Nach der tödlichen Messerattacke in Solingen werden Forderungen nach einer Verschärfung der Asyl- und Migrationspolitik in Deutschland lauter. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert machte in dem Zusammenhang bei "Markus Lanz" (ZDF) deutlich, dass die Politik bereits seit Jahren an einer Verbesserung des Systems arbeite. Eine Aussage, mit der er vor allem bei dem ZDF-Moderator auf taube Ohren stieß.
Das ist das Thema bei "Markus Lanz"
Am vergangenen Freitagabend waren drei Menschen bei einer Messerattacke in Solingen getötet worden. Bei dem Tatverdächtigen soll es sich um einen Syrer handeln, der eigentlich im vergangenen Jahr hätte abgeschoben werden sollen.
Das sind die Gäste
Kevin Kühnert , SPD-Generalsekretär: "Die Ampelkoalition hat gemeinsam Verschärfungen bei den Rückführungen beschlossen"- Kristina Dunz, Journalistin: "Ich sehe bei Scholz keine Führung"
- Eren Güvercin, Islam-Experte: "Islamismus ist längst eine deutsche Realität"
Richard David Precht , Philosoph: "Es ist die Stunde des Populismus, die wir gerade erleben"
Das ist der Moment des Abends bei "Markus Lanz"
Nach dem Attentat in Solingen wollte Markus Lanz wissen: "Kommt jetzt die große Asylwende?" Islam-Experte Eren Güvercin reagierte jedoch skeptisch und stellte klar, dass es mehr brauche, als ein Umdenken in der Asylpolitik: "Nach Mannheim und jetzt nach Solingen vermisse ich vonseiten der Bundesregierung (...) eine viel tiefer gehende Auseinandersetzung mit dem ideologischen Hintergrund dieser Täter." Güvercin kritisierte: "Ich habe immer so das Gefühl, dass die Politik (...) Handlungsfähigkeit simulieren will." Aufgrund der kommenden Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen sei der Druck auf die Politik "höher" und deswegen wolle man laut dem Islam-Experten "unbedingt die harte Hand des Rechtsstaates durchsetzen und man überbietet sich in den rhetorischen Forderungen".
Das Thema Islamismus werde dabei jedoch ignoriert. Güvercin sagte daher wütend: "Ich erwarte von meiner Bundesregierung, dass wir nicht nur diese Abschiebedebatten führen, (...) sondern wir müssen über das eigentliche Thema sprechen. Und das ist, dass die islamistische Szene heute vitaler ist als noch vor einigen Jahren."
Güvercin warnte weiter: "Der 7. Oktober war nicht nur eine Zäsur für Israel, sondern auch für unsere deutsche Gesellschaft." Wie der Experte deutlich machte, habe der Terrorangriff der Hamas "zu einer richtigen Enthemmung in der islamistischen Szene geführt" und sei "ein Radikalisierungs-Beschleuniger" gewesen. Eine Gefahr, auf die die deutsche Politik nicht vorbereitet sei, wie der Experte anmerkte: "Es fehlt an einer langfristigen Strategie."
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert nickte nachdenklich und merkte an: "Ich sitze hier als schwuler Mann (...). Alles, was mir lieb und teuer ist, ist das Gegenteil von dem, was Islamisten wollen. Ich verachte Islamisten. Und ich will alles dafür tun, was möglich ist rechtsstaatlich, um ihr Terrain einzuschränken." Eren Güvercin forderte dennoch mit strengem Blick in Richtung Kühnert: "Wenn wir über die Brandmauer gegen Rechts sprechen, dann muss das nicht nur gegen die AfD gelten, sondern auch gegen die türkischen Rechtsextremisten."
Er warnte weiter vor einer völlig neuen Islamisten-Szene, die mittlerweile primär in den sozialen Medien zu finden sei. "Das, was der 7. Oktober bei uns hier in Deutschland ausgelöst hat, wird uns noch sehr lange beschäftigen. Und das ist, glaube ich, bei unserer Politik noch nicht wirklich angekommen", so Güvercin deutlich. Eine Steilvorlage für Lanz, der Kevin Kühnert fragte, was er von Saskia Eskens Aussage halte, dass aus dem Attentat von Solingen nichts zu lernen sei. Kühnert konterte nüchtern: "Ich glaube, aus Solingen lässt sich in dieser Hinsicht einiges lernen." Gleichzeitig verteidigte er die SPD-Chefin jedoch mit den Worten: "Ich glaube, sie meinte es anders, als sie es gesagt hat. (...) Saskia Esken ist weit davon entfernt, Islamismus irgendwie zu belächeln oder für nicht so wichtig zu halten."
Das ist das Rede-Duell des Abends
Mit Blick auf den jüngsten Versuch der Ampelregierung und der Opposition, nach Solingen eine Wende im Asylsystem herbeizuführen, sagte Kristina Dunz skeptisch: "Dass jetzt vor den Landtagswahlen, die an diesem Sonntag in Sachsen und Thüringen sind, ein Signal gesetzt werden musste, ist klar. Ob das dann noch nach der Landtagswahl in Brandenburg gegen Ende September so sein wird, bezweifle ich."
