Ein Plus von 12 Prozent beim Bürgergeld – aber nur 3,4 Prozent beim Mindestlohn. An vielen Stellen sorgt dieser Vergleich derzeit für Unmut. Ist der Lohnabstand zu klein oder werden gerade Bevölkerungsgruppen gegeneinander ausgespielt? Bei "Hart aber fair" machte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) eine deutliche Ansage.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Marie Illner dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Umfragen zeigen: Knapp 73 Prozent der Vollzeitbeschäftigten wünschen sich eine Vier-Tage-Woche bei gleichem Lohn. Aber ist das wirklich machbar? Und wie geht das zusammen mit einer schrumpfenden Bevölkerung und höheren Mindestlöhnen? Das war eine der Fragen, die am Montag (13. November) bei "Hart aber fair" diskutiert wurde.

Mehr aktuelle News

Das ist das Thema bei "Hart aber fair"

"Lohnt sich Arbeit überhaupt noch?" – das fragte Louis Klamroth seine Runde recht provokant am Montagabend. Dabei ging es um die schrumpfende Wirtschaft bei gleichzeitig steigenden Ansprüchen der Beschäftigten. Haben die Arbeitnehmer "keinen Bock mehr auf Leistung?" Thema im Studio waren auch das steigende Bürgergeld und die Mindestlöhne und die damit verbundene Frage: "Können wir uns das alles leisten?"

Weitere News gibt's in unserem WhatsApp-Kanal. Jetzt abonnieren!

Das sind die Gäste

  • Hubertus Heil (SPD): "Arbeit lohnt sich mehr als das Bürgergeld", sagte der Bundesarbeitsminister. Es sichere das Existenzminimum – nicht mehr, und nicht weniger. Er erinnerte: "Man muss wissen, dass 20 Prozent der Menschen, die im Bürgergeld sind, arbeitende Menschen sind. Das sind keine faulen Leute." Es handele sich um Personen, die niedrige Löhne oder so wenige Stunden hätten, dass sie auf ergänzende Grundsicherung angewiesen seien. "Wir müssen darüber reden, wie sich Arbeit mehr lohnt", meinte Heil.
  • Hendrik Ambrus: Der Inhaber eines Dachdecker-Betriebs sagte: "Noch mehr Bürgergeld ist das falsche Signal. Wo bleibt dann die Motivation, zu arbeiten?" Die arbeitende Bevölkerung komme sich bei der Erhöhung des Bürgergelds veräppelt vor. Der Name Bürgergeld sei außerdem zu aufgeweicht, es müsse eher Arbeitslosengeld genannt werden. "Derjenige, der das in Anspruch nimmt, darf auch ruhig merken, dass momentan jemand anderes gerade beim Haareschneiden ist, auf dem Dach steht oder sonstige Dinge erledigt, dass dieses Geld zur Verfügung steht", so Ambrus.
  • Christiane Benner: Die Vorsitzende der IG-Metall fordert eine Vier-Tage-Woche und erklärte: "weil wir so Arbeitsplätze sichern und für eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Leben sorgen." Es sei schwierig, eine Debatte zwischen Bürgergeld-Empfängern und Menschen im Niedriglohn-Sektor zu führen. "Das finde ich, ist für den sozialen Zusammenhalt in unserem Land nicht gut", fürchtete sie. "Arbeit ist immer mehr als auch nur das Einkommen", erinnerte sie.
  • Michael Hüther: Der Ökonom sagte: "Fast nirgends in Europa wird so wenig gearbeitet, wie bei uns. Wir müssen wieder mehr arbeiten, nicht weniger." Die Frage sei, ob die Differenz zwischen Arbeit und Bürgergeld hinreichend groß sei. Menschen in Bürgergeld-Bezug bekämen nicht nur Transferleistungen, sondern auch bargeldlose Leistungen wie zum Beispiel vergünstigte Eintritte. "Dadurch kommt es zu Ungleichgewichten", so der Ökonom. Das was bislang gemacht worden sei, reiche nicht, um genug Anreize für Arbeit zu schaffen.
  • Ronja Ebeling: "Es ist Zeit, Nein zu sagen. Nein zu Millionen unbezahlten Überstunden. Nur so ändern wir die Arbeitswelt", so die Journalistin und Unternehmensberaterin. Man habe den jungen Generationen lange ein "Akademisierungs-Märchen" erzählt. Es habe geheißen: "Studierst du, dann hast du bessere Gehalts- und Karrieremöglichkeiten." Für viele Branchen sei das richtig, man müsse es aber aufbrechen. Berufsberatung an Schulen sei nicht mehr zeitgerecht und komme der Digitalisierung nicht hinterher.

