"Verliert das Corona-Virus seinen Schrecken?" will Moderator Frank Plasberg am Montagabend von seinen Gästen bei "Hart aber fair" wissen. Denn trotz vierstelliger Inzidenzen sind die Intensivstationen nicht überlastet. Während die Politiker im Studio deshalb über den richtigen Zeitpunkt für Lockerungen streiten, hält vor allem der Blick nach Dänemark Spannung bereit. Denn Deutschland kann mehr lernen, als jetzt einfach auch zu öffnen.
Während in Deutschland noch immer neue Rekordstände an Neuinfektionen vermeldet werden, herrscht in Dänemark wieder Normalität. "Wir sagen 'Auf Wiedersehen' zu den Einschränkungen und 'Willkommen' zu dem Leben, wie wir es vor Corona kannten", verkündete dort Ministerpräsidentin Mette Frederiksen in der vergangenen Woche. Tanzen im Club und Einkaufen ohne Maske ist in Dänemark wieder möglich – und das bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von fast 5.000. In Deutschland tritt die Bundesregierung derweil bei Lockerungen noch größtenteils auf die Bremse.
Das ist das Thema bei "Hart aber fair"
Mit den Worten "Gedanklich sind wir doch schon durch mit Corona" eröffnete
Während Gesundheitsminister
Das sind die Gäste
Markus Blume: "Wir müssen jetzt die Dauerschleife 'Corona' verlassen und konkret den Einstieg in den Ausstieg finden", forderte CSU-Generalsekretär Blume. Er sei "vorsichtig optimistisch". "Wir dürfen uns nicht selbst gefangen halten", mahnte er. Die Omikron-Welle sei eine andere als die Delta-Welle, es sei deshalb ein Fehler "weiter so zu machen". Bei der Bundesregierung sei aber keine klare Linie zu erkennen, alle Koalitionspartner verkündeten etwas anderes.
Kristina Schröder: Für die Ex-Bundesfamilienministerin (CDU) steht noch etwas vor den Lockerungen: "In den zwei Jahren der Pandemie war unklar, was das Ziel unserer Maßnahmen ist", kritisierte sie. Man müsse sich auf ein Ziel einigen – keine Überlastung von Intensivstationen, niedrige Inzidenzen oder die Vermeidung jeder möglichen Infektion. Im Vergleich zu Dänemark sah Schröder hierzulande eine "Angstkommunikation". "Angst wurde von der Politik instrumentalisiert", sagte sie. Im Ausland habe man multidimensionaler gedacht – neben dem virologischen Nutzen auch psychische, ökonomische, pädagogische und kulturelle Schäden mitgedacht.
Christina Berndt: Die Wissenschaftsjournalistin der "Süddeutschen Zeitung" meinte: "Was wir wieder lernen müssen: Positiv denken und den Mitmenschen nicht nur als potentiellen Anstecker sehen". Die "Pandemie in den Köpfen" werde sich aber relativ schnell wieder geben. "Wir sind so flexibel, wir sollten an uns glauben", sagte Berndt. Bei Lockerungen mahnte sie zur Vorsicht. Mit Blick auf Dänemark sagte die Journalistin: "Das kann man machen, wenn die Leute gut geschützt sind".
Dr. Cihan Çelik: "In den Krankenhäusern ist die Pandemie nicht vorbei, die Stationen laufen wieder voll", so der Mediziner von der Corona-Isolierstation im Klinikum Darmstadt. Omikron verdränge geplante Operationen. Dennoch sagte er: "Grafiken müssen jetzt anders interpretiert werden, wir müssen uns vor allem die schweren Fälle angucken". Aktuell steige die Inzidenz in der "absoluten Risikogruppe"– bei den drei Millionen Ungeimpften über 60. Den Zeitpunkt für Lockerungen sah Çelik noch nicht gekommen: "Da, wo Dänemark seine Lücken geschlossen hat, stehen sie bei uns noch offen", erinnert er.