SPD-Mann Kühnert hielt dagegen und kritisierte die negative Auslegung der Journalistin: "Wenn wir jede Verbesserung, jede rechtliche Lücke, die wir zumachen, einfach negieren oder über sie hinweggehen mit dem Hinweis, damit sei das Gesamtproblem ja noch nicht gelöst, dann wird Politik scheitern am Ende. Dann werden sich die Populisten freuen." Lanz reagierte irritiert: "Es ist doch nicht populistisch, festzustellen, dass dieses System kaputt ist!" Kühnert lenkte ein: "Dieses System hat grobe Probleme und Fehler." Nichtsdestotrotz seien laut dem SPD-Mann in den letzten Monaten und Jahren bereits "reale Lücken (...) geschlossen worden".
Keine politische Maßnahme löse alle Probleme, aber Kühnert "bestreite deutlich und mit Nachdruck, dass nichts passiert sei und alle die Hände im Schoß gehabt hätten". Kristina Dunz wiegelte jedoch ab: "Man sagt nicht, dass nichts passiert ist, sondern die Erwartungshaltung war natürlich sehr hoch, nachdem der Bundeskanzler gesagt hat: 'Wir werden im großen Stil abschieben'." Markus Lanz setzte nach: "Würden Sie sagen, das ist Abschiebung im großen Stil, was gerade passiert?"
Kevin Kühnerts Reaktion fiel holprig aus, er sagte, "dass es jetzt meine Wortwahl nicht gewesen wäre, weil ich glaube, dass man die Erwartung, die sich damit verbindet, gar nicht erfüllen kann". Der ZDF-Moderator ließ jedoch nicht locker und wollte wissen, warum die Politik sich jetzt um eine Wende in der Asylpolitik bemühe. "Warum brauchen wir einen islamistischen Anschlag in Solingen? Warum ist das jetzt plötzlich der Anlass, um über Migrationspolitik grundsätzlich mal nachzudenken?", so Lanz. Kühnert konterte trocken: "Dieses System wird fortwährend weiterentwickelt."
Als Lanz weiter stichelte, wurde der SPD-Politiker wütend: "Ich habe keine Zeitkapsel! Aber wir haben ja auch in den letzten Monaten - auch im letzten Jahr schon - Verschärfungen vorgenommen." Damit gab sich Lanz nicht ganz zufrieden. Er hakte weiter nach: "Die Tatsache, dass da jetzt heikle Wahlen vor der Tür stehen, hat das etwas damit zu tun?" Kühnert schüttelte mit dem Kopf: "Nein, das hat damit nichts zu tun." Als Lanz mit einem fassungslosen "Ernsthaft jetzt?" reagierte, sagte Kühnert: "Nein, davon bin ich wirklich überzeugt. Ich habe doch keine Wahl in Sachsen und in Thüringen gebraucht, um mitzubekommen in dieser Gesellschaft, dass es viele Leute gibt, die mit dem Umgang mit Fluchtmigration in unserem Land nicht zufrieden sind, so wie es läuft."
So hat sich Markus Lanz geschlagen
Innerhalb der Sendung forderte Markus Lanz vor allem SPD-Politiker Kevin Kühnert immer wieder verbal heraus und wollte auch wissen: "Wie groß ist Ihre Sorge, dass Sie in Thüringen und Sachsen aus dem Landtag fliegen?" Kühnert wiegelte zunächst ab: "Ich bin ein optimistischer Mensch und ich gehe davon aus, dass wir reinkommen werden." Dennoch musste er kleinlaut zugeben: "Wenn man in Umfragen bei sechs bis sieben Prozent steht, dann steht realistisch im Raum, dass es am Ende nicht reicht."
Das ist das Fazit bei "Markus Lanz"
Während Markus Lanz in Bezug auf den Vorfall in Solingen von einer "Hilflosigkeit des deutschen Rechtsstaates" sprach, sagte Philosoph Richard David Precht: "Das Ganze, was wir hier beschreiben, ist die enorme Überforderung dieser Behörden." Kevin Kühnert sah dies jedoch offenbar anders und stellte klar: "Nein, das ist mir zu pauschal. (...) Es finden Rückführungen in dieser Gesellschaft statt. Die Zahlen steigen."
Markus Lanz relativierte den Optimismus des Politikers jedoch und merkte an, dass es "diesen Aktionismus", "diesen Populismus" und "diese Debatten" vermutlich nicht in der Politik gebe, "wenn wir nicht zwei entscheidende Wahlen vor der Brust hätten". Ein Argument, dem Kevin Kühnert vehement widersprach. Der SPD-Generalsekretär sagte stattdessen selbstbewusst: "Wir haben keine Apokalypse in dieser Gesellschaft, aber reale Probleme, die gelöst werden müssen." © 1&1 Mail & Media/teleschau
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