Krise in der Ampel-Regierung, Asylproblematik und drohende Terrorgefahr: Droht Deutschland, nach rechts außen abzudriften? "Herr Merz" habe dazu "sehr viel beigetragen", warf Jürgen Trittin dem Oppositionsführer bei "Markus Lanz" vor.

Eine Kritik
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In den Niederlanden ist Ende November die frühere Regierung mit Regierungschefs Mark Rutte auch an der Asylproblematik gescheitert: Der Rechtspopulist Geert Wilders hat den Wahlsieg errungen. Droht Deutschland ein ähnliches Schicksal? Welche neuen Wege gibt es in der Asyl- und Flüchtlingspolitik? Und welche Auswirkungen hat der Nahost-Konflikt? Darum ging es bei "Markus Lanz" am Donnerstag.

Das ist das Thema bei "Markus Lanz"

Die Unzufriedenheit mit der Ampelregierung ist groß: In der Deutschlandtrend-Umfrage von Anfang November sprachen sich nur knapp ein Drittel der Befragten für eine Fortsetzung aus. Und auch innerhalb der Regierungsparteien selbst war die Stimmung schon einmal besser. Unter anderem Asylrechtsverschärfungen und der Umgang mit Flüchtlingen sorgten zuletzt beim Grünen-Parteitag für Streit. Die Frage der Asyl- und Migrationspolitik beschäftigte auch die Gäste von Markus Lanz am Donnerstagabend. Außerdem ging es um den Nahost-Konflikt und eine potenzielle Terror-Gefahr für Deutschland.

Das sind die Gäste

  • Jürgen Trittin, Grünen-Politiker: "Ich habe eher Angst davor, dass das passiert, was in den Niederlanden passiert ist, wo alle Probleme - von zu hohen Hauspreisen, ungenügenden Renten etc. - projiziert worden sind auf die Asylfrage und man das Original gewählt hat, nämlich Wilders. Auf dem Weg sind wir in Deutschland leider auch - und dazu hat Herr Merz sehr viel beigetragen."
  • Kristin Helberg, Nahost-Expertin: "Aus dieser grünen Jugend spricht ein genereller Frust darüber, dass selbst eine Partei wie Bündnis 90/Die Grünen im Jahr 2023 nicht den Mut hat, etwas grundsätzlich anders zu denken, sondern weiterhin beharrt auf dem Denken von Abwehren, Zurückschicken, Verhindern, dass Menschen kommen, obwohl das alles nicht wirklich dabei helfen wird, die Zahlen zu senken."
  • Eva Quadbeck, Journalistin: "Weil die Menschen der Ampel nicht zutrauen, diese Probleme zu lösen, deshalb haben sich die Leute von der Ampel abgewendet. Da ist nicht die Schuld von Friedrich Merz."
  • Guido Steinberg, Islamwissenschaftler: "Wenn der Konflikt im Nahen Osten eskaliert, dann müssen wir damit rechnen, dass die Hamas, die Hisbollah ihre Leute losschicken, und dann sind wir nicht mehr bei den Einzeltätern der letzten Jahre, dann haben wir es mit Gruppierungen zu tun, und das ist aus meiner Sicht eine sehr große Gefahr für die nächsten Monate."

Das ist der Moment des Abends bei "Markus Lanz"

Wenn es beim Parteitag der Grünen in Karlsruhe brenzlig wurde, dann wurde... Nein, nicht Pizza bestellt, wie Moderator Markus Lanz vorschlug. "Dann wurde Herr Merz zitiert", beendete Journalistin Eva Quadbeck den Satz, "man hatte sich daran gewärmt wie an einem Lagerfeuer, dass Herr Merz wirklich ein übler Bursche ist". Dass "Friedrich Merz dazu einlädt", konterte Jürgen Trittin keck und wollte gerade in seiner Begründung ausholen. "Gucken Sie, jetzt haben Sie schon wieder geschickt von den Grünen abgelenkt", unterbrach ihn Quadbeck.

