Die Flugblatt-Affäre um Hubert Aiwanger schlägt im bayerischen Wahlkampf noch immer hohe Wellen. War Söders Entscheidung richtig und was sagt die Debatte über das gesellschaftliche Miteinander aus? Während Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff Aiwanger bei "Anne Will" eine Doppelstrategie unterstellte, warnte SZ-Journalist Roman Deininger davor, bestimmte Aussagen zu normalisieren.
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat entschieden, an seinem Vize Hubert Aiwanger (Freie Wähler) trotz Flugblatt-Affäre festzuhalten. Aus der Welt ist die Debatte trotz seiner Entscheidung nicht. Während
Das ist das Thema bei "Anne Will"
War die Entscheidung von
Das sind die Gäste
- Günther Beckstein (CSU): Der ehemalige Ministerpräsident und Ex-Innenminister von Bayern sagte: "Mir bleibt der Atem weg, wenn man dieses Flugblatt liest." Der Umgang von Aiwanger mit den Vorwürfen sei alles andere als vernünftig und professionell. Es sei ein "Herumgeiere". Söder habe derweil richtig gehandelt. "Es war richtig, zunächst schriftliche Antworten zu verlangen", sagte Beckstein. Über Aiwanger sagte er: "Er hat massiv an Ansehen verloren." Das werde sich am Wahltag dokumentieren.
- Florian Streibl (Freie Wähler): "Abgehakt ist dieses Thema nicht. Es sind hier Verletzungen entstanden, es sind Irritationen entstanden, gerade auch bei den jüdischen Gemeinden", so der Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler im Bayerischen Landtag. Diese Irritationen müssten ausgeräumt werden. Aiwanger sei dazu im Gespräch mit Betroffenen. "Das Bierzelt ist kein Beichtstuhl", sagte Streibl.
- Nicole Deitelhoff: Die Politikwissenschaftlerin vom "Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt" analysierte, Aiwanger habe die ganze Zeit mit einer Doppelstrategie argumentiert: "Er hat die ganze Zeit versucht, seine Rolle runterzuspielen." Aiwanger habe betont, er sei nicht der Verfasser und könne sich nicht erinnern. "Damit verbunden die ganze Zeit die Anklage einer Strategie gegen ihn", so Deitelhoff. Diese Strategie sei extrem problematisch. "Da lässt er so etwas wie politische Tugenden vermissen", sagte sie.
- Marina Weisband: "Wofür hat er sich entschuldigt?", fragte die ukrainisch-deutsche Publizistin. Es sei ein wichtiger Bestandteil, genau das bei einer Bitte um Entschuldigung zu sagen. "Er sagt es nicht", betonte Weisband. Es wäre ein "großartiger Moment für die Demokratie" gewesen, wenn Aiwanger die Chance genutzt hätte, allen, die den "Mist noch glauben", zu erklären, warum es Mist ist.
- Roman Deininger: Der Chefreporter der "Süddeutschen Zeitung" stellte klar: "Der Politiker Hubert Aiwanger ist nie mit Antisemitismus aufgefallen." Er habe Aiwanger in der Vergangenheit oft milde beurteilt, aber: "Jetzt ist so ein Punkt erreicht, wo ich sagen würde: Wenn man jetzt sagt, der Hubert Aiwanger meint das nicht so, da müssen wir jetzt nicht genau sein, dann normalisieren wir Dinge, die wir nicht normalisieren sollten in diesem Land."
Das ist der Moment des Abends bei "Anne Will"
"Stellen Sie sich vor, Hubert Aiwanger – diese Geschichte kommt raus, im Wahlkampf", regte Weisband an und fuhr fort: "Und er setzt sich hin und sagt: 'Das stimmt ich hatte dieses Pamphlet in der Schultasche, so und so kam das dahin. Ich habe das damals für unproblematisch gehalten, weil die Kultur damals so war. Ich habe damals folgende Punkte nicht realisiert.'. Und dann nimmt er uns mit auf die Reise, die in ihm in den letzten 35 Jahren passiert ist", malte sie aus.
Er hätte sagen können, dass er sich von der faschistischen Hetzschrift distanziert und verstanden habe, warum die einzelnen Punkte so grausam waren. "Und dass er dafür die Öffentlichkeit um Entschuldigung bittet. Das wäre vorbildliches Verhalten. In diesem Fall ist mir auch egal, was der Mann vor 35 Jahren gemacht hat", so Weisband und bekräftigte: "Mir geht es allein darum, wer der Mann ist, der sich jetzt gerade zur Wahl stellt." Aiwanger habe sich selbst als Opfer dargestellt. "Allein aus Respekt vor den tatsächlichen Opfern", sagte sie.
Das ist das Rede-Duell des Abends
Politikwissenschaftlerin Deitelhoff analysierte das Kommunikationsverhalten von Aiwanger: "Er macht aus diesem Flugblatt, aus der Tatsache, dass es damals gefunden wurde bei ihm, eine Kampagne gegen ihn. Es geht nur um den politischen Feind, der ihm ans Leder will."
Florian Streibl setzte sich für seinen Parteikollegen zur Wehr: "Man muss es vielleicht aber auch ein bisschen anders sehen", sagte er. Aiwanger sei nicht nur Politiker, sondern auch Mensch. "Als Politiker ist man gewöhnt, politisch angegriffen zu werden. Damit kann man umgehen. Wenn man aber plötzlich als Mensch angegriffen wird, über Dinge, die 35 Jahre zurückliegen – es gibt kaum einen Politiker, der dann korrekt und richtig reagiert", sagte Streibl. Da komme ein gewisser "Überlebensinstinkt".
So hat sich Anne Will geschlagen
Einen besonders schlagfertigen Moment hatte
Will wandte erschrocken aber mit Vehemenz ein: "Wirklich Herr Streibl? Sie behaupten, die Freien Wähler sind das Bollwerk gegen Antisemitismus. Dann sind die das doch auch im Bierzelt! Oder nicht?" Der reagierte erst herumdrucksend, dann angegriffen. Es sei eine boshafte Unterstellung, er rede antisemitisch im Bierzelt. "Die Aufarbeitung muss woanders auch geschehen, nicht nur im Bierzelt", versuchte er nachzulegen.
Das ist das Ergebnis bei "Anne Will"
Das war eine volle Sendung mit vielen großen Fragen. Zwei Beispiele: "Warum wird die Last, mit der Flugblatt-Affäre umzugehen, den Jüdinnen und Juden auferlegt?" Und: "Werden rote Linien beim Umgang mit dem Holocaust verschoben?".
Etwa nach der Hälfte der Sendung sagte SZ-Journalist Deininger: "Wenn wir uns darauf einigen, dann ist schon was gewonnen." Was er damit meinte: Die Tatsache, dass an der Verschwörungstheorie, die Medien und die Grünen hätten eine Kampagne gegen Aiwanger geplant, nichts dran ist. Eine von Deitelhoffs Botschaften: Politikerinnen und Politiker müssen mehr Verantwortung für demokratisches Miteinander übernehmen.
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