"Wie kann das noch sein: Judenhass in Deutschland?" Die Kernfrage der jüngsten Ausgabe von Frank Plasbergs "Hart, aber fair" ist höchst aktuell – aber auch so gestellt, als sei Antisemitismus in Deutschland ein plötzliches Problem. So spricht Sänger Gil Ofarim davon, wie er bereits während seiner Schulzeit rassistisch beleidigt wurde.

Christian Vock
Eine Kritik

Mehr Kritiken von politischen Talkshows

Mehr aktuelle News

Über Antisemitismus zu diskutieren, ohne dabei über die aktuellen Ereignisse in Israel zu sprechen – kann man das? Wäre das nicht einfacher? Oder fehlt dann wichtiges Hintergrundwissen?

Fragen, auf die man mit allerlei Pro- und Kontra-Argumenten antworten kann und die auch nach der aktuellen Ausgabe von "Hart, aber fair" nicht wirklich geklärt sind.

Fakt ist aber, dass sich die Redaktion dafür entschieden hat, dass es ohne den Nahost-Konflikt nicht geht. Und Fakt ist auch, dass bei der Diskussion über das eigentliche Thema der Sendung eine Menge Zeit fehlte, um das Problem des Antisemitismus in Deutschland tief genug würdigen zu können.

Israel zwischen ESC-Sieg und Blutvergießen

Stattdessen eröffnete Frank Plasberg mit den aktuellsten Schlagzeilen über Israel: dem Sieg beim Eurovision Song Contest, der Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem, der 70-Jahr-Feier Israels und der blutigen Auseinandersetzung zwischen Palästinensern und israelischen Soldaten mit Dutzenden Toten und Verletzten.

Mit diesem Türöffner begann die Diskussion mit der Frage, was die Verlegung der US-Botschaft für den Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern bedeutet. Für den ehemaligen Nahost-Korrespondenten des ZDF, Dietmar Ossenberg, ist diese Verlegung nach Jerusalem gleichbedeutend mit dem Ende des Friedensprozesses: "Es ist vorbei."

Für Ossenberg habe Donald Trump die Realitäten anerkannt, Benjamin Netanjahu wolle keine Zwei-Staaten-Lösung und viele der arabischen Nachbarländer hätten sich inzwischen auf die Seite Israels gestellt: "In der arabischen Welt will eigentlich niemand etwas mit den Palästinensern zu tun haben."

Die komplette Beendigung des Friedensprozesses will die Kommunikationsberaterin und ehemalige Sonderbotschafterin Israels, Melody Sucharewicz, so nicht sehen: "Ich würde die Zwei-Staaten-Lösung nicht ganz so eindeutig begraben. Es ist die einzige Alternative."

Gleichzeitig will die gebürtige Münchenerin, die mit 19 nach Israel auswanderte, mit einigen vermeintlichen Halbwahrheiten aufräumen.

Laut Sucharewicz hat Trump, als er die Verlegung angekündigt hat, gesagt, dass nicht er entscheide, wo und wie Jerusalem aufgeteilt werde. Die Zwei-Staaten-Lösung sei alleine den Israelis und den Palästinensern überlassen.

Zudem hätten die Palästinenser mehrmals die Chance auf einen Frieden ausgeschlagen: "Ich weiß nicht, ob der Diskurs, Israel schaffe Fakten, die einen palästinensischen Staat nicht mehr erlauben, nicht eine totale Verdrehung der Geschichte und der geopolitischen Fakten ist."

Gil Ofarim: "Für mich ist das nichts Neues"

Über die Frage an die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor, ob denn arabische Jugendliche Frieden oder die Vernichtung Israels wollen, schaffte Frank Plasberg dann nach gut einer Dreiviertelstunde doch noch den Dreh zur eigentlichen Frage nach dem Judenhass in Deutschland.

Kaddor zufolge muss man normale muslimische Jugendliche erst einmal strikt von den radikalisierten unterscheiden. Trotzdem müsse man wissen, dass zum Beispiel syrische Jugendliche Muster ihrer Eltern übernommen hätten, was auch Ossenberg bestätigt. Antisemitismus sei dort Staatsdoktrin gewesen, auch weil es einen großen Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem Westen gebe und man Israel für das eigene Scheitern verantwortlich mache.

Dass Antisemitismus kein Phänomen ist, das erst mit der sogenannten Flüchtlingswelle nach Deutschland gekommen ist, wie manchenorts behauptet wird, wird umso klarer, wenn man den Schilderungen des Sängers Gil Ofarim zuhörte. Nach der antisemitischen Gürtelattacke gefragt, die sich vor wenigen Wochen in Berlin zutrug, antwortete Ofarim: "Für mich ist das nichts Neues. Für mich ist das Alltag. Ich kenne das auch aus einer Stadt wie München."

Von Sprüchen in seiner Münchener Schule wie "Weißt du, dass Dachau nicht weit weg von hier ist?" bis hin zu Hundekot im Briefkasten habe der Sänger bereits einiges an Antisemitismus aushalten müssen.

Dass Antisemitismus nichts Neues ist, bestätigt auch Kaddor. Ebenso, dass es trotz aller Anstrengungen immer einen "Bodensatz" geben werde.

Trotzdem hat die Wissenschaftlerin einen Lösungsansatz: "Wir müssen versuchen, den Antisemitismus, der sich in die Mitte der Gesellschaft durchgerungen hat, an die Ränder zurückzudrängen. Durch Aufklärung, durch Programme, durch so eine Sendung, durch was auch immer."

"Judentum ist mehr als der Holocaust"

Eines dieser "Was auch immer" war vor einigen Tagen die Aktion "Berlin trägt Kippa". Sänger Ofarim findet solche Aktionen "großartig" und "besser als nichts".

Publizist Uwe-Karsten Heye geht noch einen Schritt weiter: "Wir haben eine historische Erfahrung hinter uns, wo dieses deutsche Volk die Schnauze gehalten hat. Es geht hier um mehr als nur um Kippa. Wenn wir nicht Haltung zeigen, wird der Eindruck erweckt, dass der Rechtsextremismus in Deutschland wieder eine Mehrheit hat. Ich bin überzeugt davon, er ist eine Minderheit. Wir haben etwas zu tun in diesem Land, nämlich eine Debatte zu führen."

Ähnlich sieht es Melody Sucharewicz und ergänzt: "Deutschland hat bei der Aufarbeitung seiner Geschichte viel geschafft. Aber es muss noch eine Menge geschehen. Ein Problem ist unter anderem die Reduktion des Judentums im öffentlichen Bewusstsein auf den Holocaust."

Weiter sagt sie: "Deutsche Juden haben einen so immensen Beitrag an der Vormachtstellung Deutschlands in der Industrialisierung." Viele junge Menschen würden das nicht wissen.

"Judentum ist mehr als Holocaust genauso wie Israel mehr ist als Nahost-Konflikt", so die Kommunikationsberaterin.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.