"Marodierende Banden" oder "Menschen in Not"? Frank Plasbergs Gäste debattieren teils überhart und gar nicht fair über die Lage an den EU-Außengrenzen. Eine CDU-Frau sieht in der Abschottung das beste Mittel für Menschlichkeit. Ein Journalist und ein Kabarettist liefern sich eine hitzige Diskussion.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Christian Bartlau dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

An Corona kommt in diesen Tagen auch nicht vorbei, wer gar nicht über das Virus sprechen will. Immer schwingt das alles beherrschende Thema mit, also versucht es Frank Plasberg am Montagabend mit einer besonderen Einführung in die Sendung: Vielleicht helfe in der Panik und der Hysterie ein Blick auf das Schicksal von Flüchtlingen, um die Lage besser einzuordnen.

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Und ja: Gemessen am Leid dieser Menschen verblasst der Ärger über ausgefallene Flüge, leere Regale und abgesagte Messen. Das bedeutet aber nicht, dass man zu dem Thema nicht geteilter Meinung sein kann – und zwar so sehr, dass Plasberg seine Sendung ein ums andere Mal fast entgleitet.

Das ist das Thema bei "Hart aber fair"

Zehntausende Menschen vegetieren auf den griechischen Inseln vor sich hin, mehrere Tausend sind als Manövriermasse zwischen Erdogans Türkei und Europa gestrandet. Und wieder hat die EU keine klare Strategie. "Fluchtziel Europa: Was haben wir aus 2015 eigentlich gelernt?", fragte Frank Plasberg deshalb seine Runde.

Das sind Frank Plasbergs Gäste

Der Kabarettist Florian Schroeder zeigt sich "schockiert, mit welcher Gleichgültigkeit und Kälte" in Deutschland auf die Bilder von der EU-Außengrenze reagiert werden: "Das ist barbarisch."

Serap Güler (CDU), Integrations-Staatssekretärin in Nordrhein-Westfalen, will genau wegen dieser Bilder die Grenzen geschlossen halten. "Wenn nicht, machen sich noch mehr Menschen auf den Weg."

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt erinnert daran, dass es nicht um schwer erträgliche Bilder gehe – sondern um Menschen, die Hilfe brauchen. Wer sage, 2015 solle sich nicht wiederholen, habe "ein Interesse an Panik". Ein Teil des Jahres 2015 solle sich auch wiederholen: "Dass wir in einer schwierigen Situation Menschlichkeit gezeigt haben."

Anders als Göring-Eckardt sieht "Bild"-Journalist Ralf Schuler keine Mehrheit in der Bevölkerung für die Aufnahme von Flüchtlingen von den griechischen Inseln. "Es ist ein tiefes Misstrauen da." Von der Bereitschaft einiger Städte hält er nichts: "Kommunen machen keine Flüchtlingspolitik bei uns."

Die Flüchtlings-Aktivistin Liza Pflaum war vor einigen Wochen im Lager Moria auf Lesbos, wo sie ein "totales Staatsversagen" beobachtet hat. Sie fordert eine sofortige Evakuierung aller Menschen auf den Inseln: "Wir können nicht auf eine europäische Lösung warten, wir müssen sofort helfen."

Das ist der Moment des Abends

Im Jahr 2000 stellte der Künstler Christoph Schlingensief einen Container vor die Wiener Staatsoper. Darin: Zwölf angebliche Asylbewerber, die in einer Art "Big-Brother"-Contest um die Gunst des Publikums buhlten. Pro Tag wurden zwei Menschen rausgewählt und "abgeschoben", am Ende erhielt der Gewinner die ersehnte Aufenthaltsberechtigung.

In diesen Tagen kommt die Wirklichkeit Schlingensiefs Inszenierung ziemlich nahe: Die Schutzbedürftigen werden jetzt handverlesen. Die Bundesregierung will aus Lesbos nur Minderjährige evakuieren, genauer: nur unbegleitete Mädchen unter 14 Jahren.

Warum eigentlich, will Frank Plasberg von Serap Güler wissen. "Wollen Sie der Angst vorbeugen, dass aus Jungs Messermänner werden, wie Frau Weidel sagen würde?" Damit hatte Plasberg wahrscheinlich den richtigen Riecher, Güler behauptete dennoch, Mädchen seien "allein physisch schwächer", was ihr einen Rüffel von Katrin Göring-Eckardt eintrug: "Das ist absurd. Das ist eine Art von politischer Augenwischerei. Wir helfen denen, die besonders schutzbedürftig sind. Das sind Kranke und Kinder, egal ob Mädchen oder Jungs." Eine Position, die im Europa des Jahres 2020 kein Konsens mehr ist.

Das ist das Rededuell des Abends

Treffen sich ein Kabarettist und ein "Bild"-Journalist. Nein, das wird kein Witz. Sondern fast ein Fall für die Studio-Security.

"Bild"-Mann Ralf Schuler, Autor des Buches "Lasst uns Populisten sein", greift im Laufe des Abends immer mal wieder zu deftigem Vokabular. Die Menschen, die bei Kastanies die griechische Polizei mit Steinen bewerfen, nennt er "marodierende Horden" - was Florian Schroeder nicht unkommentiert stehen lassen will. "Sie sprechen von denen, als seien das Truppen, als seien das Tiere. Die machen das, weil sie in Not sind, nicht weil die uns überrennen wollen." Schulers Replik: "Was Sie nicht wahrhaben wollen, ist, dass Sie sich als nützlicher Idiot von Erdogan betätigen."

Nicht das Ende der Eskalationsstufen, Schroeder legt nach: "Merken Sie nicht, wie Sie Unmenschlichkeit salonfähig machen? Ich weiß nicht, ob Sie es absichtlich machen, dann ist es einfach entsetzlich und bitter. Oder Sie merken es nicht, dann ist es doof."

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So hat sich Frank Plasberg geschlagen

Plasberg ordnete an dieser Stelle "sprachliches Abrüsten" an, drang damit aber nur begrenzt durch. Schuler und Schroeder blieben sich in herzlicher Abneigung verbunden – und Plasberg musste ein ums andere Mal ein Machtwort sprechen, um die aufgeheizte Runde auf das Thema zurückzulenken.

Am Ende ersparte das Coronavirus allen eine Eskalation: Plasberg verhängt ein Shakehands-Verbot zum Abschied, es war besser so – Schuler und Schroeder hätten sich sonst wohl ein ähnlich episches Duell geliefert wie Donald Trump und Emmanuel Macron 2017.

Das ist das Ergebnis

Kommunikation ist alles. Das hat die Bundesregierung mittlerweile verstanden – und sendet unmissverständliche Botschaften, auch in arabischer Sprache, über die sozialen Netzwerke: die Grenzen sind nicht offen. Eine wichtige Lehre aus 2015, sagt Serap Güler. "Es ist richtig, dass wir die falsche Kommunikation Erdogans korrigieren."

Die CDU-Frau sprach sich aber gleichzeitig für humanitäre Hilfe für die Menschen auf Lesbos aus: "Das muss eine Sache von Wochen sein, nicht von Monaten."

Schon viel länger als 2015 wartet allerdings das zentrale Problem in der Flüchtlingskrise auf seine Lösung: der Krieg in Syrien. "Die Wahrheit ist", sagt "Bild"-Journalist Schuler, "wir haben immer gesagt, wir wollen die Fluchtursachen bekämpfen, und haben es nie gemacht." Solange das so bleibt, werden wir 2025 wieder darüber streiten, was wir aus dem Jahr 2020 hätten lernen müssen.

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