Bei Maybrit Illner ging es am Donnerstag (29. Juni) noch einmal um den Aufstand der Wagner-Söldner in Russland. Dabei stand die Frage: "Wie stabil ist das System Putin?" im Mittelpunkt der Sendung. US-General Ben Hodges erkannte einen lachenden Dritten im Machtkampf zwischen Putin und Prigoschin.
Der Söldner-Marsch auf Moskau ist längst vorüber, doch das Beben wirkt immer noch nach. Putin versucht, Sicherheit und Stabilität auszustrahlen, doch er ist angekratzt. Dass Prigoschin es mit seinen Panzern bis 200 Kilometer vor Moskau schaffte, stellt zentrale Versprechen von ihm infrage. Nur eins der Themen bei "
Das ist das Thema bei "Maybrit Illner"
Selbst Kreml-Chef Putin hat es zugegeben: Sein Land stand am Rande eines Bürgerkriegs. Manchen hat der Marsch auf Moskau Hoffnungen auf ein Ende Putins gemacht, andere waren in Sorge um die Stabilität der Atommacht. Illner diskutierte deshalb mit ihren Gästen: "Kann das System Putin schneller einstürzen, als viele dachten und bringt das die Ukraine einem Sieg näher?" Im selben Zug ging es auch um die Frage: "Wird Putin jetzt ein noch gefährlicherer, unberechenbarerer Gegner, noch rücksichtsloser nach innen und außen?".
Das sind die Gäste
Michael Roth (SPD): "Was ich mich seit Wochen frage", leitete der SPD-Politiker ein, "wie kann man in einer Diktatur trotzdem Freiheitsrechte genießen? Denn Prigoschin war einer, der offen die Machtelite kritisieren konnte – auf übelste Art und Weise." Er habe sich immer gefragt, wie lange Putin ihm das noch durchgehen lasse. "Darauf habe ich keine Antwort gefunden", gab Roth zu.
Franziska Davies: "Das halte ich für ausgeschlossen", sagte die Osteuropa-Historikerin auf die Frage hin, ob es sich bei dem Aufstand um eine Inszenierung gehandelt haben könnte. Dafür gebe es keine Hinweise, so Davies weiter. Es habe sich erneut gezeigt, dass Putins System nicht auf Institutionen, sondern auf personellen Loyalitätsstrukturen beruhe. "Man sieht hier Risse, man sieht einen Autoritätsverlust", meinte Davies.
Johannes Varwick: Der Politikwissenschaftler sagte über den Aufstand: "Ich fand die Reaktionen in der deutschen Öffentlichkeit ziemlich befremdlich." Er habe mit Sorge auf Russland geblickt und Instabilität gefürchtet. Dass aus einer solchen Gemengelage "eine bessere Gestalt als Putin" hervorgeht, sei unwahrscheinlich. Man sollte Pirgoschin nicht überbewerten. "Ich glaube nicht, dass er den Machtapparat Putin damit in Gefahr hätte bringen können", sagte er über den Konvoi, mit dem Prigoschin losgezogen war.
Ben Hodges: Der ehemalige US-General sagte: "Ich glaube, dass Lukaschenko tatsächlich der Gewinner dieser gesamten Situation ist." Er habe Prigoschin und einen Teil der Wagner-Leute unter seiner Kontrolle oder zumindest in seinem Land. "Das verleiht ihm eine Position, auch russischen Versuchungen zu widerstehen, eventuell Teile von Belarus zu übernehmen", schätzte Hodges. Belarus könnte eine Basis für Prigoschin und seine Operationen in anderen Ländern werden.
Katrin Eigendorf: Die "ZDF"-Korrespondentin sagte: "Es deutet einiges darauf hin, dass Putin eine Säuberungswelle vornehmen könnte." Die Situation könne aus Putins Sicht nicht ohne Konsequenzen bleiben. Man müsse davon ausgehen, dass Prigoschin Unterstützer in der Elite habe. "Wir haben Putin am Tiefpunkt seiner Amtszeit erlebt", so Eigendorf.