Gegen den gewieften Bundestagsabgeordneten hatten aber weder sie noch Lanz eine Chance. "Herr Merz hat gegen den Willen vieler Bundestagsmitglieder die CDU auf einen trumpistischen Kurs gebracht", behauptete Trittin. "Auf einen was?", konnte sich der Moderator das Nachfragen nicht verkneifen. Dass der Oppositionsführer der "deutsche Trump" wäre, so weit wollte Trittin zwar nicht gehen. Seine Grundlinie sei allerdings trumpistisch, "das habe ich schon auf dem Parteitag gesagt", fügte der Politiker mit breitem Grinsen hinzu.

Dass eine solche Aussage ins parteiinterne Umfeld passe, sah Lanz ein: "Aber nochmals, Sie sagen das hier im Fernsehen?" Ja, kam Trittins Antwort ohne zu zögern, und prompt lieferte er eine Definition dafür: Merz mache "Opposition um jeden Preis, egal, was dabei rauskommt". Journalistin Quadbeck sah das nicht so, musste aber zugeben, "dass Merz immer wieder so die Nerven durchgehen und er dann Dinge raushaut, wo man schon auch sagen kann, da weht ein Hauch von Tea-Party durch diese Fraktion".

"Jetzt reden wir schon wieder von Merz. Merken Sie", stellte Lanz mit Blick auf die Expertin fest, "jetzt sind wir voll in die Falle getappt - in seine Falle", deutete er mit dem Finger auf Trittin. "Ich stelle doch keine Fallen, was unterstellen Sie mir", empörte sich der und wirkte in seiner gespielten Entrüstung wie ein kleiner Junge, der beim Keksklauen ertappt wurde. Da konnte sich Lanz nicht mehr zurückhalten: "Genau, Unverschämtheit, was erlauben Sie sich", machte er lachend den Tonfall des Politikers nach.

Das ist das Rede-Duell des Abends

"Frau Helberg, wir müssen schon aufpassen, was wir den Leuten erzählen." - Die Aussage der Nahost-Expertin, Geflüchtete aus Deutschland "nach Ruanda zu schicken" wäre - aus Kostengründen - der völlige Wahnsinn, konnte und wollte Markus Lanz so nicht stehen lassen.

Das von Großbritannien ins Spiel gebrachte und mittlerweile als rechtswidrig angesehene Ruanda-Modell und damit das Konzept, illegal eingereiste Geflüchtete in ein Drittland zu bringen, wurde zwar nicht erklärt. Stattdessen argumentierte Helberg damit, Menschen bereits in ihrer Heimat oder in einem Nachbarland Asyl für beispielsweise Deutschland beantragen zu lassen. "Damit verhindere ich, dass sie auf illegalem Weg hierherkommen und einen Asylantrag stellen, der sowieso abgelehnt wird", beschrieb sie.

"Das sagen Sie so, Frau Helberg", überzeugte das Lanz ganz und gar nicht. "Dann müssen sie aber bereit sein, wirklich hässliche Dinge zu tun und dann auch bereit sein, das wirklich durchzusetzen." Diese Interpretation lehnte Helberg wiederum ab: "Nein, es ist nicht hässlich, wenn ich einem Menschen vor Ort die Möglichkeit gebe, in Eritrea beispielsweise...". Doch Lanz ließ nicht locker: "Aber was hielte jemanden, dessen Vorantrag abgelehnt würde, davon ab, den Weg übers Boot zu versuchen?"

Es folgte ein minutenlanges Hin und Her, das beide Beteiligten (und sicher auch den Zuschauer und die Zuschauerin) frustrierte. Verständnis brachte es allerdings nicht. "Der Punkt ist doch: Ich habe dieser Tage einen Migrationsforscher gelesen, der sagte, wir sollten uns mal ehrlich machen. Eine der großen Lebenslügen dieser deutschen Wirklichkeit ist zu sagen, alle Menschen oder die meisten fliehen vor Tod und Vertreibung und Krieg. So ist es nicht", wagte Lanz noch mal einen Anlauf. "Die Meisten fliehen, weil sie ein besseres Leben wollen. Da reden wir von Menschen in einer Zahl von 400 bis 450 Millionen."