Das ist der Moment des Abends bei "Hart aber fair"

Unternehmensberaterin Ebeling machte die Debatte mit zwei Beispielen plastischer. Sie habe mit einem alleinerziehenden Malermeister gesprochen. Er sei strukturell vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen, weil Betriebe es noch nicht verstanden hätten, "dass nicht alle um 7 Uhr abfahrtbereit zur Baustelle sein können, weil die Kita im Ort vielleicht erst um 8 oder 9 Uhr öffnet." Für solche Menschen seien Sozialleistungen gut und wichtig.

Sie habe von einem Bäckermeister aber auch erfahren, dass er in den letzten neun Monaten fünf Kündigungen erhalten habe – "aufgrund der Anhebung des Bürgergeldes". Arbeitsminister Heil kommentierte: "Keine gute Idee. Jemand, der wirklich so bescheuert ist, wegen des Bürgergeldes zu kündigen, der kriegt erstmal kein Bürgergeld, der kriegt erst einmal eine Sperre beim Arbeitslosengeld." Das Bürgergeld sei kein bedingungsloses Grundeinkommen.

An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fließen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäß dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.

Das ist das Rede-Duell des Abends

Ärger gab es vor allem rund ums Thema Vier-Tage-Woche. Ein Auszug: "Mich stört so sehr, dass wir in Deutschland nach wie vor diese Vollzeit-Mentalität haben und dabei vergessen, dass wir viele Menschen vom Arbeitsmarkt ausschließen", meinte Unternehmensberaterin Ebeling. Viele Frauen würden gerne mehr arbeiten. "Wir müssen ermöglichen, dass Menschen in Teilzeit Karriere machen können", forderte sie. Wenn das nicht passiere, sei Deutschland auf dem absteigenden Ast. Neben Erwerbsarbeit gebe es auch noch Care-Arbeit, die in den nächsten Jahren zunehmen werde.

Hüther äußerte sich dazu: "Wir müssen uns doch fragen, ob es auf Dauer gut gehen kann, dass bei uns Vollzeiterwerbstätige 250 Stunden weniger im Jahr arbeiten als in der Schweiz." Die Bevölkerung schrumpfe ab 2025, so viele Menschen könnten nicht ins Land kommen. "Dann müssen wir alle Flexibilitätspotenziale bei uns nutzen." In der Summe komme man mit diesem Arbeitsvolumen aber nicht zurecht.

So hat sich Louis Klamroth geschlagen

Klamroth war sich wohl bewusst, wie emotional aufgeladen die Debatte ist. Er konzentrierte sich an diesem Abend deshalb ganz besonders auf Fakten und Zahlen, um die Diskussion auf einer sachlichen Ebene zu halten – mit Erfolg.

So rechnete er beispielsweise vor, dass eine Familie mit Zwillingen und einem Elternteil in Vollzeit mit Mindestlohn im Vergleich zu Bürgergeld-Empfängern in derselben Konstellation nur 2,48 Euro pro Arbeitsstunde mehr zur Verfügung hat. Die gefühlsgeladene Frage Richtung Heil durfte dann doch sein: "Können Sie das dann nicht nachvollziehen, wenn Menschen sagen: dann gehe ich lieber erstmal ins Bürgergeld?"

Das ist das Ergebnis bei "Hart aber fair"

So, wie es ist, kann es nicht bleiben – in dem Punkt war sich die Runde einig. Während ein Teil am Mindestlohn und an der Arbeitszeit schrauben wollte, konzentrierte sich ein anderer Teil darauf, Potenziale in der Bevölkerung zu heben und mehr Menschen in Arbeit zu bringen. Interessante Sichtweise: Eine Vier-Tage-Woche als Wettbewerbsvorteil auf einem Arbeitsmarkt mit Fachkräftemangel. Worüber aber bedauerlicherweise gar nicht gesprochen wurde: Die Möglichkeit, durch Steuersenkungen zu entlasten und die Frage, wie viel sozialen Sprengstoff die Situation derzeit birgt.

Verwendete Quelle:

  • ARD: "Hart aber fair" vom 13.11.2023


JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.