Ehegattensplitting, Solidaritätszuschlag und Grundfreibetrag - selten wurde in einer Polittalkshow so leidenschaftlich über Steuern gestritten wie in der jüngsten Ausgabe von "Hart aber fair". Der Erkenntnisgewinn für den Zuschauer ist trotzdem überschaubar.
Deutschland geht es gut, sagen die einen - und verweisen auf Arbeitslosenquote, Pro-Kopf-Einkommen und den Wohlfahrtsstaat. Deutschland geht es schlecht, sagen die anderen - und verweisen ihrerseits auf Kinderarmut, marode Infrastruktur und den Niedriglohnsektor.
Mit diesen Gästen diskutierte Frank Plasberg:
Carsten Linnemann (CDU), stellvertretender Fraktionsvorsitzender- Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler
Norbert Walter-Borjans (SPD), ehemaliger Finanzminister von Nordrhein-Westfalen- Gesine Lötzsch (Die Linke), stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Bundestag
- Reina Becker, Steuerberaterin und alleinerziehende Mutter
Darüber wurde bei "Hart, aber fair" gesprochen:
Die Redaktion von "Hart aber fair" war so umsichtig, die Themen des Abends in handliche Fragen zu packen.
Das war dann zwar nur knapp über Stammtischparolen-Niveau, aber immerhin hübsch portioniert. Darum ging es:
Warum sehen Schulklos, Polizeiwachen, Straßen und Brücken so miserabel aus, während der Staat im Geld schwimmt?
Weniger plakativ gefragt geht es um die generelle Frage: Wofür sollen die momentan hohen Steuereinnahmen ausgegeben werden? Schuldenabbau, Investitionen oder Steuersenkungen?
Mit anderen Worten: Welche Generationen sollen von den Steuereinnahmen profitieren - die aktuellen oder die künftigen?
Hier holte Reina Becker zunächst zum Rundumschlag aus. Auf die Frage nach der Diskrepanz zwischen dem hohen Steuereinkommen und der maroden Infrastruktur antwortete die Steuerberaterin: "Ich habe das Gefühl, dass die Politiker damit überfordert und vielleicht nicht qualifiziert genug sind, die richtigen Entscheidungen zu fällen."
Etwas differenzierter ging es Walter-Borjans an und erklärte, dass zwar Geld für Investitionen bereitstehe, die Kommunen aber kein Personal hätten, um die Mittel abzurufen.
Lötzsch wies zusätzlich auf Kompetenzabgrenzungen zwischen Bund und Ländern hin.
Einig war man sich in der Runde, dass vor allem Alleinerziehende und Familien mit Kindern entlasten werden müssten. Beide Gruppen würden nämlich vom aktuellen Steuersystem benachteiligt. Oder wie es Steuerberaterin Becker ausdrückte: "Steuerlich gesehen ist es sinnvoller, Schweine aufzuziehen, als Kinder."
Damit wollte sie sagen, dass man als Schweinezüchter alle Kosten als Betriebsausgaben geltend machen könne, die Kosten für Kinder würden hingegen viel weniger berücksichtigt. Außerdem würden Kinder bei der Berufsausübung einschränken – ein doppelter Nachteil für Familien mit Kindern.
Hier war man sich fast einstimmig einig, dass vor allem das Ehegattensplitting überarbeitet werden müsse – zusätzlich zu weiterer Unterstützung für Haushalte mit Kindern.
Als es um mögliche Steuerentlastungen ging, räumte zunächst Gesine Lötzsch mit dem immer noch kursierenden Irrglauben auf, dass nur Westdeutsche den Solidaritätszuschlag zahlen müssten.
Zur Abschaffung des Soli fand Carsten Linnemann klare Worte: "Wenn wir den Leuten sagen: Es ist auf Zeit. Dann ist es auf Zeit." Linnemann werde sich demnach für die Abschaffung des Soli stark machen.
Warum haben gerade Besserverdiener so viele Möglichkeiten, den Staat auszutricksen?
"Freiberufler, Selbständige und Unternehmer haben es im Vergleich zu normalen Angestellten leichter, bei der Steuererklärung zu tricksen", erklärt die Sprecherin in einem Einspieler und verweist auf die illegale Möglichkeit, einen Restaurantbesuch mit Freunden als Betriebsausgabe verbuchen zu können. Dass die Redaktion ausgerechnet Freiberufler und alle Selbständigen als "Besserverdiener" einstuft, ist hier - gelinde gesagt - fragwürdig.
Zum Thema des falsch angegeben Restaurantbesuchs oder Blumenstraußes ergänzt Walter-Bojans: "Worüber wir hier reden sind die kleinen Fälle im Vergleich zu den ganz großen Fischen."
Damit meint der Politiker "Geschäfte, aus denen Banken Geschäftsmodelle gemacht haben. Wo es hochbezahlte Berater gibt. Dann können sie Geschäfte machen, die die Allgemeinheit nicht nur dahingehend betrügen, dass die Steuer nicht bezahlt wird, sondern dass Milliarden an Rückerstattungen gefordert werden, die vorher nie gezahlt worden sind. Das ist nicht mehr nur Betrug, das ist Raub."
Warum gibt der Staat immer noch so viel Geld für unsinnige Projekte aus?
Hier wurde die Seele aller Politikverdrossenen angesprochen. Der Bund der Steuerzahler durfte Beispiele für Steuerverschwendung zusammentragen. Warum, erschloss sich nicht, denn dass dort, wo Menschen über Geld entscheiden, auch Fehler gemacht werden, diese Erkenntnis ist an Banalität kaum zu überbieten.
Das Thema Steuerverschwendung kann und sollte man zwar diskutieren, dann aber nicht in dieser Oberflächlichkeit wie hier bei "Hart aber fair".
Das Rededuell des Abends:
Gesine Lötzsch gegen Frank Plasberg. Nun ist Frank Plasberg niemand, der es liebt, wenn jemand die vorgefertigte Struktur seiner Sendung durcheinander bringt.
Das tat Gesine Lötzsch zwar überhaupt nicht, trotzdem fiel ihr Plasberg immer wieder ins Wort. Das war zwar hart, aber sicher nicht fair.
Die Erkenntnisse für den Zuschauer:
Gering. Zwar wurde leidenschaftlich und zum Teil auch sehr detailliert gestritten, am Ende kam für den Zuschauer aber nicht viel an neuen Erkenntnissen rum.
Nur wer an der Realität eher selten teilnimmt, konnte für sich lernen, dass den Soli alle zahlen und Familien mit Kindern und Alleinerziehende vom aktuellen Steuersystem nicht gerade begünstigt werden.
Das Fazit des Abends:
Eine lebhafte Diskussion, ein paar Einblicke in die Ungerechtigkeiten des deutschen Steuersystem, das war's. Die jüngste Ausgabe "Hart aber fair" streifte zwar die Frage nach einem gerechteren Steuersystem, kratzte aber viel zu oft nur an der Oberfläche.
Es wurde zwar klar, dass es im System in puncto Gerechtigkeit an allen Ecken knirscht, dieses Knirschen in einen größeren Zusammenhang zu stellen, dafür fehlte an diesem Abend aber die Zeit und ein bisschen auch der Mut.
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