Das konnte wiederum Helberg nicht auf sich sitzen lassen: "Das ist doch jetzt Panikmache zu sagen, dass sie alle rüberkommen wollen." Darum ginge es nicht, betonte Lanz und kam dann doch auf das Ruanda-Modell zu sprechen: "Wenn man den Leuten sagt, das bedeutet, wir müssen mit Riesenaufwand die ganze Zeit Hunderte Flüge nach Ruanda klarmachen, so wird es ja nicht sein", stellte er klar. "Die Idee von Ruanda ist doch: Ihr müsst das klare Signal aussenden, euer Weg führt bis Ruanda und dort ist Schluss. Und wer dort nicht weiterkommt, kommt dann auch nicht weiter. Das ist das, was wir umsetzen müssen. Wenn das funktionieren soll, was Sie sagen, müssen wir irreguläre Migration bereit sein mit allen Mitteln zu beenden."

So hat sich Markus Lanz geschlagen

Im Ping-Pong mit Jürgen Trittin war Markus Lanz sichtlich in seinem Element. Auch in der Diskussion zur Sicherheitslage und zum Konflikt im Nahen Osten wirkte der Moderator an diesem Abend souverän.

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Das ist das Fazit bei "Markus Lanz"

Jürgen Trittin war bemüht, den schlechten Zustand der Ampelregierung als "Midterm"-Phänomen zu bagatellisieren (Lanz: "Herzlich willkommen bei Schönreden TV"). Eva Quadbeck wusste es besser: "Zur Wahrheit gehört dazu, dass eine Bundesregierung nie so schlecht dagestanden hat wie jetzt die Ampelregierung", analysierte sie die Lage. Trittin zeigte sich davon unbeeindruckt. Mehr Sorge als der Zerfall der Ampel mache ihm, "dass das passiert, was in den Niederlanden passiert". Dort wurden alle Probleme auf die Asylfrage projiziert. Dass auch Deutschland das blühen könnte, "dazu hat Herr Merz sehr viel beigetragen".

Was schon jetzt eine der Herausforderungen darstellt, wird die durch die zunehmenden Krisen und Kriege dieser Welt künftig noch wichtiger. "Wir müssen Menschen einen Weg aufzeigen, wie sie legal oder regulär zu uns kommen können", warnte Nahost-Expertin Kristin Helberg davor, sich "treiben zu lassen von rechts außen in Richtung: wir schieben mehr ab". Vielmehr machte sie sich dafür stark, dass Asylanträge außerhalb Europas gestellt werden und dort eine Vorprüfung stattfinden könnte. Eines dürfe nicht passieren, dass die "Gefühlslage dieser Menschen", dieser Frust, Extremisten überlassen werde. Diese Gefahr verortete sie im Moment im Umgang mit dem Konflikt im Nahen Osten, etwa wenn pro-palästinensische Äußerungen als Antisemitismus abgestempelt würden.

"Die Verbindung zwischen terroristischer Radikalisierung und einem Verbot von Demonstrationen" sah Islamwissenschaftler Guido Steinberg zwar nicht, zur Vorsicht mahnte aber auch er: "Was die deutschen Sicherheitsbehörden und die deutsche Politik machen müssen, ist, Dinge, die bisher nicht denkbar waren, zumindest mal durchzudenken", meinte er. "Also: was passiert, wenn die Hamas kurz vor ihrer Zerschlagung steht, ist es dann möglich, dass sie anderswo zuschlägt?" Denn schnell könnte aus einer nationalen eine internationale Terrororganisation werden, verwies er auf das Beispiel der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). Nicht nur Markus Lanz hatte an diesem Abend "viel gelernt".

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