Marc-Christoph Wagner: Der nach Dänemark ausgewanderte Deutsche berichtete: "Bei uns sind jetzt alle Coronabeschränkungen aufgehoben, es ist eine Befreiung." Man könne Deutschland aber nicht mit Dänemark vergleichen. "Wir sind in einer anderen Phase, Omikron war bei uns schneller da", erinnerte er. In Dänemark hätten die Menschen ihre Angst überwunden, besuchten wieder kulturelle Veranstaltungen. Es gäbe außerdem ein großes Zutrauen in die Politik.
Das ist der Moment des Abends bei "Hart aber fair"
Der Moment des Abends kommt ebenfalls beim Blick nach Dänemark. Der ausgewanderte Deutsche, Marc-Christoph Wagner, hatte kurz zuvor noch über den Umgang der dänischen Gesellschaft mit der Pandemie berichtet. "Die solidarische Seite des Dänen kam beim Impfen durch", so Wagner.
Als er dann aber die deutsche Debatte im Studio von Plasberg verfolgt, merkt er an: "Wenn ich hier zuhöre – diese Vielstimmigkeit. Was soll der Bürger denn mitnehmen aus dieser Runde?" Lockern wie in Dänemark? "Deutschland ist auf einem anderen Stand", betonte er. Auch in Dänemark werde zudem nicht signalisiert, die Pandemie sei "ein für alle Mal vorbei".
Das ist das Rede-Duell des Abends
CSU-Generalsekretär Blume gab den Anstoß: "Die Inzidenz hat keine Aussagekraft mehr", meinte er mitten in der Debatte. Wissenschaftsjournalistin Berndt schritt direkt ein: "Das stimmt natürlich nicht, einen Zusammenhang gibt es ja immer noch, auch wenn er geringer ist!", betonte sie.
Blume überhörte das bewusst: "Die Hospitalisierung muss man im Blick halten!", sagte er. Die Beschränkungen im Alltag seien "entkoppelt mit der Infektionsentwicklung". Deshalb brauche es andere Parameter. Berndt legt noch einmal nach: "Das Wort 'entkoppelt' ist wirklich Unsinn!", warf sie ihm vor. Natürlich bestehe weiterhin ein klarer Zusammenhang zwischen der Inzidenz und der Hospitalisierungsrate. Da schaltet sich auch Çelik ein: Im Krankenhaus sei die Inzidenz "nach wie vor ein Marker dafür, wo die Reise hingeht", kommentierte er.
So hat sich Frank Plasberg geschlagen
Was Plasberg gelingt: Die beiden Politiker Göring-Eckardt (Grüne) und Blume (CSU) immer wieder ins Kreuzfeuer miteinander zu führen – zum Beispiel, als sie direkt zu Beginn der Sendung über "Team Vorsicht" und den Kurs der Regierung streiten. Allerdings unterbricht Plasberg seine Gäste mehrmals – und das an spannenden Stellen.
Während die Wissenschaftsjournalistin Berndt im Vergleich zum Rest im Studio nur selten zu Wort kommt, franst die Debatte am Ende etwas aus. Plötzlich geht es wieder um die Impfpflicht. Welche Frage außerdem bei der ganzen Diskussion über Lockerungen fehlt: Nicht nur "Wann ist Zeit für Lockerungen?", sondern "Wie lockern wir?"
Das ist das Ergebnis bei "Hart aber fair"
Dänemark kann Vorbild sein – darin ist sich fast die ganze Runde einig. Nur heißt das nicht, jetzt in Deutschland alle Öffnungsschritte zu kopieren, sondern vielmehr: Von der Kommunikation der Dänen lernen, weniger mit Negativ-Szenarien zu arbeiten und die Solidarität in der Gesellschaft zu stärken. Um auf denselben Stand wie das skandinavische Land zu kommen, muss Deutschland außerdem Impflücken schließen, eine höhere Immunisierung in der Bevölkerung erreichen und Wissenschaft und Politik mehr Zutrauen schenken.
Verwendete Quellen:
ARD: Sendung "Hart aber fair" vom 07.02.2022
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