Die Bundesliga spielt wieder vor Zuschauern, und Karl Lauterbach gefällt das nicht. Bei "hart aber fair" wird der SPD-Mann nicht nur deswegen zum Buhmann.
In der Fußball-Bundesliga wäre das ein Hochsicherheitsspiel gewesen: Montagabend 21:20 Uhr,
Das ist das Thema bei "hart aber fair"
Den sprichwörtlichen Bayern-Dusel kennen Fußballfans aus den alten Zeiten, in denen der FC Bayern nicht mal eben Hacke, Spitze, 8:0 über den FC Schalke 04 hinwegtänzelte, sondern regelmäßig in allerletzter Sekunde noch zum Sieg kam, gern unter Mithilfe des Schiedsrichters. Pures Glück oder verdienter Erfolg, das war stets die Frage, die Frank Plasberg auf die derzeitige Corona-Lage ummünzt: "Bei uns füllen sich die Stadien, bei anderen die Kliniken - hat Deutschland Corona-Dusel?"
Das sind die Gäste von Frank Plasberg
8.400 Zuschauer verfolgten am Samstag im Bremer Weserstadion die 1:4-Pleite von Werder gegen Hertha BSC. Der Manager der Berliner, Michael Preetz, bezeichnet den ersten Spieltag der Fußball-Bundesliga als "ersten Schritt" zurück Richtung Normalität. "Aber an erster Stelle steht natürlich die Gesundheit."
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hält Fußball vor Fans zwar "nicht für das größte Problem", wohl aber "das falsche Signal" in einer Zeit, in der in anderen Ländern das Infektionsgeschehen wieder Fahrt aufnimmt. "Es wäre naiv zu glauben, dass uns das erspart bleibt. Es ist denkbar, aber es grenzt an magisches Denken."
"Corona ist nicht weg, vielleicht geht es nie weg, aber wir müssen irgendwie schauen, dass das Leben weitergeht", entgegnet der Orthopäde Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Angesichts von nicht einmal 300 stationären COVID-19-Patienten und zehntausenden leerstehenden Intensivbetten bundesweit erkennt er einen "Riesenpuffer" im Gesundheitssystem. "Wir können etwas wagen."
Susanne Gaschke ("Welt") fordert angesichts der Zahlen eine Neubewertung der Lage durch den Bundestag. "Wir können nicht Grundrechte auf Vorrat einschränken, aber das tun wir gerade."
Karoline Preisler, FDP-Politikerin und Corona-Patientin, erzählte
Kabarettist und Schauspieler
Der Moment des Abends
Ungelöste Rätsel der Pandemie, Teil 184: Nach welchem Modus entscheidet Karl Lauterbach, welche Talkshow er besucht? Wechselt er in alphabetischer Reihenfolge zwischen Illner, Lanz, Maischberger, Plasberg, Will? Seine Dauerpräsenz hat den streitlustigen SPD-Mann jedenfalls zur Reizfigur vom Range eines Oliver Kahn (zu aktiven Zeiten als Bayern-Torwart) gemacht, er muss nur auftauchen, schon hagelt es Schmähungen. Ein gutes Beispiel: Der Wutausbruch von Dieter Hallervorden nach einer sachlichen Überlegung Lauterbachs, wie das Quarantäne-Konzept angepasst und die Schulen ausgerüstet werden müssten, wenn die Infektionszahlen ansteigen.
"Das sind keine Warnungen mehr", wettert Hallervorden, "das ist Panikmache, damit hilft man den Leuten nicht. Man muss doch Hoffnungen machen." Lauterbach rechtfertigt sich, er habe nur Vorschläge gemacht, da ruft Susanne Gaschke dazwischen: "Ja, für Verbote." Nein, konstruktive Vorschläge, wie die Schule stattfinden kann, entgegnet Lauterbach. "Genau, Schule ist immer so unstrittig, da kann keiner moralisieren, da muss sogar Herr Lauterbach dafür sein", ätzt Gaschke. Und spätestens hier wird klar: Die Runde diskutiert in bester Twitter-Manier aneinander vorbei – mit Unterstellungen, absichtlichen Missinterpretationen und Fehlschlüssen.
