschauen. "Es ist wichtig, auch auf die heimische Produktion zu setzen – und zwar schnell."
Christian Gerlitz: Der Stadtentwicklungsdezernent in Jena erklärt, warum seine Stadt ab Montag als erste deutsche Kommune das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes in der Öffentlichkeit vorschreibt: "Dann ist keiner ein Sonderling, der so eine Maske trägt. Das ist einfach der neue soziale Standard."
Was ist der Moment des Abends?
Mehr Geld für Pflegende, mehr Herstellung von wichtigen Produkten im Inland: In der Runde wird eine Zeit lang vor allem über Pläne für die Zeit nach der Pandemie gesprochen.
Virologe Alexander Kekulé holt die Diskussion aber mit einem passenden Bild zurück in die Gegenwart: "Ich fühle mich so ein bisschen, als wenn wir alle Feuerwehrleute sind, die zum Einsatz fahren und darüber reden, was sie morgen machen wollen."
Kekulé zufolge braucht man jetzt schnelle, improvisierte Lösungen, damit Pflegende und Mediziner sich und andere Menschen nicht infizieren.
Was ist das Rededuell des Abends?
Streit bleibt schon seit Wochen in den Talkshows weitgehend aus. Am Ende zeichnet sich bei Anne Will aber eine Meinungsverschiedenheit ab: als die Runde auf das Thema Masken zu sprechen kommt.
Der Jenaer Christian Gerlitz erklärt, warum seine Stadt mit der Pflicht zum Mund-Nasen-Schutz die Infektion eindämmen will. Auch Experte Kekulé rät dringend dazu, dass Bürgerinnen und Bürger in der Öffentlichkeit zwar keine professionelle FFP2-Maske, aber Mund und Nase bedecken. Einfache Masken sollen vor allem andere Menschen vor Ansteckungen schützen. "Ich kann die Widerstände des Bundesgesundheitsministeriums und des Robert-Koch-Instituts da wirklich gar nicht nachvollziehen", sagt Kekulé.
Olaf Scholz als Vertreter der Bundesregierung gerät ein Stück weit in Bedrängnis. Denn das Kabinett und die Landesregierungen hatte eine entsprechende Pflicht in der vergangenen Woche abgelehnt – obwohl inzwischen fast alle Experten dafür sind, wie Anne Will bemerkt.
Warum die Regierung keine Maskenpflicht will? Bei der Antwort gerät Scholz mit einem typischen Politiker-Satz ins Schlingern: "Da ist die Diskussion bisher, dass das als eine solche Maßnahme für Deutschland insgesamt gegenwärtig nicht richtig ist."
Was ist das Ergebnis?
Kommt auch in Deutschland bald eine Pflicht zum Tragen eines einfachen Mund-Nasen-Schutzes? Dieser Eindruck drängt sich auf – auch wenn der Vizekanzler keine Stellung bezieht.
Letztlich könnte sich die Bevölkerung aber wohl davon überzeugen lassen, wenn man Alexander Kekulé glaubt: Wenn die Menschen in der Öffentlichkeit einen entsprechenden Schutz tragen, könnte die Politik im Gegenzug wieder mehr Begegnungen in der Öffentlichkeit zulassen.
Als Ergebnis bleibt zudem: Wie die ganze Bevölkerung, so leidet inzwischen auch das Konzept der Polit-Talkshows am Ausnahmezustand. Diskussionen finden kaum noch statt, stattdessen haben die Sendungen eher etwas von Lagebesprechungen.
So wichtig diese in der Pandemie auch sind: Neue Ansätze und überraschende Schwerpunkte würden den Talkrunden wieder guttun.
Genau wie Gäste, die zur Abwechslung keine Politiker, Verbandsvertreter oder Wissenschaftler sind. Auch ein bisschen mehr Streit wäre wieder zu wagen. Vertreter der Oppositionsparteien waren bei Anne Will schon seit mehreren Wochen nicht mehr zu Gast.
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