Dass die Geschlossenheit im Westen bröckeln könnte und das Mitgefühl abnehmen wird, davor warnt die Politik bereits seit Längerem. Was lässt sich dagegen tun? Darüber diskutierte Frank Plasberg am Montagabend mit seinen Gästen. CDU-Politiker Röttgen stellte eine Vermutung an, warum Deutschland noch immer keine schweren Waffen in die Ukraine geliefert hat.
Die Nachrichtenlage dreht sich auch in Deutschland weiterhin um den Krieg in der Ukraine: Während Bundeskanzler Scholz den Vorwurf, bereits versprochene Waffen zu zögerlich an die Ukraine zu liefern, zurückgewiesen hat, forderte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj von ihm eine eindeutigere Unterstützung seines Landes. Gleichzeitig wird vermeldet, dass in der umkämpften Stadt Sjewjerodonezk im Donbass die russische Armee offenbar die dritte und letzte Brücke aus der Stadt zerstört hat.
Das ist das Thema bei "Hart aber fair"
Der Krieg in der Ukraine dauert bald vier Monate und noch ist kein Ende in Sicht. Noch immer bestimmt er die Medien. "Ist man ein gefühlskalter Egoist, wenn man nichts mehr vom Krieg hören will und eine Pause braucht?" diskutierte
"Wie lange reicht der Vorrat an Mitgefühl noch?" wollte er wissen. Außerdem ging es um Diplomatie und Verhandlungslösungen, Telefonate mit Putin und politische Kommunikation.
Das sind die Gäste
Armin Nassehi: Der Professor für Soziologie an der Universität München machte deutlich: "Wir sind seit der Pandemie als Gesellschaft in einem Dauerkrisenmodus. Eins haben alle Krisen gemeinsam: Irgendwann lässt die Aufmerksamkeit nach und unser Alltag übernimmt wieder das Kommando." Es sei normal, dass man sich an die Bilder des Grauens aus der Ukraine gewöhne. "Wenn man Dinge wiederholt, ist der Informationswert geringer", erklärte Nassehi. Die Wiederholung sei der Feind der Aufmerksamkeit.
Oleksandra Bienert: "Alle hier sind inzwischen müde. Aber bei allem Verständnis: Was kann gerade wichtiger sein, als diesen Krieg zu stoppen?", fragte die gebürtige Ukrainerin, die 2005 nach Berlin kam und in der Stadtentwicklung arbeitet. "Die Krise ist seit 2014 da und sie hat uns gezeigt, was passiert, wenn wir einen Krieg einfach ausblenden", erinnerte sie. Die Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg müsse sein: "Deutschland muss der größte Freund der Ukraine sein."
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Michael Müller (SPD): "Wir dürfen nicht nur auf das Militärische setzen, auch die Diplomatie muss wieder eine größere Rolle spielen", sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete. Es sei Aufgabe der Politik, den Krieg weiterhin zu thematisieren. Er kritisierte: "Nach wenigen Minuten geht es um die Waffen, sie stehen im Mittelpunkt der Diskussion." Man könne den ganzen Weg der Diplomatie nicht außen vor lassen. "Es ist immer lohnenswert im Gespräch zu bleiben", befand Müller.
Claudia Major: Die Militärexpertin von der Stiftung Wissenschaft und Politik war der Meinung: "Wir können mit unseren Waffenlieferungen mitbestimmen, wie dieser Krieg weiterverläuft." Die Gewohnheit an den Krieg sei eine Herausforderung, der wir uns im Westen stellen müssten. "Unsere Geschlossenheit bröckelt über die Dauer der Zeit. Die Zeit spielt für Russland", sagte Major. Russland spekuliere darauf, dass der Westen nicht gewillt sei, die Kosten zu tragen.
Das ist der Moment des Abends bei "Hart aber fair"
Besonders eindrücklich an diesem Abend war das Einzelgespräch mit dem Verwaltungsjurist und Verhandlungsexperten Matthias Schranner. Der stellte klar: "Für Verhandlungen mit Putin ist es zu früh, weil es kein Machtgleichgewicht gibt." Russland werde erst dann an den Verhandlungstisch kommen, wenn Putin glaube, dass es etwas zu gewinnen gebe.
"Solange beide Seiten glauben, dass sie gewinnen können, werden sie nicht an den Verhandlungstisch kommen", sagte Schranner. Putin denke in einem komplett anderen Wertesystem, agiere aber in seiner Welt rational. "Ich glaube nicht, dass es eine Verhandlung geben wird", gab Schranner zu. Szenarien, in denen Putin abgelöst werde, der Krieg sich festsetze oder Russland ein neues Nordkorea werde, seien wahrscheinlicher.
Das ist das Rede-Duell des Abends
Es knallte - na klar - zwischen Regierung und Opposition. Norbert Röttgen holte zum Angriff aus: "Die Lieferung schwerer Waffen durch die Bundesregierung ist nicht gewollt, sonst wären sie ja da. Es ist nichts geliefert worden." Das seien keine Zufälle. "Es gibt eine Chronologie von Ausreden", warf er der Ampel vor. Der wahre Grund dafür werde nicht kommuniziert.
"Ich kann nur vermuten, dass es im Grunde die Fortsetzung des alten sozialdemokratischen Denkens in der Russlandpolitik ist", so Röttgen. Das beinhalte: "Wir müssen immer mit Russland reden können und Russland ist eine Realität". In den Augen der SPD sei Russland wohl wichtiger als die Ukraine.
Müller hatte schon die ganze Zeit über mit dem Kopf geschüttelt, ehe er entgegnete: "Herr Röttgen erweckt immer wieder den Eindruck, als ob hier eine völlig isolierte Position des Kanzlers zu sehen ist, der völlig losgelöst von allen anderen nicht liefern will." An Röttgen gewandt sagte er: "Sie wissen, dass der Bundeskanzler all diese Dinge in einer engen Absprache mit Biden, mit Macron, mit Draghi, mit anderen macht."
So hat sich Frank Plasberg geschlagen
Frank Plasberg war nüchtern in seiner Analyse, Sticheleien kamen am Montagabend von ihm kaum. "Verlieren wir unsere Fähigkeit zu Empathie auf Dauer?" wollte er ebenso wissen wie "Wer muss Aufmerksamkeit hochhalten?" und "Lohnt es sich noch mit Putin zu reden?".
Als Militärexpertin Major der Kommunikation von Kanzler Scholz noch "Spielraum" nach oben attestierte, fragte Plasberg witzelnd: "Sind Sie im diplomatischen Dienst oder Militärexpertin?" Schade war, dass er Soziologe Nassehi an einer interessanten Stelle unterbrach. Seinen Satz "Wenn Politik entschiedener wäre, dann... " hätten sicherlich einige Zuschauer gerne vollständig gehört.
Das ist das Ergebnis bei "Hart aber fair"
Die Sendung tat genau das, wovor sie warnte: Die Erinnerung an den Krieg in der Ukraine hochhalten, aber dabei bestimmte Informationen immer wieder aufs Neue wiederholen. Ein Dilemma - das war auch dem Studio klar. Die Fragen, die Sprengstoff bargen, zeigten aber zugleich: Es gibt noch Diskussionspotenzial. Aufmerksamkeit generieren können in Zukunft also sicherlich noch Fragen wie: "Wann, wie und worüber kann man mit Russland verhandeln?" und "Wie sähe unser Kontinent nach einem russischen Sieg aus?".
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