Das ist das Rede-Duell des Abends bei "Hart aber fair"
Auch wenn Karl Lauterbach in diesem Moment zu Unrecht in die Rolle des Verbotsfanatikers gedrängt wurde – so ganz ins Leere ging der Vorwurf der Panikmache auch nicht. Allzu selbstsicher hantierte Lauterbach mit seiner Prognose, laut der Deutschland in wenigen Wochen wieder Infektionszahlen von 7.500 pro Tag erleben werden, weil das Wetter schlechter werde und sich das Geschehen ins Innere verlagere. "Herr Lauterbach, das geht so nicht", rügte Mediziner Gassen seinen Kollegen. Selbst wenn sich die Zahlen verschlechterten, würde das Gesundheitssystem nicht an die Grenzen kommen. "Und wenn es am Wetter läge, warum haben die Leute in Texas überhaupt Corona?"
Ein Einwurf, den Lauterbach mit Unmut quittiert: "Wenn man im Fernsehen strittig stellt, dass das Infektionsgeschehen stark am Wetter hängt, haben wir keine Basis zum Diskutieren." Einen Ordnungsruf von Plasberg für Lauterbach später führt Gassen seine Attacke fort. Lauterbach wähne sich im Besitz der "absoluten Wahrheit", die nicht einmal Christian Drosten für sich reklamiere: "Dass Sie Zahlen im Voraus kennen, das bewundere ich, Sie sind einer der wenigen, die das können."
So hat sich Frank Plasberg geschlagen
Um im Fußball-Jargon zu bleiben, sah sich Lauterbach immer wieder mit Überzahl des Gegners konfrontiert. Und Schiedsrichter Plasberg war wenig hilfreich, im Gegenteil. Immer wieder belohnte der Gastgeber Zwischenrufe mit der Erteilung des Rederechts. "Hier kommt wieder ein 'Quatsch' von der Seite", sagte Plasberg dann, oder: "Ich mache mir Sorgen um Herrn Hallervordens Luftdruck." Lauterbach fing sich hingegen die ein oder andere Ermahnung ein, sodass sich der Eindruck aufdrängt: Plasberg war in dieser Runde offenbar nicht ganz unparteiisch.
Das ist das Ergebnis
Zurück zum Bayern-Dusel: Was so manchen Nicht-Bayern-Fans wie eine bösartige Laune des Fußballgottes vorkam, ließ sich bei genauerer Betrachtung auf handfeste Faktoren zurückführen – die besondere Siegermentalität, die höhere individuelle Klasse, und ja, auch auf Schiedsrichter, die im Zweifel für den Großen entscheiden.
Was also sind die Faktoren, die Deutschland – momentan – besser dastehen lassen als etwa Frankreich, Spanien und Großbritannien? Der zeitliche Vorlauf, sagt Lauterbach, den Deutschland unbedingt zur Vorbereitung nutzen sollte. Das Gesundheitssystem, meint Kassenarzt-Chef Gassen, der die Arztpraxen und Krankenhäuser auch bei steigenden Zahlen nicht in der Bredouille sieht.
Beatmungsgeräte seien aber "keine Verheißung", meint Lauterbach, immerhin sterben 25 Prozent der Beatmeten, der Großteil der restlichen 75 Prozent trage Langzeitfolgen davon. Wo sich Gassen und Lauterbach ausnahmsweise einig waren: Wer Maßnahmen gut erklärt, wird auch mit der Zustimmung der Menschen rechnen können. Gassen hält aber die "apodiktische Abriegelung" für falsch – und auch für ineffizient, weil sie eine "Scheinsicherheit" suggeriere.
Susanne Gaschke sieht sogar einige "nicht immer sympathische" Eigenheiten der Deutschen als Vorteil in der Coronakrise: "Wir neigen zu sehr grundsätzlichem Verhalten, sind päpstlicher als der Papst." Also meckern wir, wenn der Hintermann an der Supermarktkasse den Abstand nicht einhält, und wir rufen die Polizei, wenn in der Kneipe unter uns das Bier noch nach der Sperrstunde fließt. Aber reicht all das, um die zweite Welle zu verhindern? Dafür müssten wohl auch noch einige der konkreten Vorschläge von Karl Lauterbach diskutiert werden - aber vielleicht etwas sachlicher als an diesem Abend.
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