Frank Sauer: "Prigoschin muss 200 Kilometer vor Moskau gemerkt haben: Niemand steht auf meiner Seite", vermutete der Sicherheitsexperte. Dann habe es eventuell ein Telefonat gegeben, in dem ihm ein Deal vorgeschlagen wurde. "Das sah ziemlich chaotisch aus, und ich glaube, das war es auch", so Sauer. Prigoschin habe den Aufstand von langer Hand geplant, das müsse durchgesickert sein, schätzte Sauer.
Das ist der Moment des Abends bei "Maybrit Illner"
Hodges kam auf das Ende der Sowjetunion zu sprechen und die Bedingungen, die es damals gab. "Über mehrere Jahre herrschte dort ein gewisses Chaos in den Straßen und die Oligarchen haben die Kontrolle und die Finanzmärkte übernommen", erinnerte er. Es habe aber nie die ernsthafte Frage gegeben, was mit den Nuklearwaffen passieren würde. "Die sind immer in den Händen der verantwortlichen Behörden gewesen, auch während der Zeit dieses Fast-Zusammenbruchs", sagte Hodges.
Dann wechselte er zur aktuellen Situation: "Die Vorstellung, dass das Putin-Regime jetzt zusammenbrechen könnte und es dann eben Nuklearwaffen überall in Russland verteilt gibt, das ist etwas, was wahrscheinlich ähnlich dem sein würde, wie gegen Ende der Sowjetunion. Dass nämliche diese Nuklearwaffen unter der Kontrolle verantwortlicher Behörden bleiben würden. Das ist etwas, worauf wir uns gedanklich vorbereiten müssen", meinte er.
Das ist das Rede-Duell des Abends
"Am Ende ist es so, dass Putin, dieser kalte Machtpolitiker, dieses Ding sicher nach Hause geschaukelt hat", sagte Politikwissenschaftler Varwick. Es seien zwar Risse im Machtapparat offenbar geworden, aber: "Für den Moment gewissermaßen hat Putin diesen Machtkampf gewonnen", meinte er. Die Hoffnung, dass Putin weg ist und daraus ein Ende des Krieges resultiert, dürfe man nicht haben. Putin sei derjenige, "der als Verhandlungspartner infrage kommen muss", schloss Varwick ab.
Da meldete sich SPD-Mann Roth zu Wort: "Ich teile das, was Herr Varwick gesagt hat, so gar nicht", sagte er. Niemand habe gewonnen und erst recht nicht Putin. "Putin stand als Kaiser einen Moment nackt da", meinte Roth. Ein Diktator lebe davon, dass es einen gibt, der schalten und walten kann. "Es gab einen absoluten Kontrollverlust, das ist für einen Diktator ein Super-GAU", folgerte Roth. Das putinsche Versprechen, seiner Bevölkerung Sicherheit zu bieten, stehe infrage.
So hat sich Maybrit Illner geschlagen
Die Sendung sprang ziemlich hin und her zwischen Spekulationen und Wunschdenken einerseits und realistischen Bewertungen und Analysen andererseits. Auch kurz- und langfristige Perspektiven gerieten ziemlich durcheinander. Illner gelang es nicht immer, das sauber für den Zuschauer auseinander zu deklinieren.
Außerdem ließ sie Roth ohne Antwort auf die Frage, warum die Bundesregierung keine Informationen im Vorfeld des Aufstandes durch den Bundesnachrichtendienst gehabt hatte, davonkommen. Diese Frage hätte sie durchaus länger zur Debatte stellen können: Warum konnte Prigoschin Putin so scharf öffentlich kritisieren?
Das ist das Ergebnis bei "Maybrit Illner"
Eine Sendung ohne roten Faden, aber trotzdem mit wichtigen Erkenntnissen. Dazu zählte: Putin hat sich mit dem Krieg verhoben und sein Ende ist nur eine Frage der Zeit. Korrespondentin Eigendorf sagte dazu: "Irgendwann wird es biologisch geregelt". Was danach folgt, bleibt offen. Denkbar sind ein Zerfall des Systems, Kämpfe zwischen konkurrierenden Warlords. Im Hier und Jetzt war wichtig: Die Ukraine konnte bislang durch die Situation in Russland kein Momentum gewinnen. Außerdem hat Moskau noch immer Eskalationspotenzial.
Verwendete Quellen:
- ZDF: Sendung "Maybrit Illner" vom 29.06.